Connect with us

Gesellschaft

Vom türkischstämmigen Außenseiter zum deutschen Islamlehrer

Published

on

Der Imam Talha Dogan steht am 06.02.2015 in die Eyüp-Sultan-Moschee in Nürnberg (Bayern). In die Moschee in der Nürnberger Südstadt - die größte Moschee in Bayern - kommen jeden Freitag bis zu 2500 gläubige Muslime zum Beten und zum Diskutieren.
Spread the love

Als Jugendlicher fühlte er sich ausgeschlossen, als Islamlehrer will Kadir Çapan künftig Schüler zur gesellschaftlichen Teilhabe animieren. In Deutschland fehlen aktuell noch viele Lehrer für das Fach. Was Menschen wie Kadir antreibt, diesen Beruf zu lernen.

Von Cindy Riechau, dpa

Eigentlich hat er nie eine Zukunft für sich in Deutschland gesehen, nun will Kadir Çapan dem deutschen Staat dienen – als Islam-Lehrer. In seiner Jugend fühlte sich der türkischstämmige 26-Jährige von der Mehrheitsgesellschaft nicht akzeptiert und wollte in die Türkei auswandern. Heute sieht der junge Mann mit der schwarz umrandeten Brille und dem ernsten Blick die Sache anders. Wo seine wahre Heimat ist, weiß er inzwischen: «Wenn ich mal ein, zwei Wochen in der Türkei bin, vermisse ich Deutschland total.»

Seinen künftigen Schülern will Çapan, der am Institut für Islamische Theologie in Osnabrück auf Lehramt studiert, zur Teilhabe motivieren: «Ich möchte mündige und selbstbewusste Schüler erziehen, die ihren Platz in der hiesigen Gesellschaft finden.» Die muslimische Community müsse aktiver, die Mehrheitsgesellschaft offener werden, sagt Çapan.

Lehrer wollte der junge Mann schon werden, als er sich noch nach einer Zukunft in der Türkei sehnte. Als Leiter einer Türkisch-AG brachte er Mitschülern die Sprache bei und hatte viel Spaß dabei. In der Schule in einer schleswig-holsteinischen Kleinstadt war Çapan eine Zeit lang der einzige Schüler mit türkischem Hintergrund. «Unter Lehrern und Schülern galt ich als Islam-Experte.» Weil er selber gläubig ist, entschied er sich für die Laufbahn als Islam-Lehrer. «Die Berufsaussichten nach dem Studium beziehungsweise dem Referendariat sind sehr positiv», sagt der Koordinator des Osnabrücker Instituts für Islamische Theologie, Coşkun Sağlam.

Der Bedarf an Islam-Unterricht sei groß, sagt Sağlam. In Niedersachsen besuchten im vergangenen Jahr laut Kultusministerium von den gut 68 000 muslimischen Schülern nur rund 4000 den Islam-Unterricht. Das Problem: Lehrkräfte sind rar. Nach Angaben des Kultusministeriums unterrichten aktuell 36 Männer und Frauen das Fach an 62 öffentlichen Schulen im Land. Im Jahr 2014 gab es 30 Lehrer für das Fach.

Den Islamlehrermangel bekommen auch die Studenten zu spüren. Kadir Çapan, der im Nebenfach Latein und Italienisch studiert, hat in Osnabrück bislang noch keinen Praktikumsplatz gefunden. In Niedersachsen gibt es nur vier Gymnasien, die das Fach anbieten – und somit angehenden Lehrern die Möglichkeit, Praxiserfahrungen zu sammeln. Das Institut für Islamische Theologie in Osnabrück und sechs weitere Forschungseinrichtungen sollen helfen, den Mangel zu beheben.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt die Institute in Niedersachsen, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Berlin deshalb nach eigenen Angaben mit über vier Millionen Euro pro Jahr. Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) will auf diese Weise die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem islamischen Glauben sowie die Integration der Muslime in die Gesellschaft fördern. Dabei helfe auch die Lehrerausbildung: «Es ist wichtig, dass der Staat hier aktiv wird, um nicht anderen die Vermittlung des islamischen Glaubens allein zu überlassen», sagte Karliczek der Deutschen Presse-Agentur.

Bundesweit gibt es islamischen Religionsunterricht auch in Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz sowie als Modellversuch im Saarland. Insgesamt belegten im vergangenen Jahr nach Angaben der Konferenz der Kultusminister der Länder knapp 31 000 Schüler das Fach. In Schleswig-Holstein, Bayern und Nordrhein-Westfalen besuchen zudem fast 25 000 Kinder und Jugendliche in öffentlichen Schulen den Unterricht «Islamkunde». Das Fach ist anders als der islamische Religionsunterricht nicht bekenntnisorientiert.

«Im Unterricht lernen die Jugendlichen, ihren Glauben zu verstehen und zu hinterfragen», betont Çapan, während er durch den Flur des Instituts für Islamische Theologie in Osnabrück läuft. «In den Moscheegemeinden geht es dagegen eher um Glaubenspraktiken.» So lernen Kinder und Jugendliche dort Hochschullehrer Sağlam zufolge etwa Arabisch und Koranverse zu lesen. Der staatliche Unterricht verfolge einen anderen Ansatz und fördere beispielsweise auch die Bereitschaft zum Dialog mit anderen Religionsgemeinschaften. Nach Ansicht von Çapan beugt er zudem Extremismus vor: «Jugendliche ohne wirkliches Wissen über den Islam sind gefährdeter, von religiösen Extremisten manipuliert zu werden.»

Erst seit 2012 gibt es in Deutschland Studiengänge, die Islamlehrer ausbilden. Jetzt fangen die ersten Master-Absolventen Sağlam zufolge ihr Referendariat an. Aktuell sind 150 Lehramtsstudenten für das Fach Islamische Religion in Osnabrück eingeschrieben. Vor allem junge Frauen und Männer mit türkischem, arabischem, und bosnischem Migrationshintergrund studierten das Fach. Hochschullehrer Sağlam geht davon aus, dass Niedersachsens Schulen bald von Osnabrücker Absolventen wie Çapan profitieren werden.