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Politik

Visafreiheit: Türkei droht der EU

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Die Türkei besteht auf die Einführung der Visafreiheit für Türken in der EU. Auch die Eröffnung neuer Verhandlungskapitel wird gefordert. Sonst würde der Flüchtlingsdeal platzen. Wie reagiert Brüssel?

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Der Gedanke zum visafreien Reisen kam in der Endphase des Zweiten Weltkrieges in Europa auf. Die Bürger sollten seiner Beendigung in andere Länder reisen, die Menschen dort kennen lernen; in der Folge sollten sie Abwehrkräfte gegen Demagogen und Kriegstreiber entwickeln, neue Kriege sollten nicht ausbrechen. Der Europäische Rat griff das Thema Jahre später auf, 1960 wurde zwischen der Türkei und anderen europäischen Ländern Visafreiheit vereinbart. Die Türken konnten nach Europa ohne Visum einreisen.

Doch in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wurde die Türkei von politischer Instabilität erschüttert, Straßenkämpfe zwischen verfeindeten Lagern beherrschten das Land – um die 5000 Menschen verloren ihr Leben. Viele flüchteten nach Europa. Schließlich zog Deutschland als erstes Land die Handbremse und hob die Visafreiheit für türkische Staatsbürger auf. Auf Deutschland folgten Frankreich und andere Länder.

Visafreiheit nach über 30 Jahren?

Wird nun über drei Jahrzehnte danach Schluss damit sein? Geht es nach dem kürzlich vereinbarten Deal zwischen der Türkei und der Europäischen Union, ja. Demnach soll die Visapflicht für türkische Staatsbürger im Juli dieses Jahres fallen. Und die AKP drängt darauf.

Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu sagte vorgestern im Parlament in Ankara, dass die Türkei gemäß der Vereinbarung mit der EU die Aufhebung der Visapflicht erwarte. Aber nicht nur das – auch die Aktualisierung der Zollunion sowie Eröfnung neuer Beitrittskapitel im Beitrittsprozess in die EU sollen folgen. Andernfalls würde, so die Drohung, die Türkei den Deal mit der EU zur Flüchtlingsfrage platzen lassen.

Auch Premierminister Ahmet Davutoğlu äußerte sich gestern vor seinem Abflug nach Straßburg in ähnlicher Weise. Die Türkei erwarte die Aufhebung der Visapflicht für türkische Staatsbürger, sonst würde die Vereinbarung mit der EU für ungültig erklärt werden.

Neues Selbstbewusstsein der Türkei

Die AKP vertritt nach eigener Sichtweise das neue Selbstbewusstsein der Türkei. Sie fühlt sich stark und möchte, das dies auch von anderen so wahrgenommen wird. Die Aufhebung der Visapflicht würde der AKP nicht nur im Wahlkampf nutzen.

Jahrelang hat Brüssel Ankara abwertend behandelt. Als die AKP zu Beginn ihrer Regierungszeit tatsächlich große Fortschritte machte und das Land demokratisierte, wurde sie nur belächelt, allenfalls ermutigt weiter zu machen. Viele Türken empfanden das als Hohn und Spott.

Erstmals hat die Türkei seit langer Zeit ein Druckmittel in der Hand. Und ein Machtpolitiker wie Erdoğan nutzt das bis zum Ende aus. Dass sich die Türkei, in einer Zeit, in der sie sich von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit entfernt, so nahe an die EU annähert, spricht eher gegen die EU als gegen die Türkei. Ankaraner Kriterien statt Kopenhagener Kriterien könnte man fast schon sagen.

Wie reagiert Brüssel auf die Vorstöße aus der Türkei? Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, betonte nur, dass es bei den 72 Bedingungen keine Abstriche geben werde, an deren Erfüllung durch die Türkei die Visafreiheit geknüpft ist.

Juncker war es noch, der vor wenigen Monaten, als der Flüchtlingsstrom nicht abreißen wollte, erklärte, dass es jetzt nicht die Zeit sei, es so genau mit den Menschenrechten in der Türkei zu nehmen.