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Politik

„Vielfalt ist für uns eine Bereicherung”

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Bayerns Wirtschaftsminister Zeil ist überzeugt, dass der FDP der Wiedereinzug in Bundestag und ins Maximilianeum gelingen wird. Im Gespräch mit dem DTJ tritt er für mehr Offenheit gegenüber Zuwanderern und ausländischen Investoren ein.

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„Vielfalt ist für uns eine Bereicherung”
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Sehr geehrter Herr Zeil, Ihre Partei befindet sich zurzeit in einer recht prekären Situation. Viele Bürger fragen sich: Was hat die FDP eigentlich konkret an Beiträgen für Deutschland geleistet? Glauben Sie, dass Ihre Partei überhaupt noch in den Bundestag und den bayerischen Landtag einzieht?

Die FDP muss auch in diesem Jahr – vielleicht mehr denn je – für ihre liberalen Positionen und Ziele kämpfen. Aber: Ich bin überzeugt davon, dass wir sowohl in den Bayerischen Landtag als auch in den Bundestag einziehen werden. Gerade was Bayern angeht, bin ich sehr zuversichtlich, denn wir haben hier eine sehr gute Leistungsbilanz vorzuweisen. Daher bewerbe ich mich auch um die Verlängerung meiner Amtszeit. Seit wir mit an der Regierung beteiligt sind, haben wir auf vielen Gebieten wie zum Beispiel in Wirtschaft, Bildung, Familienpolitik und Gesellschaftspolitik sowie in Bezug auf schwierige Fragen zum Verhältnis zwischen Staat und Bürger starke liberale Akzente gesetzt. Denken Sie nur an die Online-Durchsuchung und die Vorratsdatenspeicherung im Bund oder die Aufarbeitung der Vorkommnisse rund um die Landesbank in Bayern. Eines ist klar: Wir haben unser Land moderner und besser gemacht. Damit können wir auch in Bayern punkten. Im Bund ist es aufgrund der gegenwärtigen Personaldebatte sicherlich schwieriger. Aber auch da sehe ich eine gute Chance, dass Union und FDP gemeinsam die Wahl gewinnen können. Die FDP muss nur raus aus dieser Phase der Selbstbeschäftigung und muss ihre Erfolge, z.B. die Nominierung und Wahl von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten oder die Abschaffung der Praxisgebühr, in den Vordergrund stellen.

Welche Botschaft wollen Sie an die türkischstämmigen Bürger in Deutschland übermitteln?

Wir stehen dafür, dass jeder unter Beachtung unserer Gesetze sein eigenes Leben führen kann. Jeder soll so leben können, wie er es für richtig hält. Wir wollen den Menschen nichts vorschreiben. Wir stehen für Weltoffenheit und vor allem auch Chancengerechtigkeit. Dafür setzen wir uns in der Bildungspolitik und beim Thema Integration sehr stark ein und haben hier auch bereits klare Akzente gesetzt. So wird zum Beispiel die Klassengröße auf 25 Schüler begrenzt, wenn die Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund hoch ist. Und der Erfolg gibt uns recht: Die Integration von hier seit Generationen lebenden Migranten ist in Bayern wesentlich besser gelungen als in anderen Teilen Deutschlands. Als FDP haben wir hier in den letzten Jahren ganz gezielt durchgesetzt, dass diesem Thema ein größeres Augenmerk in der Regierungsarbeit gewidmet wird. Auch das Thema Sprachkenntnisse halten wir dabei für außerordentlich wichtig. Und: Wir haben dafür gesorgt, dass das letzte Kindergartenjahr kostenfrei ist. Darüber hinaus plädiert die FDP nicht nur im gesellschaftlichen Bereich für Offenheit und Freiheit. Gleiches soll nach unseren Vorstellungen auch für die Unternehmer gelten. Wir freuen uns deshalb auf eine vertiefte und nachhaltige Zusammenarbeit mit türkischstämmigen Bürgern und Unternehmern in unserem Land.

Wie nehmen Sie persönlich und Ihre Partei Migranten wahr?

Migranten sind eine Bereicherung für unser Land. Wir sind eine plurale Gesellschaft. Es ist unsere Aufgabe, unseren Weg gemeinsam mit Migranten zu gehen. Es ist egal, welche Abstammung oder Religion ein Mensch hat. Entscheidend ist, wo wir zusammen hin wollen. Auf diesem Weg sind wir bereits ein ganzes Stück vorangekommen. Die Integration ist dabei nicht nur eine einseitige Angelegenheit, wie einige Parteien meinen. Alle Seiten müssen sich öffnen. Der Staat, die Deutschen und auch die Menschen, die zu uns gekommen sind oder noch kommen. Wie von Deutschen, die in der Türkei leben, erwartet wird, die lokalen Sitten, Gebräuche und Gesetze zu akzeptieren, erwarten wir dies auch von den Migranten, die nach Deutschland kommen. Gemeinsame Basis unseres Zusammenlebens ist daher unser Grundgesetz.

Nicht die Leitkultur?

Nein, das ist nicht mein Begriff. Ich finde, unser Grundgesetz ist eine wunderbare Basis für das Zusammenleben in Deutschland. Und im Grundgesetz steht nichts von Leitkultur. Natürlich hat jedes Land seine Tradition, aber jedes Land lebt auch davon, offen zu sein: Offen für Neues und offen auch für Zuwanderung. Denn Zuwanderung ist auch eine Bereicherung für die Gesellschaft. Was ich mir von Migranten wünsche, ist, dass sie dem Thema Sprachkenntnisse mehr Bedeutung einräumen und ihre Kinder möglichst früh in die Gemeinschaft eingliedern. Da erwarte ich noch mehr Offenheit und weniger Berührungsängste. Denn nur mit einer gemeinsamen Sprache kann eine gemeinsame vielfältige Gesellschaft heranwachsen. Ich sage aber auch ganz klar: Ohne die vielfältigen Beiträge von Migranten in Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft würde Deutschland nicht so gut da stehen, wie wir es gegenwärtig tun.

Für mich als Journalist ist Integration ein Begriff von gestern. Heute würde ich mehr über die Motivation reden. Wie wollen Sie Migranten motivieren?

Indem wir die unterschiedlichsten Kulturen als Bereicherung verstehen und Weltoffenheit auch in der Praxis leben. Da geht es nicht um Begrifflichkeit, entscheidend ist die Lebenswirklichkeit und hier vor allem eine gemeinsame Sprache. Wir nehmen den Verfassungsauftrag ernst, dass alle Menschen hier mit ihren Begabungen, mit ihrem Hintergrund, mit ihren unterschiedlichen Religionen willkommen sind. Es geht um friedliches und respektvolles Miteinander in unserer Gesellschaft. Vielfalt ist für uns eine Bereicherung, keine Bedrohung.

Es herrscht immer noch ein Fachkräftemangel in Deutschland. Ist die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte eine Lösung?

Sie ist zumindest ein Teil der Lösung. Für uns als FDP ist daher auch die Qualifikation von ausländischen Fachkräften – ungeachtet ihrer Religion und Abstammung – sehr wichtig. Wir werben für talentierte Fachkräfte aus aller Welt. Durch die Herabsetzung der Einkommensgrenze haben wir es im Bund geschafft, Deutschland einen Schritt näher an ein modernes, international wettbewerbsfähiges Zuwanderungssystem zu bringen. Diesen Weg müssen wir weiter mutig beschreiten, um noch mehr Fachkräfte für unser Land zu gewinnen. In Bayern wenden wir uns darüber hinaus ganz besonders an ausländische Studenten, die schon hier sind, wie zum Beispiel mit unserem Projekt „Study and Stay“. Wir würden uns sehr freuen, wenn türkische Studenten aus der Türkei hier Fuß fassen und arbeiten, wenn sie ihr Examen in Bayern gemacht haben. Umgekehrt ist es ja auch so, dass die Türkei immer interessanter für deutsche Studenten wird. Dieser Austausch ist für beide Seiten ganz wichtig.

Warum ist Deutschland im Wettbewerb um die besten Köpfe nicht so erfolgreich wie man es sich wünscht?

Deutschland hat zu lange keine klare Linie vermittelt. Andere Länder, wie Österreich, die Schweiz, Kanada oder die USA sind da sehr viel weiter gegangen. Deutschland hat sich sehr lange in bürokratische Diskussionen verstrickt. Deswegen haben wir mit der Blue Card große Fortschritte gemacht. Jetzt muss man das nutzbar machen, denn der Wettbewerb um die besten Köpfe ist schon längst im Gange. Zum Beispiel sind in der Türkei im IT-Bereich Netzwerke entstanden. Auf internationalen Konferenzen sieht man zunehmend türkische Unternehmer. Bestens ausgebildete Leute sind in diesem wichtigen Bereich unterwegs. Sie sind da sehr, sehr innovativ. Solche Leute interessieren uns. Diese wollen wir hier haben und mit ihnen kooperieren wir gerne. Denn das Thema Digitalisierung ist gerade eines der Hauptthemen für die nächsten Jahre. Wer da gut ist, wird auch vorne sein.

Wie kann man die wirtschaftlichen Beziehungen mit der Türkei erweitern?

Wir pflegen hervorragende wirtschaftliche Beziehungen zur Türkei. Deshalb habe ich vor drei Jahren eine bayerische Repräsentanz in Istanbul eröffnet. Bayerische Unternehmen wie Siemens, BMW, Audi und andere sind bereits in der Türkei aktiv, zum Teil schon sehr lange. Wir können aber in anderen Bereichen wie Technologie und Forschung noch viel besser und intensiver zusammenarbeiten. Deshalb habe ich mir als Bayerischer Wirtschaftsminister das Ziel gesetzt, der bayerischen Wirtschaft im Boomland Türkei noch mehr Chancen zu erschließen. Ich will noch mehr bilaterale Unternehmenskontakte anstoßen und die Netzwerke zwischen deutschen und türkischen Unternehmen stärken. Diese Themen werde ich bei meinem Besuch im Frühjahr in der Türkei noch deutlicher machen. Auch die politischen Beziehungen wollen wir weiterhin intensiv pflegen. Unsere Ansiedlungsagentur „Invest in Bavaria“ wirbt zudem ganz gezielt um mehr Direktinvestitionen türkischer Unternehmen in Bayern, um hier die Verbindungen zu verbreitern und zu vertiefen.

2012 liegt nun hinter uns. Liegen Ihnen die Import- und Exportbilanzen Bayerns in Bezug auf die Türkei vor?

Die Bayerischen Importe aus der Türkei hatten 2011 einen Umsatzwert von 2,18 Milliarden Euro und sind damit um 28 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. In den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres wurden Waren im Wert von 1,8 Milliarden Euro importiert. Die Bayerischen Exporte in die Türkei beliefen sich 2011 auf 2,8 Milliarden Euro. Das entspricht einem Plus von 31 Prozent im Vergleich zu 2010. Von Januar bis September 2012 erreichten die Exporte 2,1 Milliarden Euro.

Können Sie uns noch mehr Informationen über die bayerisch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen geben?

Bayern pflegt traditionell hervorragende Wirtschaftsbeziehungen zur Türkei. Die Türkei liegt bei den wichtigsten Handelspartnern Bayerns an 16. Stelle. Mit diesem Handelsvolumen liegt Bayern unter den deutschen Bundesländern an der zweiten Stelle. Nach Angaben der IHK München pflegen derzeit über 1.800 bayerische Firmen Geschäftsbeziehungen mit der Türkei. 24 Unternehmen haben dort eigene Produktionsstätten. Immer mehr bayerische Unternehmen erkennen ihre Chancen. Dies dokumentiert auch das große Interesse an meiner Reise in die Türkei im März dieses Jahres.

Türkische Unternehmer haben Visa-Probleme, wenn sie nach Deutschland kommen und investieren wollen.

Das ist ein großes Ärgernis. Das Problem kenne ich. Auch in meinen Gesprächen damals in Ankara war das ein Thema. Ich kann unsere türkischen Freunde gut verstehen, dass die Situation für sie unbefriedigend ist. Wir haben die Thematik im Auswärtigen Amt vorgetragen und wir bleiben hier am Ball, auch bei dem für Grenzkontrollen zuständigen Bundesinnenministerium. Ich finde, dass großzügigere Regelungen für Geschäftsleute möglich sein müssen. Und das habe ich auch vom Bundesaußenminister und der Bundesregierung gefordert. Sonst praktizieren wir das Gegenteil einer Willkommenskultur, wie wir sie sonst immer predigen. Auch die IHK München widmet sich ganz besonders intensiv diesem Thema. Solange die politischen Rahmenbedingungen noch nicht besser sind, geht es aber zunächst ganz pragmatisch um die Verbesserung der Situation für die Reisenden. Deswegen haben hochrangige Vertreter meines Hauses kürzlich mit der Bundespolizei am Flughafen München ein Gespräch geführt, um das Verständnis der Bundespolizei für die wirtschaftliche Bedeutung der Türkei und der türkischen Unternehmen, die nach Bayern kommen, zu verbessern. Natürlich werden die zentralen Entscheidungen auf Bundesebene getroffen, aber wir hoffen, dass wir durch pragmatische Informationen und Unterstützungsmaßnahmen zu Erleichterungen für die Reisenden kommen können. Ich will aber auch betonen: In den allermeisten Fällen gibt es bei der Einreise keine Probleme.

Wie bewerten Sie zum Abschluss die deutsch-türkischen politischen Beziehungen?

Wir müssen immer darauf achten, dass politische Beziehungen mit den wirtschaftlichen Beziehungen Schritt halten. Das geht nur mit großer Beharrlichkeit und Sensibilität für die wechselseitigen Stimmungen. Man darf sich gegenseitig nicht überfordern. Die treibende Kraft der Beziehungen sind die kulturellen und wirtschaftlichen Aspekte. Auch die anderen Fragen werden sich lösen lassen. Davon bin ich überzeugt.

Zur Person: Martin Zeil wurde 1956 in München geboren. Nach dem Abitur 1974 in Starnberg studierte er Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München, dort machte er 1981 das erste und 1984 das zweite juristische Staatsexamen. Er trat 1974 der FDP bei und ist Mitbegründer der Jungen Liberalen auf Bundesebene und der Jungen Liberalen Bayern. 1981 bis 1983 war er deren Landesvorsitzender.

Bei der Bundestagswahl 2005 wurde er in den Bundestag gewählt und ordentliches Mitglied im Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Technologie sowie Sprecher für Wettbewerbsrecht und Bürokratieabbau. In seinem Wahlkreis München-Land erzielte er 2005 mit 14,6 % das beste Zweitstimmenergebnis für die FDP in Bayern. Am 1. November 2008 verzichtete er auf sein Bundestagsmandat, um sich von da an ausschließlich der bayerischen Politik zu widmen.

Nach dem Erfolg der FDP bei den bayerischen Landtagswahlen 2008 wurde er bayerischer Wirtschaftsminister in der CSU-/FDP-Koalitionsregierung.