Connect with us

Politik

Warum der Türkei kein neuer Bürgerkrieg bevorsteht

Spread the love

Der Friedensprozess zwischen Ankara und der PKK, der so vielversprechend begonnen hat, liegt auf Eis und daran wird sich zeitnah wenig ändern. Warum aufgeschoben auch hier nicht aufgehoben ist, erklärt unser Autor Ihsan Dağı. (Foto: zaman)

Published

on

Die Hizmet-Bewegung ist kein Teil des Machtkampfes, sondern ein zivilgesellschaftlicher Akteur des Transformationsprozesses hin zu mehr Demokratie.
Spread the love

Sowohl die Botschaften, die von der Regierung kommen, als auch die der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) verursachen eine ernsthafte Krise im Friedensprozess, der Verhandlungen zwischen der türkischen Regierung und dem Anführer der Terroristen, Abdullah Öcalan beinhaltete, um zu einer politischen Lösung für die Kurdenfrage zu finden. Wird die Regierung nun eine neue Strategie verfolgen und den Forderungen der PKK nachkommen? Ist es wahrscheinlich, dass die PKK wieder zu den Waffen greift?

Meine klare Antwort auf beide Fragen lautet „Nein”. Weder wird die Regierung den politischen Forderungen der PKK entgegenkommen, noch wird die PKK Zuflucht in der Gewalt suchen, um zu antworten.

Die Regierung kann den Forderungen der PKK nicht in einer weitreichenden Form nachkommen. Dafür ist es etwas zu spät. Mit der Aussicht auf die bald bevorstehenden Kommunalwahlen wird die Regierung keine allzu riskante Entscheidung in der Kurdenfrage treffen.

Die kommenden lokalen Wahlen sind von überragender Bedeutung, insbesondere für die Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AK Parti), deren Parteivorsitzender sich auf die Präsidentschaftswahlen vorbereitet, die einige Monate nach den lokalen Wahlen stattfinden werden. Deshalb wird die Partei alles Notwendige dafür tun, um ein lokales Ergebnis, das Recep Tayyip Erdoğans Chancen im Präsidentschaftsrennen aufs Spiel setzen könnte, zu vermeiden.

Erdoğan hat bei den Kommunalwahlen zu viel zu verlieren, um jetzt gewagte Schritte zu setzen

Andererseits sind alle lokalen Wahlen riskant für regierende Parteien, weil selbst die Unterstützer der Partei, die wissen, dass die Wahlen nichts an der Regierungskonstellation in Ankara ändern werden, diese für Proteststimmen nutzen könnten. Man möge sich nur an die Wahlen der letzten elf Jahre zurückerinnern, in denen der Stimmanteil der AK-Partei beispielsweise bei den Kommunalwahlen 2009 um fast 10% niedriger angesiedelt war als zuvor bei der Parlamentswahl 2007.

Eine ähnlich hohe Niederlage bei den nächsten Regionalwahlen würde jedoch Erdoğans Kandidatur zu den Präsidentschaftswahlen gefährden können. Deshalb werden die anstehenden örtlichen Wahlen von der regierenden Partei als durchaus entscheidend erachtet. Das bedeutet jedoch, dass es für die PKK derzeit unmöglich ist, etwas politisch wirklich Bedachtsames als Zugeständnis von der Regierung zu erlangen.

Der Premierminister möchte nicht den Anschein erwecken, ein politisches Abkommen mit der PKK zu treffen. Dies liegt nicht mal daran. dass er desinteressiert wäre an einer Lösung der Kurdenfrage, sondern daran, dass sein Basisinstinkt auf politischem Überleben beruht und er glaubt, dass ein Abkommen mit der PKK seiner Beliebtheit unter den türkischen Wählern entscheidend schaden könnte.

Die Verhandlungen mit Öcalan waren noch akzeptabel, weil die Mehrheit der Türken einen solchen Schritt hinzunehmen bereit wäre, solange dadurch die PKK entwaffnet werden und ihre terroristischen Aktivitäten beenden werden würden. Der Versuch, das Blutbad zu stoppen, war für die Menschen nachvollziehbar und für die Regierung erschwinglich.

Auf die Forderungen der PKK einzugehen wäre hingegen eine fundamental andere Geschichte mit gewaltigen politischen Risiken für eine Regierung, die einer nach wie vor in höchstem Maße nationalistisch beeinflussten Öffentlichkeit gegenübersteht. Deshalb kann und wird es keine substanzielle Nachgiebigkeit mit Blick auf die Forderungen der PKK geben.

Für die Kurden ist Rojava wichtiger als die Südosttürkei

Sollte die PKK vor diesem Grund darauf beharren, der Regierung mit Gewalt zu drohen oder gewalttätige Operationen in der Türkei wiederaufzunehmen, wird die Regierung so am Ende selbst eine Rechtfertigung haben, den Friedenprozess ins Stocken zu bringen und gegenüber der PKK Härte und Entschlossenheit zu zeigen. Deshalb wäre eine Auszeit in im Friedensprozess für die Regierung von politischem und taktischem Vorteil.

Aber wäre die PKK überhaupt in der Lage, ihre bewaffneten Angriffe wieder aufzunehmen, selbst wenn die Regierung nicht auf ihre Forderungen eingeht?

Ich glaube nicht. Die Terroristen werden vielleicht ihre Stärke mit gewaltaffiner Rhetorik oder Symbolik demonstrieren wollen, aber meines Erachtens wird die PKK keine bewaffneten Angriffe in der Türkei vornehmen. Der Grund hierfür liegt in der Priorität, die Syrien für die PKK darstellt, wo es nun die historische Gelegenheit gibt, eine autonome politische Einheit zu bilden. Der „Sieg“ ist in Syrien viel näher als in der Türkei. Deshalb wird die PKK sich auf ihre Kräfte in Rojava konzentrieren, anstatt einen unbeliebten Krieg in der Türkei wiederaufzunehmen.

Wir werden jedoch eine neue PKK in der Türkei sehen, die keine Gewalt benutzt, aber eine politische Strategie anstrebt. Der bewaffnete Kampf der Kurden, wie Öcalan es im Rahmen des letzten Newroz erklärte, ist in der Tat beendet. Sie haben nun die Organisation, das Personal, die aktive soziale Basis, aber vor allem einen hohen Grad an regionaler und internationaler Legitimation, um eine politische Strategie in der Türkei zu erstreben, unabhängig von den Entscheidungen der Regierung über die politischen Reformen für die Kurden.

Kurz gesagt, während die AK Partei mit den Wahlen beschäftigt ist, wird die PKK eine weitreichende Autonomie in Rojava anstreben und eine langfristige, nicht gewalttätige Strategie auf türkischem Boden beginnen.

İhsan Dağı ist ein renommierter Politikwissenschaftler und Kolumnist bei der türkischen Tageszeitung „Zaman“.