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Gesellschaft

Vorurteile gegenüber Minderheiten: Ziffer 12.1 des Pressekodex auf dem Prüfstand

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Auch Asylbewerber sollen an Silvester Frauen belästigt haben. In Brandenburg stehlen mitunter Polen Autos. Dürfen Journalisten das so schreiben? Und was ist mit der entsprechenden Regel im Pressekodex?

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Die Belästigung von Frauen in der Silvesternacht ist jetzt drei Wochen her – seitdem tobt eine Diskussion über kriminelle Asylbewerber, Abschiebungen und sexuelle Gewalt. Zunehmend gerät auch ein weiterer Aspekt in die Debatte, der in dieser Heftigkeit in der Regel nicht so eine große Rolle in der Öffentlichkeit spielt: der Pressekodex, Ziffer 12. Danach darf niemand diskriminiert werden.

Im Fall der Übergriffe in Köln und anderen Großstädten geht es um die Richtlinie 12.1: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.“ Es wird darauf hingewiesen, „dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte“.

Unter den Tatverdächtigen aus der Silvesternacht sind laut Polizei Asylbewerber. Kurz nach den Gewalttaten hatte es geheißen, dass eine große Menge nordafrikanisch beziehungsweise arabisch aussehender Männer Frauen umzingelt, sexuell belästigt und bestohlen habe. Diese Information gelangte angeblich nur langsam an die Öffentlichkeit – nicht nur seitens der Polizei, sondern auch einiger Medien.

Professor Altmeppen: „Sachverhalte klar benennen“

Das war Wasser auf die Mühlen derjenigen, die gegen die vermeintliche „Lügenpresse“ hetzen und den Verdacht hegen, dass Fakten, die nicht der allgemeinen Stimmungslage entsprechen, unter den Teppich gekehrt würden. Klaus-Dieter Altmeppen, Journalistik-Professor an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, dringt darauf, Sachverhalte klar zu benennen. Das gelte auch für Politiker. „Das
geht aber wohl nicht so einfach in dieser aufgeladenen Diskussion.“

„Die Richtlinie 12.1 ist nicht unumstritten, auch im Presserat. Es hat immer Diskussionen darüber gegeben“, sagt Edda Eick, Referentin beim Deutschen Presserat. Dieser ist ein publizistisches Selbstkontrollorgan, in dem Verleger- und Journalistenverbände zusammengeschlossen sind. Wer mit einer Berichterstattung nicht einverstanden ist, kann sich beim Presserat beschweren.

2015 war Eick zufolge ein Rekordjahr: Nach vorläufigen Zahlen gingen rund 2.350 Beschwerden ein – 2014 seien es knapp 2.000, davor 1.347 gewesen. Im Zusammenhang mit der Silvestergewalt habe der Presserat bislang etwa 25 Beschwerden erhalten.

Formulierung nicht in Stein gemeißelt – Beschwerden wegen Sinti und Roma

Die Richtlinie 12.1 des Pressekodex gibt es Eick zufolge seit 1988. „Das Ziel war, Gruppen und Minderheiten zu schützen, gegenüber denen es tief verwurzelte Vorurteile gibt.“ Die Berichterstatter sollten sensibilisiert werden. In der Vergangenheit habe es immer wieder Beschwerden gegeben, beispielsweise vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma – etwa wenn es um vermeintliche Raubzüge dieser Gruppe geht.

In Stein gemeißelt ist die aktuelle Formulierung der Anti-Diskriminierungs-Richtlinie des seit 1973 bestehenden Pressekodex aber offenbar nicht. Bei der nächsten Plenumssitzung des Presserats am 9. März in Berlin wird das Thema diskutiert – ergebnisoffen und ohne Vorgabe, wie Eick betont.

Am Dienstag stand mit Blick auf Richtlinie 12.1 in der „Süddeutschen Zeitung“ dieser Gedanke: „Womöglich wird sie umformuliert, um ganz klarzumachen, dass es keine General- und Zweifelsregel gibt, es also wirklich um Abwägung im Einzelfall geht.“

Zuletzt forderten die Neuen Deutschen Medienmacher hingegen die radikale Einhaltung des Pressekodex. Allen Medienschaffenden, die darauf beharren, die Herkunft von Straftätern zu thematisieren, empfahl der Zusammenschluss „im Sinne der ausgleichenden Gerechtigkeit“, dies bei ausnahmslos allen Tätern zu tun. „Die aus Köln stammende, evangelisch getaufte, mutmaßlich atheistische und 2011 wegen Verleumdung verurteilte deutsche Steuerhinterzieherin Alice Schwarzer“, war eines der vorgeschlagenen Beispiele.

„Recherchieren, abwägen, keine Gerüchte streuen“

„Die Ereignisse von Köln sind eine Zeitenwende“, sagt der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall. „Wir haben hier eine neue Entwicklung.“ Auch er betont, dass man den Einzelfall abwägen müsse. Er stelle insgesamt eine Verunsicherung fest. Das Thema müsse man in Ruhe angehen, von Schnellschüssen halte er nichts.

Überall und Altmeppen empfehlen Journalisten, souverän ihr Handwerk anzuwenden: recherchieren, abwägen, keine Gerüchte streuen. „Sonst unterscheiden wir uns vom digital verlängerten Stammtisch nicht mehr“, sagt Überall mit Blick auf Populismus im Internet. Altmeppen rät nicht nur dazu, die Medienethik hochzuhalten. Sinnvoll wäre seiner Meinung nach ein Krisenmanagement-Handbuch für Redaktionen, um im Fall der Fälle vorbereitet zu sein und aus schon einmal gemachten Erfahrungen lernen zu können.