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Kolumnen

Tuğçe und die Botschaft ihres kurzen Lebens

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Tuğçe Albayrak ist an ihrem 23. Geburtstag gestorben. Sie war zwei bedrängeten Menschen zur Hilfe geeilt und musste ihre Zivilcourage mit ihrem Leben bezahlen. Der Kolumnist Ismail Kul zeigt uns, was wir aus der Tat der Studentin lernen müssen. (Bild: dpa)

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Warum ist Tuğçe gestorben? Was sagt uns ihr Tod? Oder ist sie gar nicht tot?

Es ist ein tragischer Fall. Ein junges Mädchen geht mit Freundinnen feiern. In einem Schnellrestaurant wird sie Zeuge, wie zwei junge Mädchen bedrängt werden. Sie hätte wegsehen können, aber  sie tut es nicht. Stattdessen schreitet sie zugunsten der bedrängten Mädchen ein und wird schließlich selber Opfer einer Gewalttat.

Ihren Mut und ihre Zivilcourage bezahlt sie mit dem Leben. Und zwar genau an ihrem 23. Geburtstag. Sie setzte sich nicht nur für junges Leben ein, als Organspenderin schenkt sie anderen auch nach ihrem Leben Hoffnung.

Es ist aber beschämend, wie ein Teil der Gesellschaft mit ihrem Tod umgeht. Wir leben in Deutschland in einem Zuwanderungsland. Es ist nichts Ungewöhnliches, wenn Täter oder Opfer bei manch einer Tat andere Namen haben als ursprüngliche Deutsche, wenn sie nicht Michael oder Michaela heißen.

Alte Denkmuster kommen zum Vorschein

Ein Teil der Öffentlichkeit legt wieder ihr altes Denken an den Tag. In der türkischen Presse ließt man vom ’serbischen Schlächter‘. In der deutschen Öffentlichkeit gibt es welche, die sie auf ihre Herkunft reduzieren. In einer Seite, die von Ressentiment-geladenen Meldungen lebt, in dem sie eine Kanalisation für das Ekelhafte in einem Menschen bietet, wird auf eine Facebook-Mitteilung von ihr hingewiesen, wo sie Partei für ein freies Palästina ergriff. Dort hieß es sinngemäß: Sie ist gar nicht so modern, wie sie aussieht. Sie ist sogar antisemitisch und somit Feindin des Abendlandes.

Tuğçe wird benutzt, um Ressentiments zu schüren

Der Tod ist etwas sehr Existenzielles. Für Angehörige und Menschen, die ihren Nächsten verloren haben, gibt es nichts Erschütternderes. In solchen Fällen ist der Gestorbene und Angehörige nicht Türkin, Deutsche, Muslimin oder etwas anderes, sondern einfach nur Mensch. Menschen, die ihren Anstand nicht verloren haben und der Empathie fähig sind, zeigen nur Anteilnahme, sonst nichts.

Das ist das, was die Situation erfordert. Offensichtlich nicht bei allen. Auch so einen tragischen Fall wie Tuğçe nutzen manche immer noch, um ihre Ressentiments auszulassen.

Die Botschaft von Tuğçe

Was ist die Botschaft von Tuğçe? Hat sie deshalb eingegriffen, weil sie vorher sich ausführlich über die Nationalität, Konfessionszugehörigkeit und Geburtsort der bedrängten Mädchen erkundigt hat? Hat sie eingegriffen, weil sie einen ethnischen Ursprung hatte, die sie zu einer solchen Heldentat bedrängte? Nein. Sie war einfach Mensch. Sie hatte Empfinden und Selbstvertrauen. Ihr waren andere Menschen nicht egal.

Sie war mit einer Situation konfrontiert, die Mut und Eingreifen erforderte und das tat sie auch. Leider mit einem tragischen Ende.

Man sollte ihre Botschaft gut verstehen. Sie zeigte mit ihrem Handeln, dass es mehr gibt als unsere hergebrachten kulturellen Bindungen. Dass es etwas gibt, die uns unabhängig von kulturellen Prägungen verbindet. Dass wir nicht nur wandelnde Identitäten sind, sondern auch Menschen. Wenn wir das verstehen, dann verstehen wir ihre Botschaft richtig. Sonst missbrauchen wir ihren Tod für unsere eigenen Sichtweisen.

Bekommt sie das Bundesverdienstkreuz? Das dürfte ihr egal sein. Diese Frage ist eigentlich an uns gestellt: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Worauf legen wir Wert? Unabhängig von dieser Frage, hat sie ihren Platz in tausenden von Herzen schon bekommen. Mach’s gut, Tuğçe.