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Kolumnen

Was, wenn Erdoğan Erfolg hat?

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Es ist ungewiss, ob der umstrittene Staatsrechtler Carl Schmitt zur Lieblingslektüre Premierminister Erdoğans und seiner Berater geworden ist: Ihre Politik reduziert sich jedoch mittlerweile auf die bloße Definition von Freund und Feind. (Foto: rtr)

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Erdogan bei einer Rede - reuters
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Dass in der Türkei gerade ein innenpolitischer Kampf tobt, weiß man hierzulande mittlerweile. Man weiß auch, dass es sich hinsichtlich der Ursache um Korruptionsvorwürfe handelt, die wahrscheinlich bis an das nahe Umfeld des Premierministers Recep Tayyip Erdoğan heranreichen, und dass er seinerseits versucht, die Ermittlungen zu beeinflussen und von den Vorwürfen abzulenken, indem er die Gülen-Bewegung, die USA, Israel usw. beschuldigt.

Aber eins weiß man nicht, nämlich welche Seite am Ende die Oberhand behalten wird. Und: Was steht überhaupt auf dem Spiel? Was passiert, wenn Erdoğan gewinnt? Wenn sein Kalkül aufgeht? Wenn die Bevölkerung sich von jener Version der Wahrheit sich überzeugen lässt, wonach seine Partei eine weiße Weste habe, es keine Korruption gäbe, sondern nur eine gemeine Verschwörung?

In der Tat: Das Erdoğan-Lager scheint übermächtig zu sein. Seine Getreuen haben die Regierungsgewalt mit all ihren Möglichkeiten inne. Sie haben einen großen Teil der türkischen Presselandschaft auf ihrer Seite, angefangen von der populären Zeitung Sabah, die so oft ihre Grundsätze gewechselt hat, dass man nicht weiß, wofür sie eigentlich wirklich steht, bis hin zum islamistischen Hetzblatt Akit, das in Deutschland 2005 verboten wurde.

Es könnte also durchaus sein, dass Erdogan auch diese Krise übersteht. Das wird dann aber nicht ohne Folgen bleiben für die Türkei, aber auch für Europa. Hier einige Szenarien:

DDR-isierung der Türkei

Erdoğan spricht von einer Schmutzkampagne gegen seine Regierung. Um von den Korruptionsvorwürfen abzulenken, beschuldigt er im Ausland den Westen und im Inneren die Hizmet-Bewegung um Fethullah Gülen. Er spricht von einem „Parallelstaat“, startet eine regelrechte Hetzjagd, säubert den Staatsapparat von allen, die ihm nicht offen ergeben sind. Das Problem dabei: Die Türkei besteht nicht nur aus seinen Anhängern, und um den Staatsapparat dauerhaft mit seinen eigenen Leuten zu besetzen, müsste er einen Staatssicherheitsdienst nach dem Modell der DDR aufbauen, wo er viele Bürger und besonders Schüler und Studenten nach ihrer Weltanschauung bespitzeln lässt. Einen ersten Anfang scheint er mit der Akzeptanz seiner Bespitzelung von Gülen-Anhängern schon 2004 gemacht zu haben. In der Türkei könnten sich so für praktizierende Stasi-Spezialisten in Zukunft ungeahnte Betätigungsfelder eröffnen.

Despotisierung der Politik

In seinem Kampf gegen die Korruptionsvorwürfe kennt Erdoğan keine Gnade. Auch die Justiz bekommt ihren Teil ab. Die Anordnung, wonach Ermittlungen der Staatsanwälte künftig auch der Polizeiführung und somit der Exekutive mitgeteilt werden müssen, macht klar, hier wird versucht, in die Unabhängigkeit der Justiz einzugreifen und den Rechtsstaat auszuhebeln. Bei Erfolg dieser Strategie wird das Vertrauen in die Justiz im Lande ab- und die Angst vor der politischen Autorität zunehmen. Bürgermentalität wird der Untertanenmentalität weichen. Für Leute, die etwas erreichen wollen, wird nicht die eigene Meinungsbildung im Vordergrund stehen, sondern die Erkundung des Meinungsbildes der Machthabenden.

Ent-Islamisierung der Gesellschaft

Gleichzeitig wird eine Ent-Islamisierung der Gesellschaft voranschreiten. Da die Machthaber sich ausdrücklich aus den Islam beziehen, da sie sich durch die Kleidung ihrer Frauen und durch ihre Rhetorik als gläubige Muslime ausgeben, wird am Ende der Ent-Islamisierung der Gesellschaft Vorschub geleistet werden. Denn auch wenn sich die Menschen sich äußerlich fügen, wird sich im Innern das dazugehörige Gewissen und Denken nicht einstellen. Die Menschen werden die Missstände sehen und sie dem Islam anlasten, da sich die Verantwortlichen auf den Islam beziehen. Macht kommt der Religion eigentlich nicht gut. Der Iran sollte in diesem Zusammenhang als abschreckendes Beispiel dienen.

Aufkündigung des EU-Beitrittsprozesses

Eine weitere Folge wird die Aufkündigung des Beitrittsprozesses zur Europäischen Union sein. Die zunehmend autoritäre Note der Politik, die Schwächung der Justiz, das Bespitzeln der Bürger wird irgendwann mit dem Beitrittsprozess nicht mehr zu vereinbaren sein. Erdoğan hat bereits Vladimir Putin bei seinem letzten Russland-Besuch gebeten, die Türkei in die Schanghai-Gruppe aufzunehmen und die Türkei so von der Last des EU-Beitrittsprozesses zu befreien. Am Anfang wird der Prozess sowohl in Europa als auch in der Türkei auf breite Zustimmung stoßen und Euphorie auslösen. Die Europäer werden sich freuen, die Türken endlich losgeworden zu sein, die Türken werden sich freuen, den Europäern endlich eine Abfuhr erteilt zu haben. Die narzisstischen Gefühle werden auf beiden Seiten hochkochen.

Quo vadis, Türkei?

Aber nicht lange. Ministerpräsident Erdoğan scheint zum Schmittianer geworden zu sein und die Politik nur noch in Kategorien des Freund-Feind-Denkens aufzufassen. Die Abgeordneten seiner Partei, der AKP, die sich widerspruchslos fügen, liebt er. Diejenigen aber, die es wagen, zu widersprechen, über die spottet er. Abgeordnete, die in den letzten Tagen wegen Erdoğans Politik aus seiner Partei ausgetreten sind, bescheinigen ihm, er mache Politik zusammen mit einigen Auserwählten in seinem Beraterstab, den überaus zahlreichen Abgeordneten bleibt hingegen lediglich eine Statistenrolle. Und: Erdoğan zeigt sich als eine ausgesprochenes Talent. Als ein Talent, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen, auf Konfrontationskurs zu gehen, zu spalten statt zu versöhnen. So viel Macht und ein solches Talent: Kann das gut gehen?

Eins sei gesagt: Liebe Europäer, freut Euch nicht zu früh, dass die Türkei nicht auf Europa-Kurs ist! Die Türken werden wieder nach Europa drängen, jedoch in anderer Form, vielleicht wieder als politisch Verfolgte. Wetten?