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Politik

Wahlen in der Türkei: Die Geister und die Urne

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Wahlzettel, Stimmzettel auf dem Tisch
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Im März stehen in der Türkei Kommunalwahlen an. Vielerorts mehren sich Berichte von Wählern, die es gar nicht gibt. Ist das schon Wahlbetrug oder nur Unfähigkeit der obersten Wahlbehörde?

Ein Heer an Gespenstern geht um: Sie sind 140 Jahre alt, wohnen zu Dutzenden in baufälligen Baracken oder ziehen von der Stadt aufs Land und zurück. Einige wohnen mitten in Istanbul in der fünften Etage eines vierstöckigen Gebäudes – wie von Geisterhand. Mit dem Gespenstern sind sogenannte „Geisterwähler“ gemeint: Wähler, die es gar nicht gibt. Ein Phänomen, das häufig im Kontext von Wahlen in der Türkei auftaucht, pünktlich zur Ende März stattfindenden Kommunalwahl.

Die Opposition wittert bereits eine gezielte Wahlmanipulation zugunsten der Erdoğan-Partei AKP. Zumal die Regierungspartei Erhebungen zufolge sowohl in der Hauptstadt Ankara als auch in der Millionenmetropole Istanbul mit einer Niederlage rechnen muss. Zwar ließ der türkische Präsident angesichts der Berichte um Wahlmanipulation ein lakonisches „das darf nicht sein“ verlautbaren. Unregelmäßigkeiten sind bei Wahlen in der Türkei aber keine Seltenheit.

Katze löst Stromausfall aus?

Vor zwei Jahren erklärte der Hohe Wahlrat, die oberste Wahlorganisation der Türkei, überraschend, dass auch Stimmzettel ohne offizielle Verifizierung gültig seien. Die Konsequenz: Erdoğans Partei gewann knapp. Dazu passt ein Vorfall von der bislang jüngsten Kommunalwahl 2014: Als bei der Auszählung der Stimmen in Teilen der Hauptstadt der Strom ausfiel, erklärte die Regierung, eine Katze habe in einem Trafohäuschen einen Kabelbrand ausgelöst. Auch damals gewann die AKP in Ankara denkbar knapp, mit einem Prozent Vorsprung.

Neue Fälle von „Geisterwählern“ veröffentlicht die türkische Opposition mittlerweile fast täglich. Ein besonders dreister Fall: die angebliche Erstwählerin Ayse Ekici aus der Kleinstadt Kayseri. Sie wurde vor 165 Jahren im Osmanischen Reich geboren. Laut CHP-Vizechef Onursal Adigüzel ist sie kein Einzelfall. Insgesamt habe seine Partei mehr als 6.400 registrierte Wähler im Alter zwischen 100 und 165 Jahren entdeckt.

Ein weiterer Manipulationsfall ereignete sich jüngst in der Kommune Artvin an der georgischen Grenze, wie die ARD-Tagesschau berichtet. Dort seien in einer Straße mit sechs Häusern knapp 100 Wähler registriert worden. Blöd nur, dass die Häuser eher Baracken sind, die zudem seit Jahren unbewohnt seien, wie ein Nachbar berichtet.

Social-Media-Phänomen

Die Gespenster sind in den sozialen Netzwerken eine Riesennummer. Auf Twitter, Facebook und Co. hagelt es Spott und Häme. „Überall tauchen imaginäre Wähler auf. In einem Land, in dem die Wähler imaginär sind, kann man nur von einer imaginären Demokratie reden“, schreibt einer auf Twitter.

Der Hohe Wahlrat will die Berichte um Geisterwähler nun noch einmal prüfen. Bei insgesamt hunderttausend eingegangenen Hinweisen in Sachen Wählerregistrierung sprechen Beobachter bereits von systematischer Manipulation.

Der Spuk um die Geisterwähler geht einstweilen weiter.