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Politik

Verschwörungsideologen diskreditieren die Türkei

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Statt die Korruptionsvorwürfe zügig aufklären zu lassen, fantasieren Regierungsmitglieder und Medien eine Verschwörung der Hizmet-Bewegung im Auftrag Israels und der USA herbei. Auf diesem Wege brüskieren sie auch bewusst Verbündete. (Foto: dha)

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Statt die Korruptionsvorwürfe zügig aufklären zu lassen, fantasieren Regierungsmitglieder und Medien eine Verschwörung der Hizmet-Bewegung herbei.
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Führungskräfte, welche bei internen Krisen die Verantwortung auf herbeifantasierte internationale Verschwörungen abzuschieben versuchen, verlieren weltweit an Ansehen. Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdoğan und seine Regierung befinden sich derzeit in einer ähnlichen Situation. Die Reaktion auf den aktuellen Korruptionsskandal und der Versuch, durch das Lancieren von Verschwörungstheorien vom Thema abzulenken, hat den Interessen der Türkei auf internationaler Ebene alles andere als genützt. Insbesondere in den USA und in Europa, wo ohnehin schon vielfach Zweifel an der Bereitschaft der Türkei entstanden waren, eine westliche Ausrichtung beizubehalten, haben diese Zweifel sich verstärkt.

Den Medien der USA und Europas sind die intensiven Interventionen der Regierung angesichts der Bemühungen der Justiz und Polizei, die Korruptionsaffäre aufzuklären, nicht verborgen geblieben und sie werden als ein Versuch wahrgenommen, die erhobenen Vorwürfe zu vertuschen. Premierminister Erdoğan wird einmal mehr als ein autoritärer Führer wahrgenommen, der neben der Legislative und Exekutive auch die Kontrolle der unabhängigen Justiz übernehmen möchte.

Diese demokratiepolitisch mehr als bedenklichen Tendenzen, welche dem allen westlichen Verfassungen elementaren Grundsatz der Gewaltenteilung widersprechen, haben sowohl in Brüssel als auch in Washington zu ernsthafter Besorgnis beigetragen. EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle teilte mit, dass er die Entwicklungen „mit wachsender Sorge“ verfolge. Jen Psaki, Sprecherin des US-Außenministeriums, betonte wiederholt, dass sie im Justizsystem der Türkei „Transparenz“ und „Gerechtigkeit“ erwarte.

Westen verlangt nach Mindeststandards

Nun werden manche die Frage aufwerfen: „Warum sollte der Westen, der mit so vielen Ländern leben kann, die problematische Regime aufweisen, nicht auch mit einer Türkei leben können, die nicht mehr so demokratisch ist wie noch vor wenigen Jahren?“ – Und die Antwort liegt auf der Hand: Die Türkei unterscheidet sich von diesen Ländern aufgrund ihrer NATO-Mitgliedschaft und ihrer EU-Kandidatur. Es kann zwar sein, dass sie auf der westlichen Ebene nicht als First-Class-Mitglied behandelt wird, doch wird bestimmt erwartet, dass sie nicht unter eine bestimmtes Mindestmaß an demokratischen Standards absinkt.

In Militärputsch-Fällen hatte der Westen stets nur unter einen Bedingung grünes Licht gegeben: Es musste in zügiger Weise die Wiederherstellung und Arbeitsfähigkeit der demokratischen Institutionen gewährleistet werden. Daher ist jeglicher Prozess, welcher darauf abzielt, bewusst auf das Gegenteil hinzuarbeiten, aus Sicht des Westens nicht tolerierbar. In diesem Zusammenhang gehören die Unabhängigkeit der Justiz und die Rechenschaftspflicht der gewählten Beamten zu den unerlässlichen Kriterien. Dass die Türkei in letzter Zeit vom Ziel einer partizipativen Demokratie abkommt und sich zu einem Ein-Mann-Parteien-Regime entwickelt, ist im Westen eine Quelle der Besorgnis.

Verschwörungstheorien statt Selbstkritik

Zunächst einmal hat der US-Botschafter in Ankara, Francis Ricciardone, letzte Woche in Washington den Pro-Regierungs-Medien, welche die Amerikaner als verantwortlich darstellen, eine harte Gegenreaktion gezeigt. Auch die Sprecherin des Auswärtigen Amtes, Jen Psaki, hat den Mitgliedern der Presse in einer E-Mail – dieses Verfahren wird in wichtigen Fällen angewendet – mitgeteilt, dass die Obama-Regierung sich „zutiefst befremdet“ fühle. Die USA kennen die systematischen und organischen Beziehungen zwischen der AKP und einem Teil der Medien. Also sind solche Mitteilungen sowohl an die Presse als auch an den Regierungsbeamten, welche diese versorgen, gerichtet. Doch wenn man sich die relevante Umgebung genauer ansieht, ist zu erkennen, dass einige Einstellungsmuster, welche die wichtigen bilateralen Beziehungen zum Verbündeten vergiften können, weiterhin fortgesetzt werden.

Das, was sie mit der einen Hand aufgebaut hat, zerstört die Regierung mit der anderen Hand. Premierminister Erdoğan, der im Mai bei seinem Besuch im Weißen Haus sehr positiv aufgenommen wurde, hat im Juni angesichts der Gezi-Park-Ereignisse, die er durch unverhältnismäßig hartes Eingreifen gleich zu Beginn noch verstärkt hatte, Israel und den Westen dafür verantwortlich gemacht, wodurch er in Washington massiv an Ansehen verloren hat.

Präsident Barack Obama ist gegenüber seinem ehemals guten Kumpel Erdoğan ernsthaft auf Distanz gegangen. Ankara wurde bei vielen wichtigen Entscheidungen im Nahen Osten außen vor gelassen. Mit dem Ziel, die Situation wieder etwas aufzubessern, hatte im letzten Monat Außenminister Ahmet Davutoğlu die USA besucht. Genau zu jenem Zeitpunkt, als diese wieder etwas aufgelockert werden konnte, warfen die Korruptionsskandale wieder alles durcheinander. Vom Ärger des Regierungschefs über die Korruptionsuntersuchungen, welche dieser als eine Verschwörung und einen Putschversuch ansieht, haben auch die USA etwas abbekommen. Aus den Bemühungen, wieder etwas Vertrauen seitens der Obama-Regierung zurückzugewinnen und so die Einsamkeit der Türkei in der Region etwas zu lindern, wurde nun wieder nichts.

Psychologische Kriegsführung gegen die Hizmet-Bewegung

Die Protagonisten der psychologischen Kriegsführung, die auf diesem Wege die Untersuchungen zur Korruptionsaffäre diskreditieren wollen, werden ihre Verschwörungstheorien mit Blick auf Beziehungen der Hizmet-Bewegung zu den USA weiterhin am Kochen halten. Denn einer der kürzesten Wege, in Teilen der türkischen Öffentlichkeit jemanden oder eine Gruppe ins Zwielicht zu rücken, ist angesichts der weiten Verbreitung von Verschwörungsideologien, diese in Verbindung mit den USA oder Israel zu bringen. Dass Fethullah Gülen zufälligerweise in den USA residiert, ist dabei ein gefundenes Fressen für die Paranoia-Spekulanten. Einige, der Regierung nahe Leuten reden von einer Art Plan, die Gemeinde als eine in Spionage-Aktivitäten involvierte, illegale Organisation darzustellen – die USA als angebliche Auftraggeber zu benennen, befriedigt dann entsprechend das Bedürfnis schlichter Gemüter nach Selbstbestätigung.

Die größte Ungerechtigkeit besteht dabei darin, dass die Existenz und die internationale Ausrichtung der Hizmet-Bewegung als Bedrohung dargestellt werden. Die Bewegung ist zunächst einmal global. Nicht nur in den USA, sondern in mehr als 100 Ländern der Welt ist sie aktiv. Sie leistet einen wesentlichen Beitrag zur Förderung der Türkei und der türkischen Interessen – zumal etwa Schulen im Ausland nicht als „Hizmet-Schulen“, sondern als „türkische Schulen“ konzipiert werden. Der Patriotismus dieser Menschen, welche sich im In-und Ausland auf Bildung und Wohltätigkeit konzentrieren, ist nicht in Frage zu stellen. Es gibt keine Zweifel darüber, dass auch Sympathisanten Hizmets, die es auf Grund entsprechender Qualifikationen in die Beamtenschaft geschafft haben, die gleichen nationalen, spirituellen und universellen Werte besitzen und verinnerlicht haben.

Während die Menschheit das 14. Jahr des 21. Jahrhunderts erreicht hat, müssen wir mit Schrecken feststellen, dass die Türkei immer noch nicht aus dem Tunnel der Angst herausgekommen ist. Premierminister Erdoğan betonte, dass, wenn die Türkei nicht in die EU beitreten könne, sie eben nach „Ankara-Kriterien“ weitermachen werde. Es ist ganz offensichtlich, in welcher Lage sich die Türkei befindet, nachdem sie sich von den Kopenhagen-Kriterien entfernt hat. Es scheint, dass die Türkei allein durch eigene, interne Dynamiken keine gute Regierungsführung erreichen wird. Sie muss alleine schon deshalb die EU-Perspektive auf eine starke Art und Weise revitalisieren. Natürlich denken nicht wenige derjenigen, welche die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit des Öfteren als Option erwähnen, genau das Gegenteil…