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Politik

„Was in Kurdistan passiert, hat nicht das türkische Volk zu verantworten“

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Der Friedensprozess ist zu Ende, es sprechen wieder die Waffen, differenzierte Sichtweisen werden als Verrat abgetan. Doch es gibt keinen anderen Weg als den des Dialogs. Besuch bei einem Deutsch-Kurden.

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Can
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Eine gewöhnliche Berliner Straße, drei Schritte und schon fühlt man sich in Kurdistan. Zumindest im Sinne von Thomas Mann, der im Februar 1938 in New York sagte, „Wo ich bin, ist Deutschland.“

Erdgeschoss, ein länglicher Raum. Zwei Tischreihen, am Ende des Raumes ein an der Wand angebrachter, laufender Fernseher, mindestens 150 Zentimeter Bilddiagonale. Es läuft Med Nuce, ein Sender, der auf Türkisch sendet, aber im Dienste der kurdischen Sache steht. Unter dem Fernseher hängen verschiedene Poster, eines von Abdullah Öcalan, der in  der Türkei verurteilt wurde und lebenslänglich im Gefängnis sitzt. Daneben verschiedene Fahnen in den Farben rot, gelb und grün. Sie gelten als die Farben der Kurden. Auch die Fotos von Sakine Cansız und Fidan Doğan hängen an der Wand unter dem Fernseher – zwei kurdische Frauen, die am 9. Januar 2013 in Paris bei einem Mordanschlag starben. Auf dem Tisch davor stehen Kerzen.

An den Tischen sitzen sich um die zehn Männer gegenüber, trinken Tee und unterhalten sich. Der Gast wird etwas skeptisch begrüßt, die Blicke zeugen von Misstrauen. Tee wird serviert. Ein Gespräch mit Can steht an, Deutschkurde, Mitarbeiter von Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, ein eingetragener Verein. Diese Örtlichkeit gehöre jedoch NAV-DEM Berlin, dem Demokratischen Gesellschaftsverein der Kurdinnen und Kurden in Deutschland, ebenfalls ein eingetragener Verein, erklärt Can.

In Deutschland geborener Kurde

Can ist ein junger Mann, der in Köln geboren und aufgewachsen ist. Er ist 26, hat einen Abschluss in Politikwissenschaft in der Tasche, Bachelor. Als was er sich wohl versteht? „Ich fühle mich als in Deutschland geborener Kurde“ definiert er seine Identität. Seine Eltern stammen aus Malatya. Zu Hause haben sie Kurdisch gesprochen, draußen mit ihren türkischen Nachbarn Türkisch. „Ich spreche überwiegend deutsch und kurdisch. Türkisch habe ich später gelernt“ gibt er zu Protokoll. Kurdisch ist ja aber nicht Kurdisch, Eingeweihte unterscheiden zwischen den Dialekten Kurmancî, Soranî und Zaza. „In Nordkurdistan wird hauptsächlich Kurmancî und Zaza gesprochen. Wir sprechen Kurmancî“, sagt Can.

Gerade läuft eine Art Krieg im Südosten der Türkei. Die Türkei beschießt kurdische Stellungen in Syrien. Es herrscht Kriegsstimmung. Es gibt keine Grautöne mehr. Entweder man plappert die offizielle Version der Dinge nach, oder man ist Verräter. Die Brücken zwischen den gesellschaftlichen Gruppen, zwischen Türken, Kurden, AKPlern, Oppositionellen scheinen abgebrochen. Was aber wollen die Kurden?

Auf die Frage, was die Kurden wollen, antwortet Can: „Die Kurden wollen in Gleichheit und Freiheit leben, wie alle eben.“ Und was ist mit einem Staat? Sie sind doch aufgetreten, die bestehenden Grenzen zu ändern und einen eigenen Staat zu gründen? „Die Kurden wollen keinen Staat. Je weniger Staat, desto mehr Freiheit“, meint Can.

Ob das wohl ehrlich gemeint ist? Oder ist das der sogenannte Spiegelbildeffekt der Psychologie, wonach wir uns in das verwandeln, was andere von uns halten? Jedenfalls klingt das merkwürdig liberal in Bezug auf ein Gebiet, in das Liberale derzeit so gut reinpassen wie bunte Papageien in die Polargebiete. In Bezug auf die Kurden im Norden Syriens, das die Kurden selbst als Rojava bezeichnen, ist aber auch die Feststellung zu hören, dass sie dort vor einem neuen Status stehen, was auch als leise Hoffnung auf Eigenstaatlichkeit verstanden werden könnte.

Die Auseinandersetzungen im Südosten der Türkei beschäftigt natürlich auch Can. „Es wird dort ein sehr schmutziger, offener Krieg geführt. In den 90ern wurden auch tausende von Dörfern entvölkert. Damals versuchte man noch, dies alles geheim zu halten. Heute aber ist keine derartige Bemühung zu erkennen“ findet Can.

Die Kurden waren von Erdoğan nicht enttäuscht

Und der Friedensprozess? „Erdoğan war niemals ehrlich“, sagt Can. „Der Friedensprozess war selber nicht das Ziel, er war ein Mittel zu einem anderen Zweck. Die kurdische Seite wusste dies, deshalb hatte sie auch nicht ernsthaft etwas anderes erwartet. Von daher kann von einer Enttäuschung in Bezug auf Erdoğan nicht die Rede sein“, meint Can.

Bezüglich des Glaubens bezeichnet sich Can als Alevit. Als er in Köln war, sei er noch in Cem-Häuser gegangen, also den Ort, den Aleviten an Stelle der Moschee besuchen. In Berlin habe er dazu noch keine Gelegenheit gefunden. In Cem-Häusern kämen türkische und kurdische Aleviten zusammen. Streit gäbe es nicht zwischen den im Glauben geeinten, aber in der Ethnie getrennten Gruppen. Die Aleviten seien in der Türkei stark verängstigt. Auch die türkischen Aleviten haben sich bei den letzten Wahlen mehrheitlich für die pro-kurdische Demokratiepartei der Völker, die HDP, ausgesprochen.

Im Übrigen habe er auch türkische Freunde. Die meisten könnten mit anderen Empathie empfinden, sodass es keinen wirklichen Streit gebe.

Fragen zum Anschlag von Ankara mit 29 Toten, zu dem sich eine militante kurdische Terrororganisation bekannt hat, weicht Can aus. „Den wahren Terror übt der Staat aus, und zwar gegen seine eigenen Bürger“, sagt er. Auf die Frage, wie sie zur PKK stehen, antwortet er, sie würden ihr nicht angehören. Dabei gleiten die Augen auf ein Plakat auf der Wand, auf dem es heißt: „PKK? Na klar!“ Den Hinweis auf das Poster mit dem Konterfei Abdullah Öcalans kontert Can mit dem Argument: „Öcalan ist bei den Kurden als politischer Repräsentant anerkannt. Er symbolisiert das Volk.“

Im Verfassungsschutzbericht von 2014 ist auf Seite 129 zu lesen, dass die PKK 14.000 Sympathisanten habe. Dort heißt es: „Die PKK hat im letzten Jahrzehnt in Europa mehrere Namensänderungen vorgenommen, nicht zuletzt auch, um einen demokratischen Läuterungsprozess zu suggerieren sowie dem Makel einer Terrororganisation entgegenzuwirken und sich legale Betätigungsfelder zu schaffen. Gleichwohl bleiben die Entscheidungsstrukturen durchweg hierarchisch und streng von oben nach unten gegliedert.“

„Die Völker sind Brüder und Schwestern“

Möglicherweise tun sie sich schwer mit diesem Wandlungsprozess. Sie möchten nach außen ein anderes Bild abgeben, sich vom Alten zu trennen fällt aber auch schwer.

Blickt er in all den gegenwärtigen Auseinandersetzungen optimistisch in die Zukunft und glaubt er, die Türkei wird zum Prozess der Demokratisierung zurückkehren? „Es geht nicht um Glauben an die Demokratisierung. Es geht darum, dass man für eine Sache einsteht, für eine Sache kämpft. Die Freiheit hier in Europa wurde ja auch diesen Völkern nicht geschenkt, sie wurden erkämpft“, antwortet er.

Zumindest auf das Volk bezogen klingt Can versöhnlicher. „Wir haben kein Problem mit dem türkischen Volk. Die Völker sind Brüder und Schwestern. Was in Kurdistan passiert, hat nicht das türkische Volk zu verantworten. Es geht auf das Konto der AKP.“