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Kolumnen

Wären Sie gerne der erste Mensch auf dem Mars?

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Eine neue Integrationsstudie bietet mit fragwürdigen Ergebnissen Nahrung für türkeikritische Medien. Gleichzeitig enthält sie auch interessante Informationen über Deutsch-Türken.

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„Wären Sie gerne der erste Mensch auf dem Mars?”, „Würde es Ihnen gefallen, ein Angebot von Real Madrid zu bekommen?“, „Wie wäre es für Sie, nicht ein, sondern zwölfmal im Jahr in den Urlaub fahren zu können?” oder: „Griechenland hoch drei: Radikale Reduzierung der Arbeitszeit bei gleichzeitiger Verdoppelung der Löhne. Gefiele es ihnen?” Zugegeben, dies sind aus der Luft gegriffene Fragen, deren Beantwortung auf den ersten Blick wenig Sinn ergibt. Wenn es gut geht, entlocken sie einem vielleicht ein Schmunzeln.

Niemand aber würde damit rechnen, dass eine Studie sich solcher Fragen bedient und gleichzeitig den Anspruch für sich erhebt, seriös zu sein. Doch genau das ist jetzt passiert.

Die Meinungsforschungsinstitute INFO GmbH (Berlin) und Liljeberg Research International Ltd. Sti. haben die Studie „Deutsch-Türkische Lebens- und Wertewelten 2012“ in Auftrag gegeben. Sie haben Türken in Deutschland zu ihrer Einstellung gegenüber Deutschland befragt, insgesamt 1.011 Personen.

Die Studie wurde vergangenen Freitag veröffentlicht, gerade noch vor dem muslimischen Ramadan-Fest. Die Öffentlichkeit erfuhr von ihr mit Schlagzeilen wie „Jeder zweite Türke möchte zurück in seine Heimat”, „Salafisten: Junge Deutsch-Türken finden Koran-Aktion gut” oder „Türkische Migranten hoffen auf muslimische Mehrheit”.

Unsinnige Fragen – Warum stellt man sie?

Es liegt auf der Hand, wie diese Schlagzeilen gedeutet werden müssen: Die Türken haben sich nicht integriert und möchten es auch nicht, sie sind Fremdkörper mit einem Hang zu salafistischen Extremisten, sie sind gar eine tickende Zeitbombe für das Abendland, wo sie doch eine muslimische Mehrheit in dieser Gesellschaft herbeisehnen (vielleicht auch herbeigebären?). Dazu bietet ja leider auch die Studie Anlass, wenn sie geschickt Aussagen zur Zustimmung anbietet wie: „Ich wünsche mir, dass in Deutschland irgendwann mehr Muslime als Christen wohnen.”

Doch warum stellt man eigentlich diese Fragen bei höchstens fünf Prozent muslimischem Bevölkerungsanteil und einer sich angleichenden Geburtenrate der muslimischen Frauen? Das bleibt wohl das Geheimnis der Institute, die diese Studie durchgeführt haben.

Dabei stellt die Studie einige nützliche Informationen zur Verfügung. So erfahren wir, dass die Migranten mit türkischem Hintergrund viele Wünsche der deutschen Politiker schon verinnerlicht haben. Jahrelang haben deutsche Politiker die Bedeutung des Kindergartenbesuchs und der Spracherlernung für Migranten hervorgehoben, damit sie dazugehören und mitmachen können. Und genau diese Wünsche attestiert die Studie auch den türkischen Migranten. 95 Prozent akzeptieren die Bedeutung des Kindergartens für die Verbesserung der Deutschkenntnisse, für 84 Prozent ist klar, dass nur die deutsche Sprache zum Erfolg in der Schule und im Berufsleben führen kann. Andererseits äußern auch nur 15 Prozent Heimatgefühle in Bezug auf Deutschland, 45 Prozent hegen Rückkehrwünsche, fast die Hälfte fühlt sich in Deutschland unerwünscht.

Segregation und Diskriminierung – sie gehören zusammen

Ist es denn angesichts dieser Lage verwunderlich, dass sich viele in die eigene Community zurückziehen, bei gleichzeitigem Wunsch, „ohne Abstriche zur deutschen Gesellschaft dazuzugehören”, wie die Studie feststellt. Dann heißt es, die türkischen Migranten seien integrationsresistent. Natürlich, die Medien haben es schon immer „gewusst“ (!) und auch ohne diese Studie hätten sie andere „Beweise“ (!) für ihr „Wissen“ (!) gefunden. Trotzdem lässt sich an dieser Stelle ein zweiter Einwand gegen die Studie erheben: Will die Studie realistische Aussagen zur Integrationslandschaft in Deutschland machen, dann darf sie sich bei diesem Thema nicht nur mit Fragen an türkische Migranten begnügen. Auch Fragen an die deutsche Mehrheitsbevölkerung gehören dazu.

Wenn Aussagen zu Rückzugstendenzen der türkischen Bevölkerung gemacht werden, gehören dazu auch Fragen an die deutsche Mehrheitsbevölkerung über die Akzeptanz der Türken in Deutschland. Denn ohne das Eine kann man das Andere nicht hinreichend erklären.