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Gesellschaft

Verhaftung der Altan-Brüder: Ein ganz normales Ereignis

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MEINUNG Als nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei vom 15. Juli zahlreiche Journalisten, Autoren und Schriftsteller in die Gefängnisse gesteckt wurden, fragte ich mich, warum die Brüder Ahmet und Mehmet Altan sich nicht unter ihnen fanden. Schließlich waren die Altan-Brüder bekannt und sehr kritisch gegenüber der Entwicklung in der Türkei unter der AKP-Regierung. Mehmet Altan ist ein Wirtschaftsprofessor, bekannt war er der türkischen Öffentlichkeit durch seine Zeitungsartikel und Bücher. Sein älterer Bruder Ahmet Altan dagegen ist ein Romanschriftsteller und Journalist, der über die Grenzen der Türkei hinaus bekannt ist. Seine Artikel erreichten sehr viele Leser und das in allen Gesellschaftsschichten der Türkei. Besonders als Chefredakteur der oppositionellen liberalen Zeitung Taraf hat er von sich reden gemacht.

Nun ist diese Frage seit dem letzten Wochenende überholt. Ahmet und Mehmet wurden am Samstag in Istanbul von den Antiterror-Einheiten der Polizei verhaftet. Der Grund: Ihnen wirft man Unterstützung des Putschversuchs vom Juli vor. Sie sollen am 14. Juli, also einen Tag vor dem gescheiterten Putsch, in einer über soziale Medien ausgestrahlten Sendung des mittlerweile zerschlagenen Can Erzincan TV „unterschwellige Botschaften“ zugunsten des Putsches gesendet haben. Laut einer Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu (AA) ist in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft von „subliminalen Botschaften“ die Rede, die den Putsch „assoziiert“ hätten. Für diejenigen, die mit dem Fremdwort „subliminal“ nichts anfangen können: Laut Duden sind das Botschaften, die unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liegen. Dafür befinden sich jetzt die 66- und 63-jährigen Brüder in Haft.

Welcher Art diese Botschaften waren und wie die Staatsanwaltschaft diese aufgedeckt hat, wird wohl im Prozess thematisiert werden, wenn er irgendwann stattfindet. Dass er angesichts der Masse an Inhaftierungen nicht in allzu naher Zukunft stattfinden wird, kann man sich denken.

Die türkische Öffentlichkeit kennt die beiden Brüder durch ihr mutiges Eintreten gegen die Vormundschaft der Militärs und für die Demokratie. Besonders Ahmet Altan, der 2007 die Zeitung Taraf gründete, machte sich einen Namen. Es ist bekannt, dass es nach dem Wahlsieg der AKP im Jahr 2002 mehrere Putschversuche gegen diese Partei gab. Die Altans haben sich dagegen gewandt. Bei den sogenannten Ergenekon-Prozessen, die maßgeblich zur Zurückdrängung der Putschgelüste der Militärs beitrugen, spielte Ahmet Altan als Chefredakteur der Zeitung Taraf eine wichtige Rolle. Damals bezeichnete sich Ministerpräsident Erdoğan als Staatsanwalt der Prozesse.

Doch mittlerweile hat sich viel geändert in der türkischen Politik. Die AKP, die früher für demokratische Reformen eintrat, gibt es längst nicht mehr. Mittlerweile gibt es eine Partei, die offen von Hexenjagd spricht. Nun werden die Altan-Brüder wegen Unterstützung des Putschversuchs aus dem Verkehr gezogen. Doch ähnlich wie ihre Verhaftung ist auch die Begründung nichts, das Verwunderung hervorruft. In einer Zeit, in der sich in der Türkei 120 Journalisten und Autoren in Haft befinden, ist die Verhaftung der Altan-Brüder nichts Ungewöhnliches.

Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass sie wegen Unterstützung des Putschversuchs verhaftet wurden. Es ist nur konsequent. In einem Land, in dem die größte Bildungsbewegung des Landes, die sich auch sicher Fehler geleistet hat, im Kollektiv als Terrororganisation gilt (FETÖ), in dem unter dem Vorwand der Putschgegnerschaft ein ziviler Putsch durchgeführt wird, ist es nur verständlich, dass die Altan-Brüder, die sich immer gegen die Einmischung der Militärs in die Politik gestellt haben, mit dem Vorwurf der Putsch-Unterstützung verhaftet werden.

Allerdings hätten sich die Staatsanwälte auf der Suche nach dem Grund für die Verhaftung ihren Exkurs in die Psychologie und die Verwendung so gelehrig klingender Argumente wie subliminal ersparen können. Sie hätten den bekennenden Agnostiker Ahmet Altan auch wegen der Unterstützung des IS oder des hinduistischen Fundamentalismus verhaften können. Es hätte nicht weniger überzeugend geklungen. Die gleichgeschaltete Medienlandschaft des Landes hätte auch diese Begründung höchst überzeugend verkaufen können. Haben sie doch eine Leserschaft, die ihnen alles abnimmt und sie liest, egal was passiert.

Übrigens: Die Anwälte der Altan-Brüder berichten, dass die von dem Staatsanwalt, der die Verhaftung angeordnet hat, nichts über die Einzelheiten der Verhaftung haben erfahren können. Er sei in den Bayram-Urlaub aufgebrochen und deshalb nicht zu sprechen. Ja, derzeit wird in der muslimischen Welt das Opferfest begangen. In den Moscheen wurden Predigten gehalten, in denen viel von Versöhnung, von Respekt und Verbrüderung unter den Gläubigen die Rede ist. Der Geist des Bayram ist, dass sich Gläubige Verstimmungen und Kränkungen vergeben und mit reinem Herzen in die Zukunft starten.

Während in ländlichen Gebieten viel über Versöhnung und Respekt gesprochen wird, fahren viele Städter an die Küste, um mal am Meer und unter der Sonne zu entspannen und abzuschalten. An dieser Stelle sei ihnen zugerufen: Gesegnetes Fest! Genießt die Feiertage und macht Euch keine Sorgen um die Altan-Brüder. Wenn sich der Staat jemanden vorknöpft, wird es schon seinen Grund haben.

Ich werde mich demnächst auch nicht mehr wundern, wenn Menschen aufgrund ihrer unausgesprochenen Gedanken im Gefängnis landen.