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Warum lernen, wenn man kopieren kann

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Welcher Schüler oder Student kennt sie nicht – die süße Versuchung, mit Hilfe des Internets Hausaufgaben, Referate oder gleich ganze Klausuren herunterzuladen und als eigene Arbeit auszugeben. Doch ist dieses Vorgehen wirklich so clever? (Foto: rtr)

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Warum lernen, wenn man kopieren kann
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„Warum lernen, wenn man kopieren kann?“ – ist eine Frage, die heute unter Schüler und Studenten häufig und ernsthaft gestellt wird. Auch Andrea stellte sich diese Frage und begann, ihre Zukunft auf einer Lüge aufzubauen. Einer Lüge, die ihr bis heute nichts auszumachen scheint. Sie behauptet, dass sie durch gezieltes Kopieren aus dem Internet, ihren Lernaufwand auf einem Mindestmaß halten kann, ohne dabei schlechter abzuschneiden oder zu verblöden. Ihre Erfolge, führt sie allerdings nicht nur auf das Internet zurück, sie nutzt, wie viele ihrer Kameraden, die Lücken des Systems. So beschafft sie sich im Vorfeld Klausuren aus anderen Jahrgängen, um sich gezielt vorbereiten zu können, oder schreibt während der Klausur ab. Dass sie dabei nur oberflächlich lernt, scheint sie nicht weiter zu stören. Sie verweist darauf, dass man das Erlernte nach kürzester Zeit sowieso wieder vergisst. Dass sie dabei verlernt, sich in geistige Inhalte zu vertiefen, fällt ihr naturgemäß nicht auf. 

Das Internet und das Bildungssystem begünstigen diesen Trend bei Schülern und Studenten. Die Gefahr ertappt zu werden, scheint gering. Durch die vielen Anbieter im Internet und die oftmals über Jahre hinweg unveränderten Klausuren von Lehrern ist von einer Überprüfung der tatsächlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mal im Ansatz zu reden. Andrea ist überzeugt, dass alle ihre Chancen auf Erleichterung im Schul- und Studienalltag, so gut wie möglich nutzen.

Andrea F. ist 22 Jahre alt. Sie hat zur ihrer Schulzeit oft Hausaufgaben aus dem Internet übernommen und schaffte auch deshalb einen Notenschnitt, der es ihr erlaubte, zu ihrem Wunschstudium zugelassen zu werden. Auch dort hat sie schon mit Kopien aus dem Internet punkten können. Sie hat sich bereiterklärt, über ihre Erfahrungen mit Plagiaten an Schule und Universität zu sprechen.

Andrea, warum schummelst Du?

Das liegt auf der Hand, zum einen spare ich viel Zeit, zum anderen bekomme ich so sogar eine bessere Zensur. Da wäre ich doch blöd, wenn ich meine Möglichkeiten nicht ausreizen würde.

Wie und wann hast Du angefangen zu schummeln?

Ich bin durch einen Klassenkameraden in der 12. Klasse auf eine Seite im Internet gestoßen, wo man im Gegensatz zu vielen anderen Seiten, kostenlos ganze Referate oder Inhaltsangaben bekommen kann. Seit diesem Zeitpunkt habe ich meine Hausaufgaben regelmäßig kopiert. Man findet im Internet für jede Aufgabenstellung eine Lösung, wenn man weiß, wo man suchen muss, sind die Hausaufgaben ziemlich schnell und auf angemessenem Niveau erledigt.

Was machst Du bei einer Klausur, wenn du mit dem Lernstoff nicht richtig vertraut bist?

Nun ja, oft braucht man im Schulalltag nicht einmal das Internet, wirklich geeignet ist es bei Referaten und Hausarbeiten. Fächer wie Deutsch, Englisch, Politik, Geschichte kann man damit gut abdecken. Bei Klausuren ist es viel leichter, bei Schülern nachzufragen, die das ganze schon mit dem entsprechenden Lehrer durchgekaut haben, oder bei Schulkameraden die sitzengeblieben sind. Da bekommt man die Klausur mit entsprechenden Aufgabenstellungen. Je nach Lehrer kann man sich nun gezielt vorbereiten oder macht sich einen Spickzettel.

Das funktioniert?

Eigentlich hat es sehr gut funktioniert, mein Mathe-Lehrer hat gerne mal einige Zahlen verändert, bei gleich bleibender Aufgabenstellung. In Chemie, Französisch und Physik hat sich an den Klausuren nicht viel geändert. Seltsamerweise konnte man nur beim Sportlehrer nicht während der Klausur spicken, der hat echt gut aufgepasst. Ich würde sagen, von zehn Klausuren konnte man so neun ohne Probleme bewältigen.

Hast Du keine moralischen Bedenken?

Ehrlich gesagt nein. Ich hatte mal welche, aber da so viele meiner Mitschüler gespickt haben, waren meine Bedenken schnell weg. Viel mehr Probleme hatte ich die ersten Male beim Spicken, aber eher wegen dem Adrenalin. Das System ist so marode, wer am besten spickt, hat hinterher die meisten Möglichkeiten. Unsere drei besten Spicker machen jetzt zweimal Jura und einmal Medizin.

Glaubst Du, dass man durch das Spicken verblödet? Ist das, was Du so lernst, nicht sehr oberflächlich?

Nein, das denke ich nicht unbedingt. Das meiste, was man in der Schule lernt, vergisst man nach kurzer Zeit wieder. Es geht wohl eher darum, dass man etwas Bestimmtes zu einem bestimmten Zeitpunkt weiß. Dieser Zeitpunkt ist meist die Klausur, also in Deutsch, Mathe und Englisch sollte man zur Klausur auch alles können. Es gibt aber auch Schüler, die auch da alles fertig dabei hatten. Also in Englisch und Deutsch, ist das natürlich extrem aufgefallen, zumindest in Englisch. Ich kann mich erinnern, dass bei einem Klassenkameraden der Lehrer wusste, dass gespickt wurde, aber er sagte, er könne es nicht beweisen. Er hat uns dazu aufgefordert unsere Mitschüler zu verpetzen, da sie ja auch unsere Konkurrenten sind und wir dadurch einen Nachteil haben. Es hat aber nie einer jemanden verpetzt, soviel ich weiß.

Haben denn alle gespickt?

Nein, nicht alle, aber sehr viele. In unserer Klasse waren 23 Schüler, davon haben bestimmt 15 gespickt. Manche habe nur in bestimmten Fächern gespickt, andere wo es nur ging. Die Ehrlichen waren die Dummen, ich glaube, die meisten von ihnen hatten lediglich Angst zu spicken. Aber vorhandene Klausuren für bevorstehende Klausuren haben auch sie genutzt, diese wurden eigentlich von allen benutzt.

Wusstest Du, dass es Programme gibt, die Plagiate aus dem Internet entlarven können?

Nein, aber ich kenne Schüler, die mit ihren Referaten schon aufgeflogen sind, allerdings war das, ähnlich wie bei dem vollständig abgeschriebenen Englisch-Test, sehr offensichtlich. So haben die Lehrer einfach nach ganzen Sätzen googeln können. Ich denke, mit etwas Vorsicht kann da nicht viel passieren. Ich verwende immer mehrere Quellen für eine Arbeit und kombiniere diese.

Dieser Artikel erschien 2008 in der Zeitschrift „Zukunft“.