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Kolumnen

Wahlsonntag: Die Rückkehr des Bösen verhindern

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Der kommende Sonntag ist Super-Wahltag in Deutschland. In drei Bundesländern, davon in zwei alten und in einem neuen, haben die stimmberechtigten Bürger die Möglichkeit der Mitentscheidung, welche Parteien mit wie vielen Abgeordneten in die Landtage von Stuttgart, Mainz und Magdeburg einziehen werden.

Bis hier ist alles im grünen Bereich. Doch der rote Bereich beginnt bei der Frage, wie hoch die Wahlbeteiligung sein wird. Fakt ist: Ein zu geringes Interesse hilft vor allem den rechtsextremen Parteien und vergrößert die drohende Gefahr bundesweiter Wahlerfolge für sie im nächsten Jahr.

Worin aber besteht die „drohende Gefahr“? Sie besteht in der Verstärkung des rechtsextremistischen Gedankenguts, das im braunen Sumpf zu politischen Parteien gedeiht. Wie einfach die rücksichtslose Instrumentalisierung von Ängsten unter den Menschen vor Schutz- und Asylsuchenden für den eigenen politischen Erfolg missbraucht werden kann, zeigt der Aufstieg der Alternative für Deutschland (AfD) und der Wurmfortsätze des klassischen Nationalsozialismus in Form der sogenannten Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD).

Die Ergebnisse der jüngsten Kommunalwahlen in Hessen waren eine Warnung vor aufkeimendem politischem Chaos in Deutschland. Der Rechtsextremismus als Kontakthof des brutalen Faschismus bietet den Stoff, aus wieder Mauern mitten in Europa, heute Stacheldrahtzäune und morgen gar Selbstschussanlagen, gebaut werden können.

Wo sind die bösen Deutschen geblieben?

Mein Bild von den Deutschen ist geprägt von meinen persönlichen ersten Erfahrungen im „Almanya“ der 60er Jahre. Damals als Kind hortete ich viele positive Erfahrungen, um noch heute davon zu zehren. Doch seit über einem halben Jahrhundert habe ich auch mit der bangen Frage gelebt, ob es wieder so schlimm wie einst werden könnte. Wie waren die Nazis? Wo sind die bösen Deutschen geblieben, die in Dokumentar- oder Spielfilmen zu sehen sind?

Inzwischen tauchen sie wieder aus der Versenkung auf. Ihre verabscheuungswürdigen Ziele waren gut genug kaschiert, um wieder als böse Geister aus den Flaschen und Wunderlampen zu entweichen.

Nach jeder Ohrfeige oder jedem Schlag mit dem Holzlineal auf meine offene Handfläche zu meiner „Züchtigung“ stellte ich mir die Lehrer in der Volksschule in Nazi-Uniformen oder Gestapo-Mänteln vor. So wie ich mir heute den hirnlosen braunen Mob und seine durchaus intelligenten Führer und Führerinnen vorstelle. Gott bewahre uns alle davor!

Meine „Rache“ bestand darin, damals ältere Menschen aus der Vergangenheit erzählen zu lassen, was sie gerne taten – wie auch ich heute gerne aus der Vergangenheit erzähle. Damals aber hakte ich in pubertärem Übermut nach und fragte: „Waren Sie ein Nazi? Haben Sie auch Menschen umgebracht?“

Natürlich war keiner von ihnen ein bekennender Nazi, keiner von ihnen wollte Menschen umgebracht haben. Dass aber die wahren Nazis nicht alle im Krieg ums Leben gekommen waren, beweisen die vielen internationalen Kriegsverbrecherprozesse bis in die Gegenwart hinein.

Eine Ohrfeige als Rache für die eigene Generation

Die ersten wirklichen früheren Nazioffiziere, die als solche überführt wurden, erlebte ich persönlich 1980 als junger Journalist bei der Berichterstattung für Reuters über einen damals aufsehenerregenden Kriegsverbrecherprozess in Köln. Drei Deutsche in ehrwürdigen Jobs waren vom französischen Rechtsanwalt Serge Klarsfeld ausfindig gemacht und nach zwölfjähriger Vorarbeit auf die Anklagebank in Köln gezwungen worden.

Der jüdische Kriegsverbrecherjäger aus Frankreich, dessen Vater von den Nazis in Auschwitz ermordet worden war, hat eine nicht minder berühmte Frau, Beate Klarsfeld. Sie hatte internationales Aufsehen erregt, nachdem sie den damaligen Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger 1968 öffentlich geohrfeigt und ihn wegen seiner NSDAP-Vergangenheit zum Rücktritt aufgefordert hatte. Ihre Ohrfeige empfand ich als unbedeutender Mitläufer der 68er Generation als Rache für die Ohrfeigen, die ich abbekommen hatte.

Von Serge Klarsfeld habe ich in vielen persönlichen Gesprächen aber auch gelernt, dass Rache als Antrieb nicht geeignet ist, Ziele zu erreichen: „Hätte ich aus purer Rache gehandelt, wäre es zu diesem Verfahren nicht gekommen“, sagte der damals 44-jährige Rechtsanwalt. Er hatte mit seiner Frau Beate dafür gesorgt, dass das Justizgebäude am Appelhofplatz in Köln zur Pilgerstätte für Menschen geworden war, die auf der Brust die Aufschrift „Juif de France“ (Juden aus Frankreich) trugen. Zu Hunderten waren sie mit dem Zug aus Frankreich angereist, um die später erfolgte Verurteilung der drei Angeklagten wegen der Deportation von 73.000 Juden aus Frankreich in Konzentrationslager verantwortlich waren.

Damit sich die Ansätze der Rückkehr des Bösen im Keim ersticken lassen, muss am Sonntag in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt eine höchstmögliche Wahlbeteiligung erreicht werden. Welche „Ansätze“ gemeint sind? Mölln, Solingen, Hoyerswerda, Pegida, brennende Flüchtlingsunterkünfte, pöbelnder Mob, der Zuwanderer, Flüchtlinge oder einfache Touristen bedroht, müssen als Warnsignale ausreichen. Die demokratische Wahlfreiheit ist zu wertvoll, um sie in den braunen Matsch vor die Säue zu werfen.