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Politik

Warum Davutoğlu recht hat

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Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu erklärt die Zerschlagung der oppositionellen Zeitung Zaman zu einer rein juristischen Angelegenheit ohne politische Motive. Recht hat er – denn es handelt sich vielmehr um ein kulturelles Phänomen.

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Ahmet Davutoğlu
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KOMMENTAR Die türkische Regierung hat die Zeitung Zaman übernommen. Brutal vertrieb die Polizei Demonstranten vor dem Redaktionsgebäude, drang mit Gewalt ein und warf die Chefredakteure raus. Eine Vorgehensweise, die man mittlerweile kennt. Erst im Oktober vergangenen Jahres wurde der İpek-Konzern durch den Staat übernommen und ihre Medien auf ähnliche Weise gestürmt. Der Konzern wurde mittlerweile heruntergewirtschaftet und dicht gemacht.

Zwei Beispiele, wie die Medienfreiheit in der Türkei mit Füßen getreten wird.

„Aber nein doch“, sagt Premierminister Ahmet Davutoğlu. Die Übernahme der Zeitung Zaman habe überhaupt nichts mit seiner Regierung zu tun. Es liege überhaupt kein politischer Hintergrund vor. Es sei lediglich ein juristisches Verfahren. Punkt. Im übrigen sei die Türkei ein demokratischer Rechtsstaat und die Pressefreiheit sei für ihn eine ‚kırmızı çizgi‘, eine rote Linie; also eine Linie, die nicht überschritten werden darf.

Landesunkundige Leser könnten sich fragen, ob denn nun sie oder Davutoğlu im falschen sind. Wie kann man Davutoğlu angesichts der Bilder, die man gesehen hat, glauben? Und dennoch: Davutoğlu hat recht. Die Erstürmung und Übernahme der Zeitung Zaman ist in der Tat eine rein juristische Angelegenheit. Sie ist eine Botschaft der Justiz an die Adresse der Zeitung, dass mit ihr nicht alles in Ordnung war. Dass sie einer Korrektur bedarf. Dass sie sich gefälligst zu benehmen habe.

Natürlich gibt es Ereignisse, die auf den ersten Blick nicht verständlich sind. Aber jedes Land hat eben seine eigene Mentalität. Als letztes Jahr die Zeitung Hürriyet von einem wütenden Mob angegriffen wurde, als er in die Zeitung eindringen und alles kurz und klein schlagen wollte, die Türen demolierte, war das auch nichts, das aus Sicht der Pressefreiheit zu beanstanden gewesen wäre. Der Mob war als eine Art Leserbrief an die Zeitung zu verstehen.

Schreiben die Menschen in Deutschland denn keine Leserbriefe an ihre Zeitungen? Schlucken sie jeden Ärger über ihre Zeitungen hinunter und werden dann depressiv? Die Türkei ist eben nicht Schweden, wo das Klima kalt und die Nächte quälend lang sein können. Es gibt dort eben Zeit für ausufernde Diskussionen. Die Türkei ist ein mediterranes Land, zudem ein Land, in dem die Männer noch Männer sind und keine verweichlichten Metrosexuellen.

Da können Leserbriefe schon mal eine ganzheitlich-körperliche Form annehmen. Je nach Land und Mentalität greifen Leser entweder zum Stift oder zum Stock. Und wenn sie sich noch deutlicher ausdrücken wollen, halt auch mal zu Schläger oder Schlagstock. Davutoğlu, der ja selbst von Haus aus Politikwissenschaftler ist, könnte dies auch mit seinen eigenen Worten erklären.

In der Politikwissenschaft gibt es dafür den Begriff der Subsidiarität. Das heißt, Aufgaben werden auf der niedrigst möglichen Ebene bearbeitet. Müllabfuhr ist eine Aufgabe auf der Ebene der Kommunen. Das ist nichts für den Bund. Andererseits sind der Grenzschutz oder die Außenpolitik Aufgaben des Bundes und nicht der Länder oder Kommunen, auch wenn sie an der Grenze liegen sollten. In Deutschland ist dieses Prinzip allgemein anerkannt – abgesehen vielleicht von Horst Seehofer und dem Freistaat Bayern.

Genauso ist auch die Übernahme dieser Zeitungen als ein Leserbrief des Staates zu verstehen. Ein einfacher Bürger mag zum Stift greifen, als einzelner Mensch wäre man ja auch irgendwie blöd, ein Zeitungsgebäude angreifen zu wollen. Als Gruppe kann man nach dem Prinzip der Subsidiarität zum Baseballschläger greifen. Und eine Regierung schickt eben ihre Polizei mit Panzerwagen und Wasserwerfern vorbei. Jede Ebene hat ihre ganz eigenen Aufgabenbereiche.

Im übrigen weiß man aus der Psychologie: Man kann nicht nicht kommunizieren. Alles ist Kommunikaton und mit allem, was man tut, sendet man Botschaften. Tut man nichts, dann kann es heißen, man ist mit dem, was die Zeitung schreibt, zufrieden. Wenn man es aber nicht ist, dann sendet man mit Nichtstun das falsche Signal. Nun mag der eine oder andere fragen: Was ist aber mit den Medienorganen, die freundlich und brav berichten und die mit öffentlichen Geldern überhäuft werden? Gegenfrage: Gibt es denn keine lobende Leserbriefe?

Derzeit verhandeln die EU-Partner mit Davutoğlu über die Flüchtlingsfrage.

À propos Flüchtlinge: Welche Flüchtlinge denn?