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Kolumnen

Warum sich das Karussell „Integrationsdebatte“ ewig weiter dreht

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Rückblick auf das Jahr 1973. „Die Eingliederung von Ausländern in unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist eine der großen Aufgaben unserer Zeit. Es ist notwendig, dass wir uns dieser Aufgabe stellen“, schrieb der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann an den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB).

Rückblick auf das Jahr 1979: Der erste Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, der frühere nordrhein-westfäliche Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD), legte ein Memorandum vor, dessen Kernpunkt die Empfehlung einer sehr weitgehenden Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien war. Den Betroffenen müsse „ein vorbehaltloser Rechtsanspruch auf Einbürgerung“ gewährt werden. Es sei der jungen Ausländergeneration nicht zuzumuten, auf Dauer vom Ausländerrecht abhängig zu sein.

Rückblick auf das Jahr 1982: Der damalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler bemühte sich inmitten der Debatten über Rückwanderung oder Integration darum, seine Partei von einer Ausländerpolitik ohne „übertriebenen Nationalismus“ zu überzeugen. Dieser erschwere differenzierte Lösungsmöglichkeiten statt Ausländer-Raus-Parolen. Die Probleme seien „nur im Geiste der Toleranz und Menschlichkeit“ zu lösen. Geißlers Widersacher im konservativen Lager warnten derweil davor, die Bundesrepublik Deutschland sei von von einem „vergreisenden, sich schnell verfremdeten Staatsvolk“ bedroht.

Helmut Schmidt: Bedrohliche Stimmung

In seinem Einladungsschreiben an Parteien, Kirchen, Wohlfahrtsverbände und an die Bundestagsfraktionen zu einer Konferenz im Bundeskanzleramt sprach der damalige Regierungschef Helmut Schmidt 1982 von einer „bedrohlichen Stimmung“ in der Bevölkerung, was ihm große Sorgen bereite. Wenn nichts unternommen werde, werde sich „das Gesicht unseres Landes zum schlechten verändern und der soziale Frieden sowie das Ansehen Deutschlands werde darunter sehr leiden.

Rückblick auf das Jahr 1990: Die zweite Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Liselotte Funcke (FDP), rief nachdrücklich dazu auf, „mit Fremden leben zu lernen“. Sie kämpfte unermüdlich gegen die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland und um Aufgeschlossenheit der Europäer gegenüber ihren ausländischen Mitbürgern. Ein Deutschland ohne Ausländer sei für sie „undenkbar“. Sie verwies auf die internationalen Wirtschaftsverflechtungen, aber auch an die „Nöte von Menschen im Süden“, die einerseits materiell bedingt seien. Sie seien aber auch „das Ergebnis von politischem und religiösen Radikalismus“.

Bestrafung von Integrationsverweigerern ist nicht neu

Es gibt also viele Parallelen zwischen den Integrations- und Ausländerdebatten von einst und jetzt. Ach ja, da wäre noch die Bestrafung von Integrationsverweigerern wie vom Bundesinnenminister Thomas de Maiziére (CDU) ausgedacht. In den 70er Jahren wurde das Kindergeld davon abhängig gemacht, ob die Kinder eine Schule in Deutschland besuchen.

Damit wurde angestrebt, die Schröpfung der Staatskassen mit „Scheinkindern“, für die Kindergeld kassiert wurde, obwohl sie in der Türkei lebten, zu beenden. Was aber noch wichtiger war, war der Druck, die deutsche Sprache zu erlernen. Die Frist für die unbefristete Aufenthaltsgenehmigung wurde auf fünf Jahre gekürzt, wenn die Deutschkenntnisse eine Verständigung ermöglichten.

Gauck fordert Engagement aus der Bürgergesellschaft

Und wie ist es heute um die Integration bestellt? Bundespräsident Joachim Gauck fordert, dass die Integration „sofort nach Ankunft von Flüchtlingen“ beginnen müsse. Vor allem aber dürfe die Integration nicht alleine dem Staat überlassen werden: „Was wir brauchen, sind Impulse und Initiativen von unten, das Engagement aus der Bürgergesellschaft heraus.“

Gauck zeigt somit auf die Tatsache, dass die Integration „keine Einbahnstraße“ ist. Von Ausländern die Bereitschaft zur Integration zu fordern und ihnen gar „Sanktionen“ anzudrohen, wenn sie sich nicht integrieren wollen, ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite befindet sich die deutsche Mehrheitsgesellschaft, die dazu bereit sein muss, Menschen zu integrieren, sie auf gleicher Augenhöhe zu sehen und ihnen Chancengleichheit zu ermöglichen.

Özoğuz fordert Versachlichung der Debatten

Während der Bundesinnenminister Integrationsverweigerung sanktionieren will, verweist die Beauftrage der Bundesregierung für Migration und Flüchtlinge, Aydan Özoğuz (SPD), auf die vorhandenen Angebotslücken: „Wir wissen alle miteinander, dass wir gar nicht genug Sprachkurse haben, dass wir nicht genug berufsbegleitende Maßnahmen oder Einstiegschancen haben.“ Damit zeigt Özoğuz den Weg zu einer Versachlichung der Integrationsdebatten.

Ein guter Muslim soll also Deutsch lernen, das Grundgesetz verinnerlichen und sich entsprechend verhalten, aber möglichst nicht in Schützenvereine gehen, in denen er Schützenkönig werden könnte. Der Fall des türkischstämmigen, in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Schützenkönigs erregte vor zwei Jahren die Gemüter. Er sollte seine Königskette wieder abgeben, weil seine Schützenbruderschaft „eine Vereinigung von christlichen Menschen“ sei, wie es in der Satzung hieß. Das hat er nicht gemacht. Aber sein Fall zeigte, dass die deutsche Gesellschaft noch daran arbeiten muss, zu akzeptieren, dass dieses Land ein Einwanderungsland ist und Menschen mit anderen kulturellen und religiösen Wurzeln einfach zur multikulturellen Gesellschaft gehören.

Die gelungene Integration oder gar ein deutscher Pass garantieren noch lange nicht Chancengleichheit etwa bei Wohnungssuche oder bei Bewerbungen. Die Namen, die Hautfarbe, schwarze, gekräuselte Haare können nicht verborgen werden. Die Erfahrungen und die Frustrationen vor allem junger Ausländer sind entmutigend für sie.

An Alarmzeichen für die heutigen Problemen hatte es schon vor Jahrzehnten nicht gefehlt. So warnte beispielsweise ein leitender Beamter des Bundesarbeitsministeriums 1976 vor schweren Störungen der gesellschaftlichen Atmosphäre. Er fasste seine Sorgen in folgenden Worten zusammen: „Die deutsche Bevölkerung muss wissen, dass sie auf Dauer nicht in sozialem Frieden leben kann, wenn die soziale und berufliche Integration der Ausländer nicht gelingt. Die Versäumnisse werden auf die deutsche Bevölkerung zurückschlagen.“

„Migrationsprozesse lassen sich nicht umkehren“

Der Historiker Ulrich Herbert von der Universität Freiburg warnte davor, in den Integrationsdebatten die Probleme von früher mit denen von heute zu vergleichen. Im Deutschlandfunk vertrat er im vergangenen Januar die Auffassung, die Integration von Flüchtlingen werde sich viel schwieriger gestalten als die der „Gastarbeiter“ in den 60er Jahren. Diese hätten sofort einen Job gehabt, während die Flüchtlinge diesen noch suchen müssen.

Schon vor fünf Jahren und damit lange vor dem Ausbruch der Flüchtlingskrise und den dramatischen Entwicklungen in der EU hatte Herbert in einem Interview mit der Zeit vor der Annahme gewarnt, die mit der Einwanderung verbundenen Probleme seien kurzfristig lösbar: „Migrationsprozesse lassen sich nicht umkehren oder stoppen. Auch Probleme wie Bildungsdefizite, Kriminalität oder kultureller Fundamentalismus sind nicht kurzfristig lösbar.“

Hat Deutschland den Atem für langfristige Lösungen?

An diesem Punkt lautet die Frage: Hat Deutschland den Atem für langfristige Lösungen? Die Forderung nach Sanktionen bei Integrationsverweigerung ist eine Verneinung dieser Frage. Die Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD) zeigen aber auch, dass Deutschland diesen Atem nicht hat.

Dafür gibt es zwei Gründe: Deutschland befindet sich einerseits nahezu permanent im Wahlkampf. Bei Wahlen in 16 Bundesländern mit Folgen für die Gewichtsverteilung im Bundesrat und dazu noch bei Bundestagswahlen sehen sich Politiker und Parteien dazu gezwungen, die Integration zum Wahlkampfthema zu erklären.

Andererseits aber wurde Deutschland auch mit dem Undank der meisten EU-Länder und vor allem derer, die ihre EU-Mitgliedschaft vor allem Deutschland zu verdanken haben, konfrontiert. Der Populismus und der Rechtsradikalismus blühen auf, während die Bundestagsparteien gegen die Verfechter dieser unheilvollen Strömungen bestehen müssen.

Der „Deutschlandtrend“ der ARD lässt alle Alarmglocken läuten: SPD fällt unaufhaltsam in Rekordtiefen, die CDU verliert auch, aber die AfD könnte aus dem Stand zur dritten politischen Kraft knapp vor den Grünen im Bundestag werden, wenn nächsten Sonntag bundesweit gewählt würde.

Ein Horrorszenario, aber leider realistisch.