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Kolumnen

Weihnachten – Fest der Freude und Irritationen

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Manche muslimische Familien stellen Weihnachtsbäume ohne Bedenken sogar in ihren eigenen vier Wänden auf, andere betrachten Weihnachten als unterschwellige Form eines Assimilationszwangs. Ismail Kul über ein Fest, das Fragen aufwirft. (Foto: dpa)

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Weihnachten – Fest der Freude und Irritationen
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Der Bundespräsident Joachim Gauck hat in seine erste Weihnachtsansprache auch die Muslime, Juden und Andersgläubigen miteingeschlossen. Zweifellos eine gute Geste! Damit hat der Bundespräsident die Mehrheit dieses Landes zum Weihnachtsfest beglückwünscht, gleichzeitig aber die anderen nicht vergessen – diejenigen, die einen anderen ethnischen, religiösen und kulturellen Hintergrund aufweisen. Die traditionell das Weihnachtsfest nicht feiern, aber dennoch zu diesem Land gehören. Die Anerkennung dieser Realität des Landes aus dem Munde des höchsten Repräsentanten des Staates hat schon eine große symbolische Bedeutung. Es zeigt, dass der Bundespräsident bei aller Festlichkeit und Feierlaune den Boden der Tatsachen und Realitäten im Blick behält.

Weihnachten – Eine Zeit der Freude

Gewiss – Weihnachtszeit ist für die übergroße Mehrheit der Bevölkerung eines der wichtigsten Ereignisse im Jahr. Familienmitglieder kommen zusammen, auch wenn sie weit über das Land verstreut leben. Man isst zusammen, bereitet einander Freude, indem man sich beschenkt. Insofern hat dieses Fest auch gewisse Ähnlichkeiten mit dem muslimischen Fest zum Ende des Ramadans oder mit dem Opferfest. Auch da bemühen sich Familienmitglieder, zusammenzukommen. Man isst gemeinsam, bereitet Kindern Freude, beschenkt sie. Bedeutende Männer und Frauen halten kluge Reden über Gott und die Welt sowie über die Gerechtigkeit und die Ungerechtigkeiten auf Erden. Das soziale Gewissen erlebt Hochkonjunktur.

..und der Irritationen

Wenn wir aber schon bei den Realitäten des Landes und den Tatsachen sind, sollte die andere Seite der Weihnachtszeit nicht unterschlagen werden. Weihnachten ist ein Fest der Freude, aber nicht unbedingt für alle. Für viele muslimische Familien bedeutet Weihnachten eine Zeit der Irritationen. Warum? Kinder bekommen die Weihnachtszeit mit all ihren Ausschmückungen und Lichterketten mit. In der Schule lernen sie Weihnachtslieder, lernen den Weihnachtsmann kennen und erwarten von ihm genauso wie ihre Mitschüler Geschenke. Es werden Fragen gestellt, warum man denn nicht auch selbst zu Hause Weihnachten feiere. An Eltern werden Wünsche herangetragen, zu Hause doch auch einen Weihnachtsbaum aufzustellen.

Offene Fragen zu Weihnachten

Wie sollen denn die Eltern darauf reagieren? Traditionell kennt man keine Weihnachten. Man möchte sich nicht assimilieren, die eigene Identität nicht völlig hinter sich lassen. Man findet sich schon so ok, wie man ist. Man lebt in einem bestimmten Bekanntenkreis und möchte sich nicht zu weit aus dem Fenster hinauslehnen. Man möchte sich aber auch nicht an die Mehrheitskultur anbiedern – einen gewissen eigenen Stolz hat man schließlich auch. Andererseits: Man möchte sich auch nicht abschotten und kulturellen Einflüssen generell verschließen. Das wäre auch keine Alternative.

Was wäre dann aber die Lösung? Wie weit kann man gehen? Wie sähe der Weg aus zwischen der Bewahrung der eigenen Identität und der notwendigen Öffnung gegenüber der neuen Umgebung? All diese Fragen sind in irgendeiner Weise auch existenzielle Fragen.

Solche Fragen tauchen in der Weihnachtszeit verstärkt auf. Und sie bedeuten für die Familien nicht unbedingt eine Zeit der Freude und des inneren Seelenfriedens, sondern offene Fragen und Irritationen. Bis sie für viele zufriedenstellend beantwortet sind, wird wohl noch eine Menge Wasser durch den Rhein fließen. Sie werden möglicherweise auch erst von den nächsten Generationen beantwortet werden. Beispielsweise von Islamlehrern, die hier ihre Sozialisation erfahren haben. Oder von den Islamgelehrten, die ihre islamische Theologie mit Blick auf die multikulturelle Realität heutiger Gesellschaften formulieren.