Connect with us

Politik

„Muttersprachlichen Unterricht als reguläres Schulfach ermöglichen“

Spread the love

Im Vorfeld der hessischen Landtagswahlen, die zeitgleich mit der Bundestagswahl stattfinden, interviewte das DTJ die Spitzenkandidaten aus Hessen. Das DTJ sprach mit Volker Bouffier, Spitzenkandidat der CDU. (Foto: dpa)

Published

on

Im Vorfeld der hessischen Landtagswahlensprach das DTJ mit Volker Bouffier, Spitzenkandidat der CDU.
Spread the love

Obwohl die CDU in der Nachkriegszeit auf Bundesebene zur führenden Partei aufsteigen konnte, hatte sie in Hessen einen erstaunlich schweren Stand. Zu konfessionellen Reibereien zwischen katholischen und evangelischen Funktionären kamen eine starke Konkurrenz durch die SPD und programmatische Fehlgriffe wie die Stützung des Sozialisierungsartikels in der Landesverfassung unter Werner Hilpert. So verlor sie gerade unter Wirtschaftstreibenden massiv an Rückhalt und stürzte von 31% bei den Landtagswahlen 1946 auf 19% vier Jahre später ab. Die LDP (FDP) kam hingegen auf 31,8%.

Auch unter Wilhelm Fay konnte sich die CDU nicht profilieren und blieb stets im Schatten des übermächtigen SPD-Landesvaters Georg August Zinn. Dazu kam der Aufstieg der rechtsextremen NPD, die 1966 mit 7,9% in den Landtag einzog, während die Union auf 26,4% sank.

Nachdem 1967 Alfred Dregger das Ruder übernommen hatte, ging es mit der Partei wieder aufwärts. Dregger betrieb eine konsequente und engagierte Oppositionspolitik, beispielsweise in der Schulpolitik, wo er massiv gegen die Gesamtschulpläne der SPD agierte. Regierungsverantwortung konnte die CDU jedoch auch in der Ära Dregger trotz guter Wahlergebnisse nicht übernehmen, da die FDP sozial-liberale Koalitionen stützte. 1982 trat Dregger nach der Landtagswahl zurück, die keine klaren Mehrheiten ermöglichte.

Sein Nachfolger Walter Wallmann schaffte es 1987 erstmals, eine CDU-geführte Landesregierung zu bilden. Diese wurde jedoch 1991 durch das rot-grüne Kabinett Eichel abgelöst. Wallmann-Nachfolger Manfred Kanther schaffte es 1995 nicht, den Regierungswechsel zu bewerkstelligen.

1999 konnte Roland Koch der CDU den Ministerpräsidenten zurückerobern – wenn auch um den Preis der Gefährdung des sozialen Friedens. Im Wahlkampf agitierte er unter Mobilisierung des äußersten rechten Randes gegen das neue Staatsbürgerschaftsrecht der Regierung Schröder in Berlin, später glänzte die hessische CDU durch antisemitische Legenden im Zusammenhang mit der Parteispendenaffäre.

Die Ära Koch hat die hessische CDU als etatistische und rechtsoffene Partei stabilisiert, in der auch offen rechtsradikale und islamfeindliche Positionen geduldet, wenn nicht gar gefördert werden.

Das DTJ sprach mit Ministerpräsident Volker Bouffier.

Die CDU hat in ihrer diesjährigen Liste nur einen türkischstämmigen Kandidaten. Hat sie aber vielleicht dennoch für die Wählerschaft aus dieser Community besondere Wahlversprechen, wie zum Beispiel etwa die doppelte Staatsbürgerschaft oder Anerkennung der Abschlüsse?

Mir ist es wichtig, Integration zu leben. Jeder, der sich hier einbringen und etwas für die Gesellschaft leisten will, ist mir von Herzen willkommen. Wenn wir über Integration sprechen, müssen wir aufpassen, dass wir nicht aus gutem Willen heraus zu einer positiven Diskriminierung kommen. Ich denke, dass z.B. ein türkischstämmiger Bürger, der hier lebt, arbeitet und im Fußballverein aktiv ist, nicht ständig hören möchte, dass er „Migrant“ ist und besonders behandelt werden müsste. Für mich gilt: Wer sich hier einbringt, gehört zu uns – ganz gleich woher er oder seine Vorfahren kamen.

Wir werben intensiv um junge, gut ausgebildete Menschen aus aller Welt – mit viel Erfolg, denn Deutschland ist ein Chancenland, das glänzende Möglichkeiten bietet, sich beruflich zu entwickeln. Deutschland und Hessen profitieren von der Zuwanderung ausländischer Fachkräfte, deshalb haben wir bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse sowohl auf Bundesebene, wie auch in Hessen inzwischen eine sehr gut funktionierende Lösung gefunden.

Seit die CDU in Hessen regiert, sind wir zu einem Vorreiter in der bundesdeutschen Integrationspolitik geworden. Wir sind ein Land der Vielfalt und der gelebten Integration. Wir wissen, dass die Sprache der erste und wichtigste Schlüssel zu einer gelungenen Integration ist. Aber nicht nur der Erwerb der deutschen Sprache bringt junge Migranten weiter, die „Muttersprache“ ist eine zusätzliche Kompetenz, die jungen Menschen mit Migrationshintergrund in der globalisierten Welt sehr nützlich sein kann. Deshalb haben wir in unserem Zukunftsprogramm festgeschrieben, Schulen die Möglichkeit zu eröffnen, muttersprachlichen Unterricht in Form der 2. oder 3. Fremdsprache als reguläres Schulfach anzubieten; denn mir ist es wichtig, dass diese zusätzliche Kompetenz junger Migranten auch im Zeugnis wertgeschätzt wird.

Darüber hinaus haben wir in unserem Programm auch eine Weiterentwicklung der Deutschvorlaufkurse, die Ausweitung der Sprachförderung für Eltern bzw. Erwachsene („Mama und Papa lernen deutsch“) sowie eine Ausweitung der Kurse für „Deutsch als Zweitsprache“ festgeschrieben.

Die CDU ist zum größten Teil gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Wäre ein regionales, lokal gebundenes Wahlrecht für ausländische Mitbürger eine Alternative?

Für mich gilt der Wahlspruch „Hesse ist, wer Hesse sein will“.

Ein unbefristeter Doppelpass ist kein Beweis für gelingende Integration, sondern dokumentiert, dass ein Bürger zwischen zwei Staaten steht. Viele junge Menschen mit Migrationshintergrund befassen sich ganz bewusst mit der Entscheidung, welchen Pass sie künftig haben wollen. Und die Mehrheit entschließt sich für die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Optionslösung dient dazu, Mehrstaatigkeit zu vermeiden. Denn doppelte Staatsangehörigkeiten haben auch Nachteile: Wenn jemand etwa die deutsche und türkische Staatsbürgerschaft hat, so können beispielsweise erhebliche Unterschiede beim Familienrecht auftreten. Je nachdem, ob man das deutsche oder das türkische Recht anwendet, hat dies weitgehende Konsequenzen für die Kinder und die Eltern. Die damit verbundenen Schwierigkeiten kann man vermeiden, wenn man sich für eine Staatsbürgerschaft entscheidet. Ich wünsche mir, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund die Wahlmöglichkeit als Chance und nicht als Zwang sehen. Ich wünsche mir zudem, dass ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger, die schon lange bei uns wohnen, sich hier wohlfühlen und integriert sind, auch deutsche Staatsbürger werden und sich für unser Land engagieren.

Ferner ist politische Teilhabe auf kommunaler Ebene über die Ausländerbeiräte allen möglich, die nicht deutsche Staatsbürger sind. Außerdem steht eine Mitgliedschaft in der CDU explizit auch Ausländern offen, die dann aktiv an der Willensbildung der Partei mitarbeiten können.

Viele Migranten fühlen sich im Bildungs- und Gesundheitssystem stark benachteiligt. Gibt es hierfür Reformansätze? Wie müssten diese aussehen?

Mit den oben genannten Programmen arbeiten wir intensiv daran, diese Hürden abzubauen und die von uns angestrebte Aufnahme muttersprachlichen Unterrichts als reguläres Schulfach sowie die bereits erfolgte Einführung und der künftige Ausbau des Islamunterrichts sind Ausdrucksformen unserer Wertschätzung.

Darüber hinaus wollen wir mehr Migranten in den Schuldienst bringen und die interkulturelle Kompetenz aller Lehrkräfte stärken. In der Pflege streben wir die Förderung der interkulturellen Altenpflegeausbildung an. Da zukünftig viele Menschen mit anderen kulturellen Hintergründen in Altenheimen betreut werden, ist es notwendig, sich schon jetzt der Qualifizierung von Fachpersonal zu widmen.

Diskriminierung, soziale Ungleichheit und Ausgrenzung sind in Deutschland leider immer noch ein Thema. Diese Themen führen angesichts der zunehmenden Auswanderungsneigung einer nicht zu unterschätzenden Zahl an hoch qualifizierten Migranten zum Brain- Drain. Wie kämpfen Sie gegen diese gesellschaftliche Ungleichheit an?

Hessen ist das internationalste und weltoffenste Bundesland in Deutschland. 92% der hier lebenden Migranten fühlen sich wohl in Hessen. Diese Zahl zeigt, dass wir bei der Integration viel erreicht haben. Die CDU fragt nicht, woher ein Mensch kommt, sondern versucht, allen beste Chancen zu geben. Durch unsere gute Wirtschaftspolitik haben mehr Menschen Arbeit, als je zuvor, wir haben mehr Ausbildungsplätze als Bewerber. Die Zahl der Schulabbrecher konnten wir drastisch senken, noch nie haben so viele Schüler Abitur gemacht und studiert. Durch das Programm IUBA Handwerk („Internationale Unternehmen bilden aus“) wird speziell um Fachkräfte mit Migrationshintergrund geworben. Alle werden bei uns gebraucht und die CDU steht dafür, dass jeder hier seine Chance bekommt. In Hinblick auf die Gesellschaft ist mir besonders wichtig, das ehrenamtliche Engagement zu stärken, denn überall dort, wo Menschen sich gemeinsam engagieren, hat Ausgrenzung keine Chance.

Immer mehr Politiker fordern gerade in Polizei, juristischen Einrichtungen und Verwaltungsbehörden die öffentliche Präsenz von Mitarbeitern aus Einwandererfamilien, um eine Steigerung des Sicherheitsempfindens und eine Gewährleistung der Gleichberechtigung in Deutschland zu erreichen. Wie ist Ihre Haltung zu dieser Forderung?

Menschen mit Migrationshintergrund sind ein ganz selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft. Das sollte sich auch im Staatsdienst zeigen. Deshalb haben wir in unserem Zukunftsprogramm stehen, dass wir verstärkt Migranten im Landesdienst, insbesondere im Polizei- und Schuldienst sowie bei Bürgerämtern einstellen wollen.

Sie sind vor kurzer Zeit Opa geworden, wir gratulieren. Wird dieses Ereignis eventuell in Zukunft Ihren Focus auf Themen wie Kinderbetreuung etc. intensivieren?

Vielen Dank. Ich bin ein echter Familienmensch und sehr dankbar für mein Enkelkind. Die CDU ist traditionell die Familienpartei, wir haben in diesem Bereich schon sehr viel erreicht und machen weiter: Es ist ein wichtiger Erfolg und Ergebnis der gemeinsamen Anstrengung von Bund, Land und Kommunen, dass wir den gesetzlich vorgeschriebenen Versorgungsgrad im U3-Bereich von 35% zum 1. August nicht nur erreicht, sondern mit 36,3% sogar übertroffen haben. Das war eine enorme Kraftanstrengung. Dafür wurden in Hessen seit 2008 über 260 Millionen Euro in den Ausbau investiert. Aktuell haben wir mehr als 54 000 Plätze. Bis Ende des Jahres können die Kommunen mit bereits abrufbaren Fördermitteln des Landes mehr als 60 000 Plätze bereitstellen und damit den Versorgungsgrad auf über 40 Prozent steigern.

Wir haben beim rasanten Ausbau der Kapazität – anders als einige rot-grüne Bundesländer, wie zum Beispiel Rheinland-Pfalz, wo es keinen eigenen Betreuungsschlüssel für die Zweijährigen gibt – die Qualität im Blick behalten und darauf geachtet, dass hier gute Betreuungsplätze entstehen, die frühkindliche Bildung und nicht nur Kinderaufbewahrung ermöglichen. Mit dem Kinderförderungsgesetz bringen wir erheblich mehr Geld, mehr Fördergerechtigkeit und mehr Qualität in die Kinderbetreuung in Hessen. Hier stellt das Land ab 2014 jährlich durchschnittlich rund 425 Millionen Euro für den Betrieb der Kindertageseinrichtungen zur Verfügung – mehr Geld als je zuvor in Hessen und nochmal rund 20 Prozent mehr als in diesem Jahr.

Im U3-Bereich sind wir so auf dem Weg zu echter Wahlfreiheit für junge Familien zwischen qualitativ hochwertigen Betreuungsangeboten und der elterlichen Betreuung in den ersten Lebensjahren, die wir z.B. mit dem Elterngeld oder dem Betreuungsgeld ebenfalls fördern und weiter unterstützen wollen. Mit der Umsetzung des „Pakts für den Nachmittag“, mit dem wir die Nachmittagsbetreuung in der Grundschule flexibel und in Ergänzung zu Ganztagsschule und Familie sicherstellen wollen, werden wir lückenlose, vielfältige und differenzierte Betreuungsmöglichkeiten für alle Kinder bis zum zwölften Lebensjahr zu Verfügung stellen. Das schafft Wahlfreiheit und ist Ausdruck unserer an den unterschiedlichen Bedürfnissen von Familien orientierten Politik.

Die generelle Partizipation bei den Wahlen lässt zu wünschen übrig. Wie gehen Sie mit diesem Thema um?

Ich habe den Landtagswahltermin ganz bewusst auf den Termin der Bundestagswahl gelegt, weil das eine gute Möglichkeit ist, die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Wir führen einen fairen Wahlkampf, in dem es um die besten Rezepte für unser Land geht. Mir ist es wichtig, dass die Politik nicht die Gesellschaft spaltet. Ich will alle Menschen mitnehmen. Das ist die rote Linie meiner Regierungspolitik. Die Vereinbarung zur Schuldenbremse sowie der Energiegipfel waren in der Vergangenheit Ausdruck dieses Anspruches. Ich will ein bürgernaher Ministerpräsident sein und mit den Menschen ins Gespräch kommen. Deshalb halte ich regelmäßig Bürgersprechstunden ab. Im vergangen halben Jahr haben wir unser Zukunftsprogramm in einem offenen Programmprozess gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern erarbeitet. Wir haben fast 1000 Denkanstöße erhalten und hatten offene Diskussionen über unsere programmatische Ausrichtung. Bei der CDU sind alle willkommen und herzlich eingeladen, sich einzubringen. Ich werde auch weiterhin alle einladen, politisch teilzuhaben und das Gespräch mit den Menschen suchen.

Das Wahlverhalten der türkischstämmigen Wähler hat sich nach unseren Ermittlungen stark verändert. Aus ehemals überwiegenden SPD-Wählern sind nun auch CDU-, Grünen- und FDP-Wähler geworden. Mit welcher Botschaft würden Sie noch nicht entschlossene Wähler aus dem Einwanderermilieu für die CDU begeistern wollen?

Auch die türkischstämmigen Wähler haben erkannt, dass die CDU die Partei ist, die ihnen die Chance gibt, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Wir fragen nicht, woher ein Mensch kommt, sondern freuen uns, wenn er sich bei uns einbringt und sein Leben gestaltet. Wir wollen die Rahmenbedingungen so gestalten, dass alle Menschen beste Chancen haben.

Außerdem ist die CDU die Familienpartei. Wir halten die Familienarbeit für eine besonders wertzuschätzende die wertvollste Form der Arbeit, hier werden Werte wie Familiensinn geschaffen und gelebt – und das ist unbezahlbar.

Hier die Spitzenkandidaten aller großen Parteien in Hessen:

In Hessen tritt eine besonders weit rechts stehende CDU und eine sich daran anpassende FDP gegen eine besonders etatistische rot-grüne Opposition an.