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Kolumnen

Vorverurteilung für Germanwings

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Im Raum steht eine personalisierte These, so als wäre jetzt schon klar, dass der Co-Pilot der Germanwings-Maschine depressiv und selbstmordgefährdet gewesen sei und das Unglück zu verantworten habe.

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Es kommt hin und wieder vor, dass die Kriminalbeamten verfahrenswidrig frühzeitig über den Untersuchungsstand eines Unglücks oder einer Untat Auskünfte an die Öffentlichkeit geben. Nach allem, was man bis heute weiß, war dies beim Oktoberfestattentat 1980 der Fall. Durch die frühzeitige Verbreitung der Einzeltäterthese, die einen angeblich einsamen Studenten in Verruf brachte, wurden die weiteren Ermittlungen und die Wahrnehmung des Ereignisses in der Öffentlichkeit wesentlich beeinflusst. Es ist wesentlich dem Journalisten Ulrich Chaussy zu verdanken, dass er durch unvoreingenommene Recherche Fakten ans Licht brachte, die sonst in der Versenkung der Einzeltäterthese verschwunden wären. Die Wiederaufnahme des Verfahrens steht nun nach so vielen Jahren tatsächlich an.

Mit dieser einen Ähnlichkeit enden auch schon die Parallelen zum Flugzeugabsturz des Germanwings Airbus vor über einer Woche. Doch in der Tat war die schnelle Veröffentlichung eines Teilergebnisses der Ermittlungen, wie es zu dem Absturz kommen konnte, entscheidend in der Wahrnehmung der Tragödie. Zunächst schien es so, als sei der französische Staatsanwalt Robin etwas zu forsch vorgeprescht und hat das geschildert, was auf dem Audioflugschreiber aus dem Cockpit heraus zu hören war.

Jedoch beruft man sich in Frankreich darauf, dass bereits zuvor in ausländischen Medien Informationen zum Stimmenrekorder veröffentlicht worden waren, die einen gewissen Druck auf die französischen Behörden ausgeübt hätten. Wer für diesen Leak verantwortlich ist, scheint aber bisher nicht Teil der Untersuchungen zu sein. Schließlich habe man in der ersten Pressekonferenz und vor der Auswertung des zweiten Flugschreibers, der die technischen Daten der Unglücksmaschine enthält, und vor dem Abschluss der langwierigen forensischen Untersuchungen mit den veröffentlichten Teilinformationen eine These in die Welt gesetzt.

Im Raum steht eine personalisierte These, so als wäre jetzt schon klar, dass der Co-Pilot depressiv und selbstmordgefährdet gewesen sei und das Unglück zu verantworten habe. Die gefundenen Krankschreibungen in seiner Wohnung bzw. die sofortigen Veröffentlichungen darüber verstärken diesen Eindruck noch – dagegen kann kein Experte für Depressionen und andere psychische Erkrankungen mehr mit Fachwissen ankommen.

Gegen diesen Eindruck hilft auch die langsam einsetzende Medienkritik nichts, die immerhin festgestellt hat, dass man über das Empfinden der Opferangehörigen hinweg gehandelt habe und der Sensationslust in Windeseile freien Raum gegeben habe.

Natürlich ist auch die These von einem quasi erweiterten Selbstmord möglich. Aber inzwischen verschaffen sich doch einige kompetente Stimmen Aufmerksamkeit – etwa in der Baseler Zeitung. Nicht nur in der Schweiz wundert man sich über die schnelle Einigung auf die Absturzursache. Normalerweise dauern solche Untersuchungen Jahre. Auf die Veröffentlichung von Untersuchungsergebnissen wartet man nicht zuletzt im Unglücksall des Fluges MH17 über der Ukraine.

Piloten schütteln den Kopf. Das Hörbare auf einem Stimmenrekorder der Germanwings-Maschine ist begrenzt aufgrund der Lautstärke im Cockpit. Kopfhörer und Mikrophon setzen die Piloten aber nicht im normalen Flugbetrieb auf. Wer ruhig in den Tod atmet wäre zudem wohl eher ohnmächtig, als kaltblütig. Auch sei es aufgrund des Geschilderten noch lange nicht gesichert, dass es der Kapitän war, der gegen die Cockpit-Tür schlug.

Über den zweiten Flugschreiber gibt es widersprüchliche Angaben. Teilweise wurde berichtet, dass er ohne Speicherkarte gefunden worden sei. Dann wurde korrigiert, dass er noch nicht gefunden sei – bei einer Fläche von zwei Hektar, auf der die Trümmerteile des Flugzeugs verstreut sind, ist ein schnelles Auffinden auch nicht sehr wahrscheinlich.

Das mag für die Angehörigen der Opfer kaum erträglich sein. Aber auch die falsche Erklärung wird keinen Trost spenden, wie überhaupt es keinen wirklichen Trost geben kann. Die menschliche Tragödie betrifft aber auch die Angehörigen der beiden Piloten und das auch in dem Fall, wenn sich die Selbstmordthese in Zukunft noch bestätigen sollte.