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Kolumnen

Vorwärts in die Vergangenheit

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„Er hat wieder sein hässliches Gesicht gezeigt.“

„Es gibt manche, spuckt man auf ihr Gesicht, so sagen sie ’Es regnet’. Sie sind so unverfroren. Er ist so einer.“

„Er ist wie eine ‚blinde Mine‘, von der man nicht weiß, wen sie wann trifft..“

„Armseliger…“

„Ehrloser…“

„Ist es nicht er, der die Terroristen verteidigt?“

„Über seinen geistigen Gesundheitszustand haben wir keine genaue Kenntnis.“

„Warum soll ich jemanden ernst nehmen, den das Volk ignoriert?“

„Was er über unseren Allah gesagt hat, darauf möchte ich gar nicht eingehen… Allah soll ihn bessern und uns ein Freund und Helfer sein.“

Ja, das sind harte Worte. Gesprochen hat sie Recep Tayyip Erdoğan, der als Staatspräsident laut Verfassung überparteilich und unparteiisch sein muss. Adressat ist Kemal Kılıçdaroğlu, Vorsitzender der größten Oppositionspartei CHP. Anlass war die Kritik Kılıçdaroğlus an Erdoğan: Beim CHP-Parteitag warf er Erdoğan vor, nicht unparteiisch zu sein, dadurch gegen die Verfassung zu verstoßen und nannte ihn einen Möchtegern-Diktator („diktatör bozuntusu“).

Erdoğans Antwort darauf fiel hart aus, wie oben zitiert. Doch es blieb nicht dabei. Ein Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen gegen Kılıçdaroğlu ein, wegen Beleidigung des Präsidenten. Ihm droht eine Haftstrafe zwischen einem und vier Jahren. Der Chefberater Erdoğans Yiğit Bulut trat währenddessen im Staatsfernsehen TRT auf und brachte die Verstaatlichung der İş Bankası ins Spiel, an der die CHP Anteile hält. Es ist nicht davon auszugehen, dass er das aus eigener Initiative und ohne Wissen seines Arbeitgebers gesagt hat.

Einige türkische Zeitungen haben geschrieben, dass der Tag, an dem Erdoğan diese Worte aussprach, der Tag gewesen sei, an dem die politische Höflichkeit in der Türkei zu Grabe getragen wurde. Dass diese Aussage die ganze Wahrheit abbildet, ist stark zu bezweifeln. Wenn ein Präsident einen Oppositionsführer derart beleidigt, wenn ein Staatsanwalt Ermittlungen gegen ihn einleitet, wenn ein Präsidenten-Berater die Verstaatlichung einer Bank vorschlägt, dann kann man sich  nicht nur Sorgen um die politische Höflichkeit machen. Dann geht es um mehr.

Erdoğan und die seinen sind damit groß geworden, die CHP zu beschimpfen. Sie klagten bei jeder Gelegenheit die Periode der Einparteienherrschaft der CHP bis 1950 an („tek parti zulmü“). Nun sind sie selbst dabei, die Opposition brutal zu zerschlagen. Die nationalistische MHP ist auf ihrer Seite, die HDP könnte bald verboten werden und mit der CHP wird umgegangen, als handelte es sich um einen Klub von Kriminellen und Nichtsnutzen. Sie scheuen vor nichts zurück. Sie zielen darauf ab, ihre Gegner nicht nur als Politiker, sondern auch als Menschen zu zerstören.

Ist es ihre Kultur? Sieht sie so aus, ihre Zivilisation, von der sie so oft sprechen? Darf in ihrem Politikverständnis ihr Präsident nicht kritisiert werden, dieser aber jeden beleidigen und niedermachen? Aus ihrer Perspektive bleibt zu hoffen, dass sie die Macht nie mehr verlieren. Ein solch hässliches Gesicht nämlich ist zu nichts anderem mehr zu gebrauchen als zu brutaler Machtausübung.