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Politik

Warum ist der Friedensprozess mit der PKK gescheitert?

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Jahrelang hielt der Friedensprozess in der Türkei trotz verschiedener kritischer Vorkommnisse. Nun scheinen die Akteure ihr Interesse am Frieden verloren zu haben. Doch wie kam es dazu?

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Warum ist der Friedensprozess in der Türkei gescheitert? Liegt es an dem Anschlag von Suruç und der darauffolgenden Eskalation der Lage? Geht es also primär um die Staatssicherheit und um die Bekämpfung des Terrors oder ist es eine wahltaktische Maßnahme der AKP-Regierung, um bei eventuellen Neuwahlen wieder die absolute Mehrheit zu erlangen?

Verhandlungen im Rahmen des Friedensprozesses mit der terroristischen PKK wurden seit ihrem Beginn im Jahre 2013 vom jetzigen türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und hohen AKP-Funktionären, insbesondere aber vom stellvertretendem Ministerpräsidenten Yalçın Akdoğan, gegen jegliche Kritik verteidigt. Akdoğan war bis zu den Wahlen vom 7. Juni Mitglied der Regierungskommission, die mit der PKK verhandelt hat. Eine Gruppe von HDP-Mitgliedern, in der sich auch der Co-Vorsitzende der Partei, Selahattin Demirtaş, befand, bildete die Vertretung der PKK. Mitglieder dieser Kommission besuchten mit Zustimmung der Regierung die Imralı-Insel, um mit dem Führer der PKK, Abdullah Öcalan, und Kandil, um mit dem militärischen Führungskader zu sprechen.

„HDP hat den Friedensprozess bewusst geopfert“

Auch wenn ein anderer hochrangiger AKP-Politiker, Bülent Arınç, heute eingesteht, dass die Kritiker an dem Verfahren Recht hatten, wurde bis zum „Dolmabahçe-Konsens“, der am 28. Februar 2015 offiziell verkündet wurde, jegliche Kritik als „Staatsverrat“ gebrandmarkt. Im Dolmabahçe-Palast trafen sich Komissionen beider Seiten und erklärten, dass der Prozess erfolgreich abgeschlossen sei. Davon wollte Erdoğan allerdings nichts mehr wissen, als in den Umfragen im April immer deutlicher wurde, dass die HDP bei den anstehenden Wahlen die 10-Prozent-Hürde überspringen würde. Erdoğan, dessen erklärtes Ziel die Einführung des Präsidialsystems ist, forderte bei Veranstaltungen die Wähler indirekt dazu auf, für die AKP zu stimmen, damit sie 400 Mandate bekommt. Damit sollte eine Verfassungsänderung für den Übergang in ein Präsidiälsystem möglich gemacht werden, ohne von den anderen Parteien abhängig zu sein.

Geht es Erdoğan und der AKP um die Sicherheit der Landes und der Bürger oder darum, die am 7. Juni verlorene absolute Mehrheit wieder zu erlangen? Nun hat Yalçın Akdoğan in einem Interview mit der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu indirekt diese Frage beantwortet. In Richtung der HDP sagt er: „Die Äußerungen, wonach sie ein Präsidialsystem verhindern wollte, waren eine Provokation. Danach haben die Spannungen angefangen. Sie hat den Friedensprozess bewusst aufs Spiel gesetzt und geopfert.” Die HDP habe sich benutzen lassen, um die 10-Prozent-Hürde zu überspringen und somit die Einführung des Präsidialsystems zu verhindern.

AKP und HDP streiten um Deutungshoheit über Öcalan

Dafür hätte sie sogar Öcalan verraten und ihm den Satz in den Mund gelegt, dass er gegen das Präsidialsystem sei, erhob Akdoğan schwere Vorwürfe und bezichtigte die HDP der Lüge. „Wenn Öcalan das wüsste, würde er in Rage geraten” und wörtlich „sie mit einem Stock jagen“, so Akdoğan. Die HDP habe sich zuvor wenig um den Prozess geschert, jetzt tue sie so, als ob er ihr sehr wichtig sei.

Diese Worte legen nahe, dass der Grund für das Scheitern des Friedensprozesses in erster Linie im Verlust der absoluten Mehrheit der AKP bei den Parlamentswahlen ist. Um das Präsidialsystem doch noch einführen zu können, setzen Erdoğan und Teile der AKP in der aktuellen Lage auf eine Diskreditierungspolitik gegenüber der HDP. Ziel scheint zu sein, die ohnehin als PKK-nah geltende HDP als eine den Terror unterstützende Partei darzustellen. Bei nicht mehr ausgeschlossenen Neuwahlen soll sie so möglichst unter die 10-Prozent-Hürde gedrückt werden.

Diese Einschätzung bestätigt auch der pensionierte Polizeichef und Vorsitzende des Forschungszentrums für Sicherheitsstrategien GÜSAM, Ercan Taştekin. Er stellt die aktuelle Terrorismusbekämpfungsstrategie der Türkei in Frage.

Sicherheitsexperte: „Operationen sind politisch motiviert“

Es sei weder richtig noch nachzuvollziehen, wieso nach den Parlamentswahlen zeitgleich gegen die Terrororganisationen PKK, IS und DHKP-C vorgegangen werde, sagte er in einem Interview mit der Tageszeitung Zaman. Diese seien grundverschieden und verfolgten völlig unterschiedliche und voneinander unabhängige Ziele. Der wahre Zweck hinter dem Vorgehen sei auch nicht Terrorbekämpfung, sagte Taştekin.

„Die Operationen sind politisch motiviert“, erklärt er. Der Staatspräsident oder der Ministerpräsident dürften nicht über das Konzept der Operationen für die Terrorbekämpfung bestimmen. Die dazu befugte Instanz sei die Staatsanwaltschaft und die Justiz. „Terror- und Strafbekämpfungsoperationen, die von der Politik eingeleitet und bestimmt werden, führen nicht zum erhofften Ziel.“

Die jetzige Mobilmachung habe zweifelsohne mit dem Ergebnis der Parlamentswahlen zu tun. „Die Regierung ist mit dem Wahlergebnis nicht zufrieden und appelliert mit dem Schein, den Terror zu bekämpfen, an die Wähler aus dem nationalistischen Lager. Die Operationen sind Teil eines Planes, bei dem es darum geht, bei vorgezogenen Wahlen wieder alleine an die Macht zu kommen“, wirft der 48-jährige Sicherheitsexperte der AKP vor. Die Partei instrumentalisiere die jetzige Situation für ihre eigenen politischen Zwecke.

Anschlag von Suruç richtete sich auch gegen die PKK

Der Friedensprozess habe sehr viele positive Aspekte gehabt, die Regierung habe jedoch wegen eigener Interessen zu stark nachgegeben und sei dann vom Rechtsweg abgekommen. Als Stimmenverluste die Folge waren, habe man nach Wegen gesucht, diese wieder auszugleichen. Unter diesem Aspekt sei auch der derzeitige Strategiewechsel im „Kampf gegen den Terror“ zu bewerten.

Den IS- und PKK-Terror sieht Taştekin, der 2014 auf eigenen Wunsch pensioniert wurde, kritisch. Die PKK habe bis zuletzt geglaubt, dass der IS in der Türkei keine größeren Aktivitäten vornehmen würde. Sie sei dann mit dem Anschlag von Suruç eines Besseren belehrt worden. Der Anschlag habe sich nicht nur gegen die Türkei, sondern auch gegen die PKK gerichtet und sei eine Rache für Kobane gewesen.

Die PKK habe dann die Lösung in der Flucht nach vorne gefunden. Mit terroristischen Angriffen wie dem Doppelmord an den Polizisten in Ceylanpınar wolle die PKK verdeutlichen, dass sie weiterhin die Zügel in der Region in der Hand halte.