Sport
Warum bleiben die türkischen Fußballstadien so leer?
In der Türkei gehen immer weniger Menschen zu den Spielen ihrer Vereine in die Stadien. Haben die eigentlich fußballverrückten Türken ihre Liebe für den Ballsport verloren? Eher sind es strukturelle Ursachen, die für den Rückgang verantwortlich sind.
Der türkische Fußball hat seit Beginn dieser Saison bezüglich der Spielerlaubnis ausländischer Spieler keine Begrenzung mehr. So können mehr ausländische Spieler auf dem Platz stehen, als in den vergangenen Jahren. Türkische Fußballvereine hatten deshalb keine Hemmungen mehr, ausländische Spieler zu verpflichten. Namen wie Robin Van Persie, Nani, Lukas Podolski, Mario Gomez und Samuel Eto’o sind die Bekanntesten der Neuverpflichtungen. Das alles müsste auch die Zuschauerzahlen in die Höhe treiben. Das ergibt sich aus der logischen Schlussfolgerung – eigentlich.
Die Realität sieht aber ganz anders aus. Die größten türkischen Vereine wie Beşiktaş, Fenerbahçe oder Galatasaray haben durchschnittlich nur 25.000 Zuschauer pro Woche bei den Heimspielen. Bei den anatolischen Mannschaften liegt der Durchschnitt sogar bei 3.000 Zuschauern. Zum Vergleich: Der Zuschauerschnitt in dieser Saison liegt in der 2. Bundesliga bei knapp 18.000. Dabei haben diese Zweitligaclubs nur wenige Stars in ihren Reihen. In der 1. Bundesliga spielen alle Vereine mit Ausnahme von FC Ingolstadt 04 und Darmstadt 98 vor einer durchschnittlichen Kulisse von mindestens 27.000.
PassoLig schreckt ab
Warum aber sind türkische Stadien tatsächlich so leer? Hierbei spielen eher äußere Bedingungen eine große Rolle. Allen voran der Manipulationsskandal im türkischen Fußball. „Der Manipulationsskandal hat vielen Fans, insbesondere den Fenerbahçe-Anhängern, den Spaß am Fußball verdorben“, sagt Zekai Altun. Altun ist Fußball-Experte und Redakteur des Sportteils der türkischen Zeitung „Meydan“. Die personalisierten Tickets (PassoLig) habe die Fanströme dann endgültig zum Erliegen gebracht, glaubt der Experte. Auch Behram Kılıç, Sportredakteur der Wochenzeitschrift „Aksiyon“, ist der Meinung, dass der Manipulationsskandal viele abgeschreckt hat: „Die meisten Fans glauben, dass die Spiele nicht immer auf dem Feld entschieden werden. Seit der Saison 2010/2011 glauben Fans weniger an Fußball und Gerechtigkeit.“
Gegen PassoLig seien die meisten Fußballfans deshalb, weil diese datenschutzrechtliche Bedenken haben: „Die Fans haben Bedenken, dass durch das Erfragen des Geburtsnamen der Mutter eine Art Ausspionierung durch den Staat ist. Insbesondere deshalb, weil dieses System nach den Gezi-Protesten eingeführt worden ist. Zumal die Fan-Gruppe von Beşiktaş (Çarşı) die Gezi-Proteste unterstützt hat und ihr deshalb Putschversuch vorgeworfen wurde.“
Zudem haben viele Fans haben immer noch Angst vor Auseinandersetzungen in Stadien. Fußballbegegnungen als Wochenendaktivität für die Familie, wie es in Deutschland angesehen wird, ist in der Türkei nicht der Fall. Die Einführung von personalisierten Tickets konnte dies auch nicht verhindern. Im Gegenteil: Das PassoLig-System hat viele Fans zum Boykott motiviert. Nach Einführung von PassoLig beobachtete der Aksiyon-Journalist einen besonderen Fall. Dabei ist in der Saison 2013/2014 während der Begegnung zwischen Kasımpaşa und Beşiktaş ein Fan auf das Spielfeld gestürmt und hat einen Spieler attacktiert. Derselbe Fan sei dann auch bei einer anderen Begegnung wieder auf das Spielfeld gestürmt. Laut Gesetz 6222 müsse er mit einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu einem Jahr bestraft werden. Ausserdem müsse er lebenslang Stadionsperre bekommen. Dies sei aber nicht Geschehen, so Behram Kılıç. Zudem protestierten viele gegen PassoLig, da dessen Betreiber Regierungsnähe vorgeworfen wird.
„Einfach aus Liebe zum Verein Dauerkarte gekauft“
Die größte Fangruppe, die am PassoLig-System teilnimmt, sind bislang Galatasaray-Fans. 302.547 PassoLig-Karten wurden bislang ausgegeben. Bei Fenerbahçe liegt die Zahl bei 288. Aber dafür hat der Verein über 38.000 Dauerkarten verkauft. Dennoch besuchen viele Dauerkarten-Besitzer die Spiele nicht. Tercan Türkmen gehört zu den vielen Dauerkartenbesitzern. Der hauptberufliche Anwalt ist leidenschaftlicher Fener-Fan. Er lebt aber im ägaischen Denizli, etwa 700km weit weg von Istanbul. Er versucht möglichst viele Spiele seines Lieblingsclubs zu verfolgen. Dafür reist er extra aus Denizli an. Manchmal, so sagt er, schaffe er es aber zeitlich nicht. Er wisse von Freunden, die ebenfalls eine Dauerkarte besitzen, dass diese wegen des Istanbuler-Verkehrs auch manchmal auf die Spiele verzichten. Er selbst habe sich die Dauerkarte aber mehr „aus Liebe zum Verein“ angeschafft.
Wetter und schlechte Anbindung als großes Hindernis
Der Verkehr und die Anbindungen zu den Stadien sind in der Tat ein Problem. Auffällig bei den Zuschauerzahlen ist unter anderem, dass die Stadien weniger besucht werden, wenn die Anstoßzeiten sich genau mit den Zeiten des Berufsverkehrs überschneiden. Da fahren viele Fans anscheinend lieber nach hause. Die Infrastruktur ist zudem in den meisten Stadien sehr schlecht.
Auch das Wetter spielt eine große Rolle bei den türkischen Fans. Die meisten Stadien sind nicht einmal überdacht. Dies trifft insbesondere auf Stadien in Anatolien zu.
Auch wenn sich die Stars in der türkischen Liga mehren: Der türkische Fußball verliert immer weiter an Klasse. Viele Fans finden die Spiele langweilig. Keine Leidenschaft, keine Spannung. Hinzu kommen dann noch große Fehlentscheidungen der Schiedsrichter. Kılıç beobachtet, dass viele türkische Fußballfans lieber die Ligen in Spanien, Deutschland und England verfolgen.
Auch der Verein Antalyaspor, der mit der Verpflichtung von Samuel Eto’o große Hoffnungen bezüglich der Zuschauerzahlen verbunden hatte, konnte ebenfalls nur knapp 4.000 Dauerkarten verkaufen.