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Gesellschaft

Warum ein Aufschrei durch die muslimische Welt gehen sollte

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Der grausame Messermord an drei Menschen in einer Kirche in Nizza vor wenigen Tagen; die brutale Tötung des Lehrers in Paris vor wenigen Wochen und schließlich der Anschlag in Wien an diesem Montag – nichts, aber auch rein gar nichts rechtfertigt solche Taten. Die Täter mögen sich auf Gott berufen, aber in Wahrheit beleidigen sie den, dessen Ehre sie zu verteidigen behaupten. Gott ist weder beleidigt, noch sinnt er auf Rache. Wer solches denkt, hat seine Religion nicht verstanden.

Eigentlich müsste ein Aufschrei durch die muslimische Welt gehen. Jede terroristische Aktivität, von wem und mit welcher Begründung auch immer sie ausgeführt wird, ist die größte Beleidung religiöser Werte eines gläubigen Muslims. „Wenn jemand einen Menschen tötet, so ist es, als hätte er die ganze Menschheit getötet,“ heißt es im Koran. Und weiter: „Und wer einem Menschen das Leben rettet, so ist es, als habe er die ganze Menschheit gerettet!“ (Koran 5:32).

Ich kann fünfmal am Tag beten. Ich kann in der Fastenzeit fasten und ich kann nach Mekka pilgern. Ich kann alles richtig machen. Aber wenn ich einen Menschen töte, ist das unverzeihlich. Es gibt keinen größeren Schlag gegen Frieden, Demokratie und Menschlichkeit. Nichts rechtfertigt die Ermordung eines Menschen!

Aber sind deswegen die Karikaturen der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ über alle Kritik erhaben? Sind die satirischen Schmähungen des Propheten Muhammad lustig, klug oder auch nur okay? Ist die erneute Veröffentlichung der umstrittenen Bilder moralisch gerechtfertigt oder womöglich notwendig, um das demokratische Grundrecht auf Meinungsfreiheit zu verteidigen? Nein. Nein. Und nochmals nein.

Muhammad-Karikaturen nicht über alle Kritik erhaben

Ich kann die Empörung vieler Muslime gut verstehen, ich bin selbst empört. Ich fühle den stechenden Schmerz, den der beißende Spott, die billige Verhöhnung, die ordinäre Abwertung des Propheten hinterlässt. Glaube macht verletzlich. Hohn und Spott über das, was einem heilig ist, tun weh. Es gibt kaum einen wunderen Punkt als tiefe Religiosität.

Ja, Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Dabei gibt es kaum Grenzen. Persönliche Beleidigung ist allerdings verboten. Die Grünen-Politikerin Renate Künast muss üble Online-Beschimpfungen zu Recht nicht länger hinnehmen. Die gegen sie formulierten sexistischen Beschimpfungen sind laut Gerichtsbeschluss keine Meinungsäußerung, sondern Schmähkritik und damit eine strafbare Beleidigung. In Zeiten von Hate Speech im Netz ist es wichtig, diese Grenzen scharf zu ziehen. Denn aus purem Selbstschutz ziehen sich die potenziellen Opfer solcher Angriffe aus dem öffentlichen Leben zurück. Minderheiten werden unsichtbar gemacht. Diskriminierung und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sind in einer Demokratie inakzeptabel.

Doch nichts rechtfertigt die Ermordung eines Menschen. Auch nicht die Beleidung des Allerhöchsten.

„Majestätsbeleidigung“ wurde noch im Zeitalter des Absolutismus als Hochverrat mit der Todesstrafe gesühnt. Zur Zeit von Bismarck und Kaiser Wilhelm wurde bereits bestraft, wer es wagte, beim öffentlichen Hoch auf den Monarchen den Hut nicht zu lupfen. In Thailand geht man für die Beleidigung des Königs heute noch 15 Jahre ins Gefängnis. In Deutschland wurde der Tatbestand vor zwei Jahren aus den Gesetzbüchern gestrichen. Die Verunglimpfung des Bundespräsidenten ist allerdings immer noch strafbar. Sie gilt als Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates. Aber mehr als fünf Jahre Gefängnis blühen einem dafür nicht; die FDP würde den entsprechenden Tatbestand gern ganz abschaffen. Eine Beleidigung sei eine Beleidigung, egal wem sie zukommt – das sei auch für den Bundespräsidenten nicht anders.

Auch Christen müssen Einiges aushalten

Religiöse Oberhäupter egal welchen Glaubens genießen in der europäischen Welt keinen besonderen Schutz, wenn es um Meinungs- und Kunstfreiheit geht. Das deutsche Satiremagazin Titanic lästerte mehrfach schamlos über den Papst; zu Ostern 2017 wurde auch schon mal ein Hakenkreuz-Jesus aufs Cover gebracht. Nicht nur wir Muslime, auch fromme Christen müssen in Sachen Humor Einiges aushalten.

Muhammad ist nicht empfindlicher als Jesus oder Moses. Allah nicht verletzlicher als Jahwe oder Gott. Dem wahren Gläubigen tut solche Schmach keinen Schaden an.

Wer meint, sich über religiöse Werte lustig machen zu müssen, macht in Wahrheit sich selbst lächerlich. Wer die fromme Demut gläubiger Menschen nicht anders als verlachen kann, zeigt nur, dass er für Spiritualität und Demut gegenüber Größerem als der eigenen Nichtigkeit kein Gespür hat. Selbst große Wissenschaftler wie Galilei oder Newton, wie Pasteur oder Avicenna, die unbekannte Welten erkundeten und der menschlichen Vernunft zugänglich machten, zeigten sich ehrfürchtig gegenüber Gott und seiner unerforschbaren Allwissenheit. Pubertäre Provokationen basieren meist auf kindlichen Allmachtsphantasien und überspielen die Angst vor dem großen Unbekannten. Blasphemie und Größenwahn gehen Hand in Hand. Angriffe, auch humoristische, auf religiöse Symbole sind oft nur Ausdruck von Ignoranz. Das macht traurig. Das macht wütend.

Doch nichts rechtfertigt die Ermordung eines Menschen.

Wir Muslime sollten uns auch an die eigene Nase fassen

Jeder Mensch ist ein Geschöpf, das Respekt verdient. Auch der Spötter, auch der Komiker. Das ist die Grundüberzeugung des Islam. Wenn jemand den Propheten beleidigt, dann zeige ich meinen Schmerz. Ich dulde, was mir entgegengebracht wird. Ich appelliere an die Menschlichkeit. Ich übe mich in Feingefühl und versuche offen und aufrichtig zu erklären, warum ich mich in meinen Gefühlen verletzt fühle. Ich äußere vielleicht auch meine Wut. Aber vor allem fasse ich mir an die eigene Nase: Wieso ist es mir nicht gelungen, die Besonderheiten des Propheten zu erklären und seine Gutmütigkeit zu repräsentieren? Das ist die Frage, die wir uns stellen müssen: Was können und vielleicht müssen wir als Muslime tun, damit verstanden wird, welche Bedeutung der Prophet und sein Wirken für uns hat und für alle Menschen haben kann?

Angesichts der Geschehnisse auf der Welt müssen wir uns allerdings noch eine andere dringlichere Frage stellen: Wie können wir verhindern, dass Menschen sich islamistisch radikalisieren und terroristisch agieren?

Gewohnheiten und Traditionen in Frage gestellt

Weitere Provokationen und wiederholte Beleidigungen sind sicher nicht hilfreich. Auch Beschimpfungen und Vorwürfe bringen keinen Frieden. Die beiden beleidigten Majestäten in Paris und Ankara agieren wie zwei pubertierende Teenager, die sich wechselseitig zu immer neuem und immer heftigerem Streit anstacheln. Die Eskalation dieses unseligen Konfliktes ist nur durch die Intervention kluger Dritter zu stoppen. Wir brauchen in diesem gescheiterten interreligiösen Dialog und in der missglückten interkulturelle Begegnung eine neue Kunst religiöser Diplomatie, die mit sanfter Intervention und kreativem Verhandlungsgeschick die Türen zu gemeinsamen Lösungen öffnet. Wir brauchen aber ganz sicher keine weiteren Opfer. Hass stiftet keinen Frieden.

Wir leben in Zeiten des Umbruchs. Klimawandel, Digitalisierung und jetzt die Pandemie stellen weltweit und radikal Gewohnheiten und Traditionen in Frage. Die Menschen sind verunsichert. Angst macht engstirnig und starr. Die seelische Verhärtung führt zu Abgrenzung und Streit. Nur mit beharrlicher Offenheit und unbeirrbarer Großherzigkeit können wir zu Verständnis, Versöhnung und Frieden zurückfinden – und mit Gottes Hilfe. Dafür sollten wir beten. Alle gemeinsam.

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