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Politik

Wahlinitiative formuliert Erwartungen an die neue Bundesregierung

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Die mehrheitlich aus türkischen Verbänden bestehende Wahlinitiative „Gehe Wählen“ hat einen offenen Brief verfasst, in dem sie ihre Erwartungen an die neue Bundesregierung formuliert.

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An die 40 mehrheitlich türkische Vereine und Verbände hatten sich im August in der Initiative „Sandığa Git – Gehe Wählen“ zusammengefunden und die wahlberechtigten Migranten aufgefordert, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Nun formulierte die Initiative ihre Erwartungen an die neue, noch zu gründende Bundesregierung. Der aus neun Punkten bestehende Forderungskatalog wurde am heutigen Freitag der Öffentlichkeit vorgestellt.

Der Sprecher der Wahlinitiative, Dr. Yaşar Bilgin, erhofft sich durch den offenen Brief, die Teilhabe der Migranten an der Demokratie weiter zu stärken. Die Initiative, der u.a. ATIAD, DITIB, IGMG, der Zentralrat der Muslime, KRM und die Deutsch-Arabische Gesellschaft angehören, werde auch nach der Bundestagswahl fortbestehen und bei kommenden Wahlen die wahlberechtigten Migranten zur demokratischen Partizipation anregen.

Das DTJ dokumentiert im Folgenden die heute bekannt gewordenen neun Forderungen.

1. Integrationspolitik im Bundeskabinett neu verorten

Der Zeitpunkt ist gekommen den Erfordernissen einer sich grundlegend wandelnden Gesellschaft durch die Schaffung eines eigenen Bundesressorts für Migrationspolitik oder dementsprechend durch eine Erweiterung des Verantwortungsbereiches des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gerecht zu werden. Hier wäre dann auch der bestehende nationale Integrationsgipfel inhaltlich und personell einer Evaluierung zu unterwerfen.

2. Obligatorische Sprachtests für Familienzusammenführungen abschaffen

Im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes obliegt es einer neuen Bundesregierung, die bestehende Praxis für den Nachzug von Ehegatten aus rechtlichen, aber auch humanitären Gesichtspunkten umgehend zu beenden und für eine Gleichbehandlung aller Mitbürger unseres Landes Sorge zu tragen. Einer Verpflichtung zur Teilnahme an integrationsfördernden Maßnahmen und Sprachkursen nach der Einreise in die BRD steht nichts entgegen.

3. Doppelte Staatsbürgerschaft einführen

Die Mehrheit der im neuen Bundestag vertretenen Parteien hat sich vor den Wahlen positiv zur Frage der doppelten Staatsbürgerschaft positioniert, so dass wir von der neuen Bundesregierung die Erleichterung der Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit und damit zusammenhängend die Abschaffung der Optionspflicht fordern.

4. Sprachkompetenz fördern

In zahlreichen Großstädten unseres Landes hat die Mehrheit der Neugeborenen einen Migrationshintergrund und der Anteil dieser hat in den letzten Jahren weiter zugenommen. Ein großer Teil dieser Kinder wächst mit einer anderen Mutter- oder Familiensprache als der Deutschen auf und verfügt somit später über eine Zweisprachigkeit. In einer globalen, immer enger vernetzten Welt ist die Zweisprachigkeit bzw. Mehrsprachigkeit einer großen Bevölkerungsgruppe ein Wettbewerbsvorteil und Schatz für einen Staat, den es effektiv zu fördern und zu nutzen gilt. Aus diesem Grund fordern wir die Zweisprachigkeit zu fördern und bereits im Kindergarten und Schule neben der Förderung der deutschen Sprache auch die Förderung der Muttersprache dieser Kinder zu berücksichtigen.

5. Beitrittsprozess der Türkei in die EU aktiv unterstützen

Als Initiative befürworten wir den Beitritt der Türkei in die EU aus wirtschaftlichen, kulturellen, geo- und integrationspolitischen Erwägungen und erwarten uns von der neuen Bundesregierung eine aktive Unterstützung und Beschleunigung der ins Stocken geratenen Beitrittsverhandlungen.

6. Verwaltung öffnen und interkulturelle Kompetenz stärken

Für eine moderne Gesellschaft stellt die interkulturelle Kompetenz der Bevölkerung, aber auch der Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes, eine der wichtigsten Faktoren für ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Kulturen dar. Aus diesem Grund fordern wir die Förderung von interkultureller Kompetenz in Schule und Ausbildung sowie für Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes und des Gesundheitswesens, um so unsere Gesellschaft zukunftsfähig zu machen und Konflikten und Vorurteilen entgegen zu wirken. Auch die vermehrte Einstellung von Migranten in den öffentlichen Dienst und hier besonders für den mittleren und gehobenen Dienst wird die Wahrnehmung dieser Menschen in der Gesamtgesellschaft positiv beeinflussen und die Identifikation der Migranten mit der Gesellschaft steigern.

7. Kommunales Wahlrecht einführen

Für in Deutschland lebende Drittstaatenangehörige fordern wir das Kommunalwahlrecht, wie es bereits für EU-Bürger gilt.

8. Rassismus und Islamfeindlichkeit aktiv bekämpfen

Viele Untersuchungen und Studien bestätigen, dass Rassismus und Islamfeindlichkeit in unserem Land beunruhigende Ausmaße angenommen haben. Laut einer jüngst veröffentlichen Bertelsmann-Studie empfindet die Hälfte unserer Bevölkerung den Islam als Bedrohung. Dieser gesellschaftlichen Fehlentwicklung gilt es gemeinsam Einhalt zu gebieten. Hierzu ist es zum einen erforderlich, ganzheitliche Programme zur aktiven Auseinandersetzung mit Rassismus und Islamfeindlichkeit zu etablieren und finanziell zu fördern. Dabei könnte die neue Koalition die schwedische Regierung zum Vorbild nehmen, die die Ausgaben zur Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz erhöht. Über die bereits beschlossenen 4,6 Millionen Euro hinaus sollen dafür im Laufe er kommenden vier Jahre weitere 2,3 Millionen Euro bewilligt werden.

Darüber hinaus müssen aber auch im Lichte des NSU-Terrors und der damit verbundenen Aufklärungsarbeit tiefgreifende Reformen bei den Sicherheitsbehörden initiiert und konsequent umgesetzt werden, damit das in seinen Grundfesten erschütterte Vertrauen in selbige Stück für Stück wieder aufgebaut werden kann.

9. Religionsgemeinschaften gleichstellen

Einen wichtigen Baustein für das Zusammenwachsen unserer Gesellschaft stellt die rechtliche Gleichstellung der islamischen Religionsgemeinschaften mit den etablierten Religionsgemeinschaften dar. Bundesländer wie Hamburg und Bremen haben mit der Unterzeichnung und Ratifizierung von vertraglichen Vereinbarungen diesbezüglich einen bedeutenden Schritt getätigt. Weitere Länder stehen vor dem Abschluss entsprechender Verhandlungen. In zahlreichen Bundesländern soll der bekenntnisgebundene Religionsunterricht flächendeckend eingeführt werden. Der Bund fördert bereits die Etablierung von Lehrstühlen für islamische Theologie und kann seinerseits den auf Länderebene laufenden Gleichstellungsprozess, beispielsweise durch die vertragliche Regelung der Militär- und Krankenhausseelsorge mit den islamischen Religionsgemeinschaften, positiv unterstützen. Dafür ist es aber unabdingbar, die bestehende Deutsche Islamkonferenz inhaltlich und personell neu auszurichten.