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Wirtschaft

Wegen Panama Papers: Morddrohungen in der Türkei

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Die türkische Tageszeitung Cumhuriyet steckt wieder in Schwierigkeiten. Redakteure des kemalistisch-sozialdemokratisch orientierten Blattes erhielten offenbar Morddrohungen von einem der (einfluss-)reichsten türkischen Geschäftsmänner persönlich. Was war passiert?

Cumhuriyet ist die einzige türkische Zeitung, die Zugang zu den Panama Papers hat, dem 2,6 Terrabyte großen Datensatz, den mehrere internationale Medien Anfang April mit einem Paukenschlag veröffentlichten. Er enthält über 11,5 Millionen Dokumente des in Panama ansässigen Off-Shore-Dienstleisters Mossack Fonseca, die den beteiligten Medien zufolge Aufschluss über Steuer- und Geldwäschedelikte, aber auch die (halb)legalen Steuervermeidungsstrategien tausender Unternehmer, Prominenter, aber eben auch Politiker geben sollen. Auch türkische Unternehmen sind davon betroffen. Laut dem türkischen Nachrichtenportal Diken sind 684 Unternehmen und über 100 Namen aus der Türkei vertreten, darunter so bekannte Namen wie die Koç, Sabancı, Doğan, Altınbaş, Cengiz oder die Gürmen Group des Erdoğan-Vertrauten Remzi Gür.

Nun hat Cumhuriyet die Daten wochenlang akribisch analysiert und will die erlangten Erkenntnisse in einer Reihe sowohl in der Zeitung als auch auf ihrer Homepage der Öffentlichkeit präsentieren. Am 24. Juni kündigte das Blatt deshalb an, bald über die „Panama’cı Türkler“ zu berichten, und versah den Hinweis mit den Fotos sechs bekannter türkischer Wirtschaftsgrößen – von denen fünf dem Präsidenten nahestehen sollen: Mehmet Cengiz, Fettah Tamince, Cihan Kamer, Remzi Gür, Ahmed Hamdı Topbaş und Hayyan Garipoğlu.

„Macht aus mir keinen Killer“

Was daraufhin passierte, beschreibt Cumhuriyet wie folgt: Niemand geringeres als Mehmet Cengiz persönlich soll in der Redaktion angerufen und den Journalisten unmissverständlich gedroht haben. “Schämt ihr euch nicht, mein Gesicht auf die Titelseite zu setzen? Ich werde euch bekämpfen (…) Ihr Hurensöhne, macht keinen Killer aus mir!”, soll er die Redakteure angefahren haben. Die Cengiz-Familie ist einer der bedeutendsten Wirtschaftsclans der Türkei und hat ein enges Verhältnis zu Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und seinem persönlichen und familiären Umfeld. Einen Großteil seines Reichtums hat der Cengiz-Clan öffentlichen Aufträgen zu verdanken, angeblich soll seit Machtantritt der AKP keine andere Unternehmensgruppe so viele öffentliche Ausschreibungen zugesprochen bekommen haben wie die Cengiz Holding, die unter anderem in den oft korrupten Bau- und Energiesektoren tätig ist. Eines ihrer prestigeträchtigsten Projekte ist der neue Megaflughafen, der momentan im Norden Istanbuls errichtet wird.

Bereits 2013 geriet die Cengiz Holding überdies ins Fadenkreuz der Ermittler: Im Rahmen des Korruptionsskandals vom 17. und 25. Dezember 2013 fiel auch der Name Mehmet Cengiz. Wie der Skandal ausging, ist landläufig bekannt. Nachdem Erdoğan sein halbes Kabinett ausgewechselt hatte, ließ er Tausende von Richtern, Polizisten und Staatsanwälten versetzen und entlassen, stellte die Ermittlungen als angeblichen Putschversuch der Hizmet-Bewegung des muslimischen Predigers Fethullah Gülen dar und begann mit seiner „Hexenjagd“ gegen diese.

Doch nun könnte das Thema Korruption wieder auf die Tagesordnung kommen. Und die Panama Papers – von einem Zusammenschluss international renommierter Medienhäuser und Journalisten veröffentlicht – lassen sich noch schwerer als eine angebliche Verschwörung einer vermeintlichen Parallelstruktur diffamieren. Ihnen zufolge ist Cengiz in ein Netzwerk aus mindestens 20 Briefkastenfirmen verstrickt, die über Beraterverträge legitimiert Millionenbeträge hin- und hergeschoben haben.

Ein sehr kostspieliger Freundschaftsdienst

Die Namen hoher türkischer Politiker finden sich in dem geleakten Datensatz nicht, doch außer Mehmet Cengiz sind auch andere, von Cumhuriyet aufgeführte Geschäftsmänner auf verschiedenste Weisen geschäftlich und privat mit Erdoğan und seiner Familie verbunden. Remzi Gür beispielsweise war es, der allen Kindern des Präsidenten die akademische Ausbildung finanziert hat – nur ein „Freundschaftsdienst“, so heißt es. Cumhuriyet fasst also erneut, anders kann man es nicht sagen, ein sehr heißes Eisen an. Dass Drohungen gegen kritische und investigative Journalisten in der Türkei ernst zu nehmen sind, ist bitter bekannt.

Konkrete Beweise für Korruption in der türkischen Regierung lassen sich in den Panama Papers laut der Süddeutschen Zeitung, die ebenfalls über den Fall berichtet hat, (noch) nicht festmachen. Hier würde eine demokratische, freie Presselandschaft ins Spiel kommen. Journalisten müssten investigativ recherchieren können und versuchen, weitere Hintergründe aufzudecken, um weitere Indizien oder gar Beweise für die Verstrickungen von Regierung und Großkapital aufzudecken. Dass es für die Regierung Gründe gibt, sich davor zu fürchten, aber auch, dass wenig Hoffnung angebracht ist, dass das eintreten wird, dafür spricht eine erste Reaktion der Justiz: Bereits kurz nach dem Anruf von Mehmet Cengiz hat ein Istanbuler Gericht angeordnet, dass mehrere Artikel über den Fall gesperrt werden.