Connect with us

Gesellschaft

„Was hat deine Religion mit Terror zu tun?“- Ich war zehn, als ich mich das erste Mal rechtfertigen musste

Spread the love

Der Anschlag in Paris auf die Satirezeitschrift ‚Charlie Hebdo‘ sorgte weltweit für Diskussionen. Für mich war dies nicht nur ein trauriges Ereignis bezüglich der Pressefreiheit, nein, ich musste mich wieder einmal rechtfertigen… (Foto: dpa)

Published

on

Spread the love

„Charlie Hebdo“ ist seit vergangenen Mittwoch auf allen sozialen Medien Hashtag Nummer eins. Zahlreiche User der sozialen Medien änderten ihr Profilbild, auf dem „Je suis Charlie“ zu lesen ist. Auch ich zeigte meine Anteilnahme via sozialer Medien, doch ich war totzdem NICHT „Charlie Hebdo“…

Ich erfuhr erst am frühen Nachmittag von der grausamen Tat, die sich in Paris ereignete. Man hat schließlich auch in Smartphone-Zeiten nicht immer die aktuellen Nachrichten im Blick. Ich hatte an diesem Tag ein wichtiges Referat in der Universität und damit war ich voll ausgelastet. Im Seminar diskutierten wir über den Roman „Brick Lane“ von Monica Ali, der 2003, zwei Jahre nach den Ereignissen des 11.Septembers, veröffentlicht wurde. Bei der Diskussion über den Roman stellte ich die Frage warum der Roman in der britischen Mehrheitsgesellschaft positiv, in der Britisch-Bengalischen jedoch negativ aufgenommen wurde. Es hat zu Demonstrationen von Britisch-Bengalesen gegen dieses Buch und den darauf basierenden Film geführt.

Der Roman gibt viele Stereotypen und Vorurteile gegenüber Muslimen und Migranten wieder. War das der Grund für die Proteste? In dem Seminar wollten viele deutsche Kommilitonen nicht einsehen, dass der Roman stereotypische Bilder von Muslimen wiedergibt. Schreiben sei Kunst und man dürfe sich dabei frei äußern. Dass die bengalische Gemeinde in London dies nicht so sieht und viele Muslime fiktionale Darstellungen in Werken wie von Monica Ali oder Salman Rushdies „Satanischen Versen“ nicht akzeptieren konnten, fanden meine deutschen Kommilitonen eher problematisch. Das, was sie am meisten verärgerte, war die Tatsache, dass Autoren dieser Bücher sich ins Lebensgefahr befinden und die Proteste oft in Gewalt enden. Schon wieder befand ich mich in der Situation mich für das Handeln von Muslimen irgendwo auf der Welt rechtfertigen zu müssen. Wieso? Weil ich selbst Muslimen bin. Wie oft habe ich das schon erlebt? Die erste Erinnerung habe ich aus der 4.Klasse. Damals, als der 11.September passierte. Mit zehn musste ich mich für den Terror in einer Stadt, die ich kaum kannte, rechtfertigen.

Ein verlorener Kampf

Als das Seminar vorbei war, spürte ich, dass ich einen verlorenen Kampf führte. Egal, was ich sage und wie ich argumentiere, es wird mir nicht gelingen, die festeingefahrenen Meinungen der deutschen Mitstudenten zu ändern. Scheinbar sprechen nicht nur die Fakten gegen mich, sondern auch die Interpretation der Fakten, über die sich viele aus den Medien informieren und Bilder sind nun einmal stärker als ein kleines 10-jähriges Mädchen und eine muslimische Studentin, auch wenn sie in Deutschland geboren und aufgewachsen ist.

Direkt nach dem Seminar hörte ich von dem schrecklichen Attentat in Paris. Mein erster Gedanke war: Schon wieder ein Terrorakt und hoffentlich wird dieser Akt nicht in Verbindung mit meiner Religion gebracht. Ich war enttäuscht und fühlte mich erschöpft. Warum hatte ich gerade noch versucht meine Kommilitonen von dem Gegenteil zu überzeugen, dachte ich. Es ist wieder ein Ereignis da, worüber die Medien wohl wieder verallgemeinernd berichten werden. Meine Kommilitonen erhalten dann wieder  „Beweise“ und ich stehe wie immer auf verlorenem Posten. Die Art und Weise jedoch, wie über das Attentat von Paris berichtet wurde, hat mich positiv überrascht. Denn die Reaktion der Medien und der Politiker fiel teilweise anders aus als ich befürchtet hatte. Es gab diesmal keine einheitliche Frontstellung von Medien und Politikern gegen den Islam und den Muslimen. Viele wiesen auf die Gefahr eines Generalverdachts hin und warnten davor, alle Muslime für die Tat von Terroristen verantwortlich zu machen. Dies zu beobachten, gab mir Mut und war ein Hoffnungsschimmer, wenn auch ein kleiner. Ein anderer Hoffnungsschimmer ist es zu beobachten, wie deutlich die Mehrheit der Muslime diese Untat verurteilen und ihre Stimme erheben: Für den Islam, für die Pressefreiheit, gegen den Terrorismus.

Terror in Paris macht Muslimen Angst

In den vergangenen drei Tagen habe ich im Bekanntenkreis oft über das, was in Paris geschehen ist, gesprochen. Einige meiner muslimische Freundinnen erzählten mir, dass sie mittlerweile Angst hätten auf der Straße angegriffen zu werden. Angegriffen für Straftaten, die sie selbst als Verbrechen an der Menschheit sehen und genauso verurteilen wie jeder andere Bürger dieses Landes.

Ich beobachte natürlich auch mit Sorge, dass vereinzelte Muslime in den sozialen Medien-und das stimmt mich sehr traurig- schreiben, dass sie die Attentäter unterstützen, da sie den Propheten Muhammed „gerächt“ hätten. Wie kann man nur so argumentieren, frage ich mich? Hätte unser Prophet es überhaupt gewollt, dass ihr ihn auf diese Art und Weise verteidigt? NEIN! Wenn man ihn wirklich hätte „rächen“ wollen, sollte man nach seinem Vorbild handeln. Er ist Menschen, die ihn beleidigt haben, mit Argumenten und Vergebung begegnet. Als seine Gegner in Mekka jeden Tag Müll vor seiner Haustür ausluden, um ihn zu demütigen, fegte er diesen weg, ohne sich mit einem einzigen Wort zu beschweren. Der Prophet Muhammed ließ die Menschen ihre Meinung frei aussprechen.

Ich bin trotzdem nicht „Charlie Hebdo“!

Ich bin voller Tatendrang und denke mir: Du musst etwas tun! Du musst zeigen, dass der Islam nicht böse ist! Doch plötzlich halte ich kurz inne… Ich habe diese Untat doch nicht begangen. Ich verabscheue sie doch! Warum muss ich mich also für die Untaten dieser Terroristen rechtfertigen? Was hat das mit mir und mit meiner Religion zu tun?

Ich weiß, ich kann mich Diskussionen nicht entziehen. Was mir aber letztendlich bleibt, ist es nach meiner Überzeugung zu leben und mit dieser Lebensweise meinen Mitmenschen zu zeigen, dass der Islam und wir als Muslime für sie keine Gefahr darstellen. Im Gegenteil, ich sehe in meiner Religion eine Quelle, wie ich ein besserer Mensch sein kann, der dazu beiträgt, eine friedvolle Gesellschaft mit zu gestalten. Ich sehe in meiner Religion eine Inspirationsquelle mit Kritik sachlich und friedlich umzugehen. Zwar finde ich es nicht richtig, dass die ermordeten Redakteure der Zeitschrift „Charlie Hebdo“ nicht nur kritisch, sondern teilweise respektlos mit Werten, die mir heilig sind, umgegangen sind. Daher ist mir nicht danach auf ein Plakat zu schreiben „Ich bin Charlie Hebdo“. Nein, das bin ich nicht, aber eine Terroristin oder jemand, der diese Schandtat gut heißt, das erst recht nicht.