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Politik

Was ein Befruchtungszentrum mit der Gülen-Gemeinde zu tun hat

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Aret Kamar ist ein armenischer Arzt und Geschäftsführer des Künstlichen Befruchtungszentrums Istanbul, das er vor 11 Jahren gegründet hat. Wie die armenisch-türkische Wochenzeitung Agos berichtet, ist das Zentrum nun mit dem Vorwurf, Teil der „Fetö-Terrororganisation“ zu sein, geschlossen worden. Unter der Kürzung „Fetö“ wird die Gülen-Bewegung verstanden, welche die Regierung mit allen Mitteln bekämpft, weil sie sie hinter den gescheiterten Putsch vom 15. Juli 2016 vermutet. Beweise dafür hat sie bislang nicht vorgelegt, bereits wenige Stunden nach Beginn des Putschversuchs war der Drahtzieher bereits ausgemacht. Bei der anschließend einsetzenden Suspendierungs- und Verhaftungswelle wird sich nicht an Recht und Gesetz gehalten, schließlich wurde der Ausnahmezustand ausgerufen.

Erdoğan selbst sagte in den Tagen nach dem gescheiterten Putsch in einem Fernsehinterview, dass es unmöglich sei, die Bewegung im Rahmen der gültigen Gesetzte zu bekämpfen und lässt kein Zweifel daran, den jetzigen Ausnahmezustand zu nutzen, um die Bewegung mit allen Mitteln zu zerstören. Das ist ihm auch gelungen. Hunderte Bildungseinrichtungen, Stiftungen und Medienhäuser sind mittlerweile geschlossen, Tausende Menschen verhaftet und knapp 70.000 Menschen aus verschiedenen Ministerien und Ämtern und halbstaatlichen Unternehmen entlassen. Der Präsident führt einen totalen Vernichtungskampf, den er über diverse Instrumente auch nach Deutschland trägt.

Dafür hat er reichlich willige Helfer, wie die DITIB und die UETD, die die Bekämpfung und Denunziation der Anhänger der Bewegung als Dienst an Religion und Vaterland verstehen. So ist es nicht verwunderlich, dass ein Imam einer DITIB-Gemeinde aus dem Ruhrgebiet die Anhänger der Hizmet-Bewegung allesamt zu Ungläubigen erklärt und eine andere Gemeinde aus Baden-Württemberg einem seiner Mitglieder kündigt, weil sie keine Menschen unter ihren Mitgliedern dulden wolle, da sie gegen „jegliche Form der Organisation“ sei. Erdoğan weiß die breite Masse der staatstreuen Türken in Deutschland auf seiner Seite und setzt auf sie, ohne Rücksicht darauf, ob sie einen Schaden davon tragen oder nicht. Schon jetzt hat das Landesinnenministerium NRW die Zusammenarbeit mit der DITIB-Zentrale in Köln bei der Bekämpfung des Salafismus beendet. Das interessiert aber kaum in Ankara.

Cumhuriyet sprach schon vor Jahren von „Terroristen“

Die Konstruktion eines „Feindbildes Gülen“ hat in der Türkei eine lange Geschichte und dafür sind vor allem säkulare Medien wie Hürriyet und Cumhuriyet verantwortlich. Es war der jetzige Cumhuriyet-Kolumnist Hikmet Çetinkaya, der Anfang der 1970er Jahren die ersten Artikel über die „terroristische“ Bewegung schrieb und den öffentlichen Diskurs nachhaltig prägte. Noch am 22. Februar 2002 erschien der Aufmacher von Cumhuriyet mit der Schlagzeile „Die Gülenisten sind Terroristen“.

Inzwischen haben die AKP-Ideologen die Verteufelung der Hizmet-Bewegung übernommen. Der gemeinsame Feind heißt Gülen.

Um zurück auf den armenisch-türkischen Arzt aus Istanbul zu kommen: Da die AKP-Regierung am 20. Juli einen Ausnahmezustand verhängt hat, der über 90 Tage gehen soll, hat Kamar weder die Möglichkeit, einen Rechtsanwalt einzuschalten, der seine Rechte gegen den Staat einfordert, noch kann er sich an nicht regierungstreue Medien wenden, die ihm Gehör in der Öffentlichkeit verschaffen. Sein medizinisches Zentrum und damit auch sein Lebensprojekt sind ruiniert. Er steht hilflos da, vor den Scherben seiner 11- jährigen harten Arbeit, die vom Staat von einem auf den anderen Tag zerstört wurde.

Er mag, wie er es Agos gegenüber sagt, als Armenier und Christ tatsächlich nichts mit der Bewegung zu tun haben. Sein Schicksal ist aber exemplarisch für viele Journalisten, Geschäftsleute, Beamte, Lehrer, Hausfrauen und Studenten, die mit Spenden und Ehrenamt die Bildungs- und Dialogsarbeit der Hizmet-Bewegung in der Türkei unterstützt haben. Auch sie blicken auf die Trümmer ihrer über 40-jährigen Arbeit hinab, die in diesen Tagen vom Staat kaltblütig zerstört wird. Falls es tatsächlich Verbrecher gab, die aus der Bewegung stammen, müssen sie verurteilt werden. Eine Kollektivschuld kann es nicht geben.

Die Türkei war nie eine lupenreine Demokratie. Sie hat eine Verfassung aus der Zeit der Militärherrschaft von vor 35 Jahren, von der Erdoğan aktuell voll Gebrauch macht. Sie war ein hinkender Rechtsstaat und wird zunehmend zu einem galoppierenden Verhaftungsstaat. Ein Staat, der gerade dabei ist, einen Zivilisationsbruch zu begehen. Und uns bleibt nichts anderes übrig, als dem machtlos zuzusehen.