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Politik

Verfassungsschützer stuften NSU schon 2000 als Terrorgruppe ein

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Mit einer pikanten Nachricht wartet das kürzlich mit dem Alternativen Medienpreis ausgezeichnete Nachrichtenportal „publikative.org“ auf: Bereits 2000 wäre eine Terrorprognose hinsichtlich der späteren NSU-Zelle erstellt worden. (Foto: dpa)

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Verfassungsschützer stuften NSU schon 2000 als Terrorgruppe ein
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Wie das Onlinemagazin berichtet, sei dem ARD-Magazin „REPORT MAINZ“ ein amtlich geheim gehaltenes Dokument über den NSU zugespielt worden. Dieses Dokument, welches bis heute nur in sogenannten Geheimschutzstellen der Parlamente eingesehen und nicht kopiert werden darf, enthülle, dass das Neonazi-Trio bereits im Jahre 2000 von Verfassungsschützern als Terrorgruppe eingestuft worden wäre.

Aus dem Dokument vom 28.04.2000 wird wie folgt zitiert: „Das Vorgehen der Gruppe (gemeint ist das Neonazi-Trio) ähnelt der Strategie terroristischer Gruppen, die durch Arbeitsteilung einen gemeinsamen Zweck verfolgen.“ Außerdem heißt es weiter im Dokument: Zweck der Vereinigung sei es, „schwere Straftaten gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung zu begehen“. Und: Bei dem Trio wäre „eine deutliche Steigerung der Intensität bis hin zu schwersten Straftaten feststellbar.“

Absender des Schreibens mit Briefkopf des Präsidenten ist nach dem Bericht das Landesamt für Verfassungsschutz in Dresden. Gerichtet ist es unter anderem an den damaligen Innenminister Klaus Hardraht (CDU) und mehrere Verantwortliche seines Hauses. Vom Brief selbst soll es nur zwei Ausfertigungen geben. Mit dem Schreiben wird eine sogenannte G10 – Beschränkungsmaßnahme gegen das Neonazi-Trio und vier weitere namentlich genannte Unterstützer beantragt. Es geht also um die geheime Überwachung von deren Telefonen und Briefen. Über die Unterstützer heißt es in dem Dokument: Die schnelle, professionelle und praktisch spurlose Flucht des Trios (1998) ist ein Anhaltspunkt dafür, dass sie „ohne die entsprechende Unterstützung … so nicht realisierbar gewesen wäre. Nur durch engste Bindungen in einem abgeschlossenen Zirkel mit wenigen verschwiegenen Mitwissern wird eine solche Flucht möglich.“ Als Unterstützer in diesem Dokument werden u.a. genannt: Mandy S. Deren Identität hat Beate Zschäpe nach ihrem Untertauchen benutzt. Außerdem werden genannt Jan W. (er sollte für das untergetauchte Trio Waffen besorgen) und Thomas S. Er hat dem Trio vor ihrem Untertauchen 1,4 Kilogramm Sprengstoff geliefert und war ab Ende 2000 als V-Mann tätig.

„Gesamtstruktur des NSU-Netzwerkes vollumfänglich bekannt“

Für den ehemaligen Geheimdienstler Winfried Ridder, jahrzehntelang tätig für das Bundesamt, ist dieses Dokument „heute eine Sensation.“ Völlig neu und überraschend für ihn sei, dass man schon damals „vollumfänglich die Gesamtstruktur des Netzwerkes Nationalsozialistischer Untergrund zu diesem Zeitpunkt gekannt“ habe, noch bevor der erste Mord in Nürnberg im September 2000 geschah.

Glaubt man den Angaben des ARD-Magazins, würde dies bedeuten, dass die Mordserie mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits zu einem viel früheren Zeitpunkt hätte aufgeklärt oder gar verhindert werden können.

Uwe-Karsten Heye, Regierungssprecher im Kabinett Schröder, wird von „publikative.org“ mit folgenden Worten zum Geheimdokument zitiert: „Alles, was wir heute wissen, steht da drin.“ Er ist davon überzeugt, wenn die Behörden damals „dran geblieben wären, hätte es diese Mordserie nicht gegeben.“ Eine Auffassung, die auch der Sachverständige in NSU-Untersuchungsausschüssen, Prof. Hajo Funke, vertritt: „Wenn man angemessen gehandelt hätte, man hat das ja versucht, aber nicht konsequent gemacht, dann wäre die gesamte Mordserie vermeidbar gewesen.“ Für den Politikwissenschaftler ist das Papier „eine klare Analyse der Gruppe und des Unterstützerumfeldes in Hinsicht auf das, was sie vorhaben: Nämlich steigernd schwerste Straftaten zu begehen und es einen Willen zur Fortsetzung gibt. Also, das was kriminelle und terroristische Vereinigung nach dem Strafgesetzbuch heute ausmacht.“

Der ehemalige Justizminister, Prof. Christian Pfeiffer, vertrat die Auffassung, dass es auf der Basis dieser konkreten Terrorprognose nach diesen Erkenntnissen damals zwingend geboten gewesen wäre, das Bundeskriminalamt und die Bundesanwaltschaft einzuschalten.

„Operation Terzett“ im Sand verlaufen

Von der beantragten G10-Maßnahme hätten damals nachweislich die beiden Landeskriminalämter und Verfassungsschutzämter in Sachsen und Thüringen sowie die Terrorabteilung des Bundesamtes für Verfassungsschutz gewusst. Ferner wäre die G10-Kommission des sächsischen Landtages informiert gewesen. Damit hatten jedoch deutsche Sicherheitsbehörden ebenso wie politische Kreise bereits damals effektiv Kenntnis von einer Terrorzelle.

Die beantragte G10-Maßnahme unter dem Namen „Operation Terzett“ war seinerzeit auch von Mai bis Oktober 2000 durchgeführt worden. Sie erbrachte nur wenige Erkenntnisse, u.a. deshalb, weil die Kontrollen völlig sporadisch erfolgten.

Im Zusammenhang mit dem Auffliegen des Terrortrios hatte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in den Tagesthemen vom 16.11.2011 erklärt: „Man konnte sich bis vor wenigen Tagen nicht vorstellen, dass es tatsächlich terroristische Organisationen geben könnte oder Zellen geben könnte, die mordend durchs Land laufen.“