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Politik

Warum das ägyptische Militärregime Kirchen brennen sehen möchte

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Ägypten ist im Verlaufe des Wochenendes einem Bürgerkrieg näher gekommen. Das Regime strebt ein Verbot der Muslimbruderschaft an und inhaftiert mehrere Mitglieder. Unterdessen wird gerätselt, wer hinter den Übergriffen auf Kopten steht. (Foto: rtr)

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Die ägyptische Polizei hat Safwat Hegasi, einen einflussreichen Prediger aus den Reihen der Muslimbruderschaft, festgenommen. Aus Sicherheitskreisen in Kairo hieß es, außer Hegasi seien noch sechs weitere führende Mitglieder der Islamisten-Bewegung festgenommen worden. Mehrere westliche Regierungen hatten die neuen Machthaber in den vergangenen Tagen davor gewarnt, die Muslimbrüder zu isolieren, deren Präsident Mohammed Mursi am 3. Juli nach Massenprotesten vom Militär gestürzt worden war.

Am Morgen nach der kürzlichen Räumung der beiden Protestlager in Kairo sprach das Gesundheitsministerium von 525 Toten, darunter 43 Polizisten. Fast die Hälfte der toten Demonstranten ist danach bei Protesten umgekommen, die nach der Räumung in allen Teilen des Landes ausgebrochen sind. Die Muslimbrüder sprechen von über 2000 Toten.

Bei den jüngsten Zusammenstößen in Kairo ist auch ein Sohn von Mohammed Badie, dem Vorsitzenden der islamistischen Muslimbruderschaft, getötet worden. Dies teilte die Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, der politische Arm der Muslimbruderschaft, mit. Omar Badie sei vor der Al-Fath-Moschee im Zentrum der Hauptstadt erschossen worden, hieß es. Vor der Al-Fath-Moschee war es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Anhängern des entmachteten Präsidenten Mohammed Mursi gekommen.

Die Sicherheitskräfte hatten im Minarett der Moschee bewaffnete Personen entdeckt, die ihrerseits das Feuer erwiderten. Mehr als 20 Minuten dauerte das heftige Feuergefecht. Wie durch ein Wunder wurde niemand getötet.

Moschee zum Gefechtsstand umfunktioniert

Die Al-Fath-Moschee ist einer der ältesten und bekanntesten in Ägypten. Bereits nach dem Freitagsgebet war es hier zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Muslimbrüdern und Sicherheitskräften gekommen. Mindestens 20 Menschen wurden getötet. 700 Muslimbrüder und deren Anhänger hatten noch am Freitag Zuflucht in der Moschee gefunden. Ein Teil soll bewaffnet geweseb sein und verbarrikadierte sich.

Auch die christliche Minderheit ist Berichten zufolge Ziel von Angriffen. Aus Sicherheitskreisen hieß es, in Abanub in der mittelägyptischen Provinz Assiut sei eine koptische Kirche niedergebrannt worden.

Der Feuerwehr sei es nicht gelungen, das Gotteshaus zu retten. In Malawi in der Provinz Al-Minia in Mittelägypten wurden nach Angaben von Aktivisten in der Nacht Geschäfte von Christen zerstört und das Auto eines Priesters angezündet. Nach Angaben der Zeitung Watani attackierten Mursi-Anhänger 35 Kirchen und andere Einrichtungen der Kopten. Der Sprecher der katholischen Kirche in Ägypten, Rafic Greiche, berichtete von Übergriffen gegen 17 Gotteshäuser seiner Kirche. Die Urheberschaft für die Übergriffe wird radikalen Muslimbrüdern zugeschrieben.

Allerdings gibt es keine Indizien dafür, dass die Muslimbruderschaft diese initiiert oder billigt. Es wurden auch Bilder gläubiger Muslime veröffentlicht, die Menschenketten zum Schutz christlicher Kirchen organisiert hatten. Es stellt sich im Zusammenhang mit Ausschreitungen dieser Art stets die Frage, wem diese nützen. Und nicht nur während der „Ergenekon“-Umtriebe in der Türkei, sondern beispielsweise auch im Algerischen Bürgerkrieg 1996 wurden Techniken der „Französischen Doktrin“ angewandt, die von französischen Offizieren während des algerischen Unabhängigkeitskrieges von 1954–1962 konzipiert worden war. Zu den angewandten Techniken gehörte, dass sich Mitglieder des Geheimdienstes DRS (Département du Renseignement et de la Sécurité) als islamistische Terroristen ausgaben, um „schmutzige Aufträge“ auszuführen. Dies umfasste unter anderem das Begehen von terroristischen Anschlägen unter falscher Flagge, das heißt für die von Angehörigen der Sicherheitskräfte begangenen Taten machte man bewusst fälschlich radikale Gruppen verantwortlich.

Dämonisierung der Muslimbrüder mit brennenden Kirchen einfacher

In einem Hintergrundbeitrag auf „qantara“ analysiert indessen auch Karim El-Gawhary, warum eine Eskalation der Situation inklusive einer Radikalisierung der Muslimbrüder ganz im Interesse der Militärmachthaber wäre. Er weist auf die Kontinuität im Sicherheitsapparat hin, auf die fallweise Kumpanei des Regimes mit radikalen Salafisten und auf Kirchenbrände in der Vergangenheit, die stets dann auftraten, wenn Mubarak in innenpolitischen Schwierigkeiten war.

„Brennende Kirchen sind international ein gutes Marketingargument für die brutale Räumung und das weitere Vorgehen gegen die Muslimbruderschaft“, schreibt der Autor, „träfe es zu, dass die Staatssicherheit dabei ihre Finger mit im Spiel hat, dann wäre das ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Mubaraks Regime konnte konfessionelle Streitigkeiten je nach Bedarf an- und ausschalten. Heute ist es viel wahrscheinlicher, dass daraus eine Situation entsteht, die keiner mehr kontrolliert.“

Dem Bündnis von Militärs und alten Mubarak-Seilschaften, vor allem im Sicherheitsapparat, müsse es nun darum gehen, die Muslimbruderschaft weiter politisch zu isolieren. Eine Radikalisierung der Muslimbrüder sei da in diesen Kreisen eine durchaus wünschenswerte Entwicklung. Denn damit meine der Sicherheitsapparat besser umgehen zu können als mit Demonstrationen und Protestlagern.

Die 1990er-Jahre, als überall im Land Bomben hochgingen und Terroristen Anschläge auf Kopten und Touristen durchführten, seien die Hochzeit des ägyptischen Sicherheitsapparates gewesen, der den Kampf am Ende für sich entscheiden konnte. Die Lektion aus dieser Zeit: Terroristen, die Kirchen anzünden und Polizeistationen angreifen, sind besiegbar und international leichter zu dämonisieren.

Nach den blutigen Ausschreitungen hat der ägyptische Übergangs-Ministerpräsident Hasem al-Beblawi nun auch vorgeschlagen, die Muslimbruderschaft gesetzlich zu verbieten. Dies teilte Regierungssprecher Sherif Shauki nach Angaben ägyptischer Medien mit. Ein juristisches Verbot werde erwogen, sagte Shauki. Die endgültige Entscheidung sei noch nicht gefallen.

Die ägyptische Regierung teilte in der Nacht zum Sonntag mit, Außenminister Nabil Fahmi habe am Samstag mit dem deutschen Außenminister Guido Westerwelle, sowie mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton und den Außenministern von Bahrain und Großbritannien telefoniert. In seinen Gesprächen habe er erklärt, in Ägypten hätten bewaffnete Gruppen damit begonnen, die Bevölkerung zu terrorisieren. Das internationale Schweigen zu diesen Angriffen sei inakzeptabel.

Bemerkenswert ist auch die Unterstützung, die das ägyptische Putschregime aus der arabischen Welt erhält. Nicht nur Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die den neuen Machthabern zuletzt Milliardenhilfen zusicherten, auch Monarchien wie Jordanien und Kuwait legitimierten das Vorgehen des Militärs, das als „Garant für die Sicherheit und Stabilität“ Ägyptens bezeichnet wurde.

Stoppt die EU ihre Waffenlieferungen?

Unterdessen werden innerhalb der EU Rufe nach einer Einstellung von Waffenlieferungen an das bürgerkriegsgefährdete Land lauter. Die EU ist ein wichtiger Waffenlieferant Ägyptens. Allerdings liegen einer Aufstellung des Stockholmer Sipri-Instituts zufolge Russland und die USA bei Waffenlieferungen an Ägypten an der Spitze. Laut Sipri erhielt Ägypten 2011 Waffen im Wert von etwa 400 Millionen Euro geliefert, davon alleine 303 Millionen aus Russland. Die Zahlen variieren aber von Jahr zu Jahr stark – für 2012 beispielsweise beziffert Sipri die gesamten Lieferungen auf nur 170 Millionen Euro.

Die EU hat 1998 einen „Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren“ beschlossen. Darin s
ind verschiedene Kriterien festgelegt. Unter anderem dürfen keine Waffen geliefert werden, wenn „eine eindeutige Gefahr besteht, dass diese für innere Unterdrückung genutzt werden könnten“ oder wenn es im Empfängerland ernste Verletzungen der Menschenrechte gibt. Waffen dürfen auch nicht geliefert werden, wenn diese bewaffnete Konflikte „auslösen oder verlängern“ könnten. (dpa/RIA Novosti/dtj)