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Politik

Visafreiheit: Heute fällt der (vor)letzte Vorhang

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Die EU-Kommission will ihren Teil des Flüchtlingsabkommens erfüllen und die Visumpflicht für Türken beenden – sobald Ankara alle Voraussetzungen erfüllt hat. Die Sorgen, dass viele Türken in die EU kommen könnten, sind derweil unbegründet.

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Die EU-Kommission wird an diesem Mittwoch eine visafreie Einreise für Türken unter dem Vorbehalt empfehlen, dass die Türkei alle Bedingungen dafür erfüllt. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag soll nach Angaben der ARD am Mittag in Brüssel vorgelegt werden. Das EU-Parlament wird nach den Worten des CSU-Europaparlamentariers Manfred Weber jedoch nicht über die Visumfreiheit abstimmen, solange Ankara nicht alle Vorgaben komplett umgesetzt hat. „Der Ball liegt in Ankara. Die Verantwortung für mögliche Verzögerungen auch“, sagte der Chef der konservativen EVP-Fraktion der Deutschen Presse-Agentur. Die finale Entscheidung soll dann spätestens in vier Wochen fallen.

Die Visafreiheit ist eine Kernforderung der Türkei im Gegenzug für die Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise. Es geht um Kurzaufenthalte bis zu 90 Tagen im eigentlich grenzkontrollfreien Schengen-Raum, dem die meisten EU-Staaten angehören.

Türkei schafft Visa-Pflicht für Zypern-Bürger ab

Die EU hat der Türkei insgesamt 72 Bedingungen für eine Visafreiheit gestellt – die meisten hat Ankara bereits umgesetzt. Selbst die Visa-Pflicht für Bürger aus Zypern wurde abgeschafft – bislang stets ein Streitpunkt gewesen. Den Gesetzesvorschlag präsentiert die Kommission also unter Vorbehalt, damit die EU-Staaten und das Europaparlament mit Beratungen darüber beginnen können – und damit die Türkei Zeit gewinnt, um die restlichen Forderungen zu erfüllen. Die Zeit drängt, weil Zieldatum für die Aufhebung der Visumpflicht Ende Juni ist.

Auch die Grünen-Vorsitzende Simone Peter mahnte, die formulierten Bedingungen dürften nicht unterlaufen werden. Grundsätzlich begrüßte sie aber die geplante Visafreiheit, weil dies proeuropäische und demokratische Türken stärken könne. „Visafreiheit fördert den politischen und kulturellen Austausch“, sagte sie der dpa. Menschen, die sich für Bürgerrechte und Freiheit einsetzten, sollten nicht durch Reisebeschränkungen in Haftung genommen werden für den undemokratischen Regierungsstil von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. „Der Spiegel“ berichtet in seiner aktuellen Ausgabe, dass die Visa-Pflicht selbst dann aufgehoben werden soll, wenn die Türkei nicht alle Bedingungen erfüllt.

Roth: Visafreiheit „längst überfällig“

Peters Parteikollegin, Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, sagte im Deutschlandfunk: „Eine Visa-Liberalisierung für die Türkei ist von Seiten der Europäischen Union längst, längst überfällig – und zwar völlig unabhängig vom EU-Türkei-Deal zur Rücknahme von Flüchtlingen.“

Die Grünen-Fraktionsvize im Europaparlament, Ska Keller, rechnete im Südwestrundfunk damit, dass bei einer Visafreiheit „einige“ Türken in der EU Asyl beantragen werden. Es sei das gute Recht der Menschen, vor kriegerischen Auseinandersetzungen zu fliehen oder wenn sie ihren Beruf nicht mehr ausüben könnten.

Nur 10 Prozent der Türken haben einen Reisepass

Dass die Sorgen vieler unberechtigt sind, verdeutlicht der Umstand, dass 90 Prozent der Türken gar keinen Reisepass haben. Aktuell beantragen laut tagesschau.de jedes Jahr zum Beispiel 30.000 von ihnen ein Visum, um ihre Verwandten in Deutschland zu besuchen oder geschäftlich hierher zu reisen.

Ohnehin könnte die EU die Visa-Pflicht jederzeit wieder einführen, sollte die Grenzöffnung negative Folgen für die innere Sicherheit oder die Sozialsysteme haben.

Wie tageschau.de weiter berichtet, wurden in den letzten zwei Jahren deutlich mehr Visaanträge aus der Türkei in den Schengen-Raum bewilligt als abgelehnt: Nach 185.000 Anträgen im Jahr 2014 wurden 2015 schon 210.000 Anträge positiv beschieden. Die Zahl der abgelehnten Anträge „lag in beiden Jahren im sehr niedrigen fünfstelligen Bereich“, so das Auswärtige Amt. Wie viele Anträge wegen der hohen Auflagen gar nicht erst gestellt werden, taucht allerdings in keiner Statistik auf.