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Kolumnen

Was haben die Deutschlandtürken von einem NPD-Verbot? Gar Nichts!

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Welche Vorteile haben die Deutschlandtürken, wenn die NPD verboten wird? Weder verschwindet der Rechtsextremismus in Deutschland noch die Vorurteile in den Köpfen der Deutschen. Stattdessen wäre eine andere Maßnahme viel sinnvoller. (Foto: dpa)

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Was haben die Deutschlandtürken von einem NPD-Verbot? Gar Nichts!
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Mit der Ankündigung, sich gegen ein NPD-Verbotsverfahren durch die Bundesregierung zu stellen, hat der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler eine erneute Diskussion über den Umgang mit der rechtsextremistischen NPD ausgelöst. Schnell wurde sein gemeinsamer Vorstoß mit den anderen FDP-Bundesministerinnen und -ministern, zum Teil sehr scharf, aber auch überzogen, kritisiert: Manche Karikaturisten im Lande haben den aus Vietnam stammenden FDP-Chef als einen „Kameraden“ der Neonazis dargestellt, die ihm für seinen Einsatz danken. Auch in der türkischen Gemeinde ist die ablehnende Haltung der FDP gegenüber einem Verbot der NPD auf Kritik und Unverständnis gestoßen. Aber – wieso eigentlich!?

Denn das NPD-Verbot verbessert nicht die unmittelbare Sicherheitslage der türkischen Gemeinde in Deutschland vor rechtsextremistischen Übergriffen. Auch wird mit dem Verbot der NPD die Mehrheitsgesellschaft, in deren Mitte sich in den vergangenen Jahren Xenophobie und Islamophobie verbreitet hat, in Sachen Vielfalt und Toleranz gegenüber der türkischen Gemeinde nicht einsichtiger. Eine rechtsextremistische Organisation zu verbieten kommt lediglich einer Schönheitskorrektur einer Gesellschaft gleich, die sich eigentlich ernsthaft mit Xenophobie und Islamophobie auseinandersetzen müsste.

Der politische Diskurs ist die bedeutendste Waffe im Kampf gegen Extremismen

Insofern ist das NPD-Verbot eine dumme Idee! Dies gilt umso mehr, weil eine gut funktionierende Demokratie nicht auf Verboten, sondern auf einer wehrhaften Gesellschaft aufbaut, deren Mitglieder und Institutionen sich extremistischen Tendenzen entgegenstellen. Dabei ist das geschriebene wie gesprochene Wort weitaus wichtiger als Verbote von Gruppen und Organisationen, die von politischen und juristischen Eliten ausgerufen werden.

Will man den Rechtsextremismus, der in die Seele der türkischen Gemeinde in Deutschland tiefe Narben gerissen hat, ernsthaft bekämpfen, dann sollte das Verbot seiner Organisationen das allerletzte Mittel der Demokratie sein. Statt des Verbots schlägt die FDP unter anderem die Reform der Sicherheitsstrukturen vor: „Und wir müssen die Lehren aus den Verbrechen des NSU ziehen und die Sicherheitsstrukturen reformieren. Damit wir rechtsextreme Umtriebe frühzeitig erkennen und konsequent verfolgen können.“ Ja! Eine Reform der Sicherheitsstrukturen wäre nicht nur wirkungsvoller als jedes Verbot, es wäre auch der richtige Schritt, um die deutsche Demokratie wieder zu stärken.

Ein Beamter erfüllt mich mit mehr Sorgen als ein Neonazi

Und es muss mehr geschehen! Die größte Gefahr für die türkische Gemeinde in Deutschland ist nicht am Rande der deutschen Gesellschaft zu finden, sondern in ihrer Mitte! Ich wurde in meinem Leben ein oder zwei Mal von Neonazis unangenehm bedrängt. Aber Beamte, die mir nicht die richtigen Unterlagen gereicht haben, Vermieter, die plötzlich mitteilten, dass die Wohnung anderweitig vergeben wurde, Personalentscheider, die mich für mein gutes Deutsch gelobt haben, haben mir mehr geschadet als jeder Fausthieb und Tritt eines Neonazis tun könnte.

Wenn die türkische Gemeinde den Rechtsextremismus in Deutschland ernsthaft bekämpfen will, dann ist der Ruf nach einem Parteiverbot ein kurzsichtiger. Vielmehr muss sie den Weg der Konfrontation und des politischen Diskurses gehen. Sie muss politischen Druck und mit ihrem vorhandenen Kapital Einfluss auf die politische und ökonomische Elite dieses Landes ausüben. Und viel wichtiger: Jede und jeder wahlberechtigte Türkin und Türke in diesem Land besitzt das wertvollste, das in einer echten Demokratie existieren könnte: eine Stimme, nach der die Parteien mit Blick auf die Land- und Bundestagswahlen gieren.

Ein Experiment wagen: Bitte wählen Sie dieses Jahr nicht die SPD!

Sie glauben mir nicht und winken ab!? Dann lassen Sie uns gemeinsam ein Experiment wagen: Teilen Sie ihrem Umfeld, aber besonders der SPD in ihrem Wohnort mit, dass Sie bei diesen Bundestagswahlen nicht die SPD wählen werden, sofern Thilo Sarrazin, der für die Xenophobie und Islamophobie die Tür in die Mitte der deutschen Gesellschaft noch weiter geöffnet hat, nicht aus der SPD ausgeschlossen wird.

Je stärker diese Botschaft sich verbreitet und von der SPD immer öfter gehört wird, umso größer wird der Handlungsdruck auf die SPD steigen. Und ich verspreche Ihnen, Thilo Sarrazin wird aus der SPD ausgeschlossen!

Der weitere positive Effekt ihrer Haltung, die SPD dieses Jahr nicht zu wählen ist, dass Sie für andere Parteien attraktiver werden. Sie werden sich um Sie kümmern und um Ihre Stimme buhlen. Und sie werden ein Ohr dafür haben, was Sie bedrückt und wünschen.

Sagen Sie es: Dieses Jahr werde ich die SPD nicht wählen, wenn Thilo Sarrazin Mitglied dieser Partei ist. Und lassen Sie sich dabei nicht von anderen Türkinnen und Türken irritieren, die Ihre Haltung relativieren oder verharmlosen wollen.

Gelingt das Experiment, dann wird der Gewinn für uns, der türkischen Gemeinde in Deutschland, weitaus größer und bedeutender sein, als wir uns es vielleicht vergegenwärtigen können. Wir erlangen nämlich die Erkenntnis, dass wir nicht auf den Vaterstaat warten müssen, um unsere Ziele zu erreichen, sondern bereits jetzt über die Möglichkeiten und Fähigkeiten verfügen, unsere Interessen wirkungsvoll durchzusetzen.

Autoreninfo: Kamuran Sezer, Jg. 1978, ist Leiter des Dortmunder futureorg Instituts, eine Denkfabrik für Diversity und gesellschaftlichen Wandel.