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Geschichte

Was man über den Dreißigjährigen Krieg wissen sollte

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Ein großes Trauma der deutschen Geschichte. Im Mai jährt sich der Beginn des Dreißigjährigen Krieges zum 400. Mal. Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler sieht Parallelen zwischen der damaligen europäischen Katastrophe und den Konflikten im heutigen Nahen Osten.

KNA: Herr Professor Münkler, man liest immer wieder, der Dreißigjährige Krieg habe sich tief ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingegraben. Stimmt das?

Münkler: Heute gilt das meines Erachtens nicht mehr. Spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg hat der Dreißigjährige Krieg seine Bedeutung als „Urkatastrophe der Deutschen“ verloren. Dennoch war der Dreißigjährige Krieg ein tiefer Einschnitt in die deutsche Geschichte. Er hat im Verhältnis weit mehr Todesopfer gefordert als der Erste und der Zweite Weltkrieg zusammen. Die Bevölkerung ging von 17 auf 11 Millionen zurück, durch Gewalt, aber auch durch Hunger und Seuchen. Bis zum Ersten Weltkrieg war der Dreißigjährige Krieg das große Trauma der deutschen Geschichte. Er hat darüber hinaus die militärischen Planungen in Deutschland stark beeinflusst.

KNA: Inwiefern?

Münkler: Der Dreißigjährige Krieg war von Anfang an ein europäischer Konflikt, der auf deutschem Boden ausgetragen wurde. Spanier und Papst finanzierten den Kaiser; Franzosen, Niederländer, Dänen und Schweden unterstützten die Protestanten und verfolgten eigene Interessen. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wollten die Militärstrategen unbedingt verhindern, dass wieder ein europäischer Konflikt auf deutschem Boden ausgetragen wurde. Man plante also eine prinzipiell offensive Kriegsführung, die dann zum Schlieffenplan im Ersten Weltkrieg, zum Überfall auf Belgien und Frankreich, führte. Damals haben die Deutschen aus der Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg wohl das Falsche gelernt.

KNA: Kann man trotzdem heute etwas aus diesem Konflikt lernen?

Münkler: Es gibt verblüffende Parallelen zu den Konflikten im Nahen Osten heute. Der Dreißigjährige Krieg führte erstmals zu Flüchtlingsströmen, die nicht mehr nur die Vertreibung von kleinen politischen Eliten waren. Mindestens ein Zehntel der böhmischen Bevölkerung musste damals aus Glaubensgründen die Heimat verlassen. Auch die Vielschichtigkeit des Krieges ähnelt sich: Damals vermischte sich das Hegemonialstreben der großen Mächte um die Macht in Europa mit dem reichsinternen Konflikt zwischen Kaiser und Ständen und dem Konfessionskonflikt. Auch in Nahost geht es seit dem arabischen Frühling um innere Verfassungskonflikte, dazu die Auseinandersetzung zwischen Sunniten und Schiiten und den Kampf um die Vorherrschaft zwischen Iran und Saudi-Arabien in der Region. Das alles wird zu einem unlösbaren Knoten.

KNA: Auch die Art der Kriegführung weist Parallelen auf…

Münkler: Damals wie heute treten Söldnerfiguren auf, die aus dem Krieg ein Geschäftsmodell machen. Und je länger der Konflikt dauert, desto mehr wehrt sich die Bevölkerung gegen die plündernden Söldner. Auch die Strategie der Belagerung und des Aushungerns hat heute Parallelen. Damals wie heute kam die Dimension des Kleinen Krieges dazu. Es gibt kein Gewaltmonopol mehr; der Krieg schwelt immer länger vor sich hin.

KNA: Die Welt fällt also sozusagen wieder auf die Stufe des Dreißigjährigen Krieges zurück?

Münkler: Man kann das so sehen: Der klassische Krieg zwischen Staaten ist ein Auslaufmodell. Es war das große Verdienst der Friedensordnung von Münster und Osnabrück, den Krieg in eine Ordnung zu zwingen. Es wurde klar definiert, dass Krieg erklärt und Frieden geschlossen werden musste. Nach innen erhielt der souveräne Staat ein Gewaltmonopol, um Aufstände und Bürgerkriege zu verhindern.

KNA: Der Dreißigjährige Krieg wird auch als Konfessionskrieg beschrieben. Welche Rolle spielte die Religion?

Münkler: Wir leben heute in Europa in religiös erkalteten Gesellschaften. Da kann man sich kaum vorstellen, dass Millionen Menschen sich wegen unterschiedlicher Vorstellungen über das Abendmahl abgeschlachtet haben. Aber auf dem Balkan, im Nahen Osten, in Indien oder Pakistan sieht man, welcher Sprengstoff Religion sein kann und wie sie Gesellschaften spaltet.

KNA: Gibt es eine direkte Linie von der Reformation zum Dreißigjährigen Krieg?

Münkler: Schillers große Darstellung des Kriegs geht davon aus, dass man zur Reformation zurückgehen muss, um ihn zu verstehen. Er sieht gewissermaßen zwei Züge, die aufeinander zurasen. Aber eine solche Entwicklung war nicht zwangsläufig. In Frankreich hat König Heinrich IV. durch seinen Konfessionswechsel – Paris ist eine Messe wert – den Religionskrieg beendet. Auch in Deutschland gab es mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 durchaus eine Blaupause für eine Einhegung des Konflikts. Auch während des Krieges, besonders 1629, gab es Chancen auf Frieden: Die katholischen Habsburger hatten auf ganzer Linie gesiegt. Doch statt sich mit den Protestanten zu verständigen, versuchten sie eine Politik der Rekatholisierung durchzudrücken. Das fachte den Widerstand der Protestanten nur neu an.

KNA: Die Gewalt eskalierte…

Münkler: Die konfessionelle Dimension spielte immer eine Rolle, stand aber nie allein. Religion fungierte vor allem als Brandbeschleuniger für hegemoniale oder innere politische Konflikte. Und diese Konflikte schafften wiederum die Möglichkeit, den religiösen Streit in äußerster Härte auszutragen. Man liegt falsch, wenn man den Krieg wesentlich als Religions- und Konfessionskrieg beschreibt. Die Fronten waren viel komplizierter. Das katholische Frankreich unterstützte die Protestanten, um die Macht der Habsburger anzugreifen. Selbst der Papst hatte als italienischer Landesfürst ein Interesse, den katholischen Spaniern in die Parade zu fahren. Im Konflikt um die Hegemonie in der Ostsee haben sich mit Schweden und Dänemark zwei lutherische Mächte bekämpft.

KNA: Die Westfälische Friedensordnung hat auch da Vorkehrungen getroffen…

Münkler: Sie hat das Religiöse entpolitisiert. Die Bedeutung von religiöser Wahrheit, Wertorientierungen und konfessionellen Bindungen trat zurück. Kosten-Nutzen-Analysen und Interessen von Staaten wurden wichtig. Der Krieg wurde so berechenbarer, rationaler, aber er verschwand nicht.

KNA/cas/joh