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Panorama

Mord an Halit Yozgat: Was weiß der Verfassungsschutz?

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Warum war ein Verfassungsschützer vor Ort, als Halit Yozgat getötet wurde? Und warum will er nichts gesehen haben? Auch nach der Befragung des Vorgesetzten des Beamten bleiben viele Fragen offen. Ein Rundschreiben sorgt für neue Erkenntnisse. (Foto: dpa)

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Blick auf das Internet-Café in Kassel, in dem der Betreiber Halit Yozgat ermordet wurde, aufgenommen am 10.04.2006.
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Am 6. April 2006 stirbt ein Türke im hessischen Kassel. Halit Yozgat ist das wahrscheinlich neunte Opfer des sog.„Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Der mysteriöse Mord in einem Internetcafé ist die zweite Mordtat in wenigen Tagen. Zwei Tage zuvor hatten die rechtsradikalen mutmaßlichen Täter bereits in Dortmund zugeschlagen.

Als der frühere Leiter des hessischen Verfassungsschutzes, Lutz Irrgang, am Mittwoch vor Richter Manfred Götzl im Münchner NSU-Prozess als Zeuge auftritt, haben die Anwälte der Opfer einiges zu tun. Der Zeuge bleibt davon unbeeindruckt.

Das Gericht versucht zu klären, wie es möglich sein kann, dass ein Verfassungsschützer, der sich zum Tatzeitpunkt im Internetcafé aufhielt, nicht bekommen haben soll, dass Yozgat bereits tot hinter der Theke lag. Die Nebenkläger-Anwälte wollen die Erklärung des Amtes nicht akzeptieren.

Ein Telefonat sorgt für Gesprächsstoff

Irrgang versichert gebetsmühlenartig, dem Wunsch der polizeilichen Ermittlungen entsprochen und den besagten Mitarbeiter, Andreas T., nicht persönlich befragt zu haben. Doch es besteht der Verdacht, dass der Verfassungsschutz mehr über die Vorgänge im Internetcafé wusste.

Ein protokolliertes Telefonat sorgte bereits im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages für Spekulationen. Darin soll ein Kollege des Verfassungsschützers Hinweise geliefert haben, dass sich T. gegenüber seinem Vorgesetzten Irrgang detaillierter über die Vorgänge im Internetcafé geäußert habe, als später bei der Polizei. Irrgang bestreitet dies und bekräftigt T.’s Aussage, dieser habe sich nur zufällig am Tatort aufgehalten.

Konnte der Beamte die Leiche hinter der Theke übersehen?

Zufall oder nicht, dem geschulten Auge eines Verfassungsschützers hätte nicht entgehen dürfen, dass hinter der Theke, auf die er pflichtbewusst noch das Geld für den Toten Yozgat legte, eine Leiche lag. Die Nebenkläger halten dies jedenfalls für ausgeschlossen.

Besonders brisant: T. war damals V-Mann-Führer und ermittelte in rechtsradikalen Kreisen. Nun geht es darum zu klären, ob der Verfassungsschützer die Leiche hinter der Theke überhaupt übersehen konnte. Eine Rekonstruktion des Tatorts mit Andreas T. wurde zur Klärung am Mittwoch per Video vor dem Gericht gezeigt.

Die niedrige Theke zeigt, dass der großgewachsene T. das Opfer eigentlich hätte sehen müssen. Außerdem musste T. an der offenen Seite des Tresens vorbei, um Yozgats Internetcafé zu verlassen. Details, die auch Richter Götzl stutzig machen. Doch Irrgang bleibt bei seiner Version und nimmt den Verfassungsschützer in Schutz.

Seltsamer Rundbrief einer Vorgesetzten

Bislang versicherten die hessischen Behörden, von einer Mordserie nichts gewusst zu haben. Indizien sprechen mittlerweile gegen diese Aussage. Zu Beginn des Verhandlungstages hatte ein Rundschreiben der ehemaligen Vorgesetzten von Andreas T. für Gesprächsstoff gesorgt. Darin beschreibt Iris P. unter dem Stichwort „Ausländer“ eine Serie von sieben Tötungsdelikten, seit dem Jahr 2000 in Nürnberg, Hamburg, Rostock und München.

Die Beamtin spricht von polizeilich nicht auffälligen Türken und vermutet einen Zusammenhang mit Rauschgift oder gar der kurdischen PKK. Das Schreiben zeigt ein weiteres Mal die Ignoranz deutscher Behörden und beweist, dass die Behörden in Hessen sehr wohl etwas von der Mordserie wussten.

Andreas T. hatte vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages ausgesagt, die Mordserie sei dienstlich kein Thema gewesen. Doch T. müsste das Rundschreiben seiner direkten Vorgesetzten eigentlich erhalten haben. Was er wirklich in Yozgats Internetcafé wollte und wieviel er von der Mordtat mitbekam, bleibt weiter ungeklärt.