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Kolumnen

Weniger wäre mehr gewesen

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Die Deutsch-Türkische Kulturolympiade 2013 glänzte einmal mehr durch prachtvolle Inszenierungen und perfektionierte Choreografien. Für die Zukunft ist aber auch mehr Mut zum Improvisierten wünschenswert. (Foto: Feridun Oran)

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Weniger wäre mehr gewesen
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Deutschland sieht sich gern selbst als Land der Dichter und Denker und liebt seine Innerlichkeit. Aber das ist nur die eine Seite. Es ist auch das Land der Ingenieure, der Systemtechniker und Perfektionisten. Beides zusammen sah man bei der Kulturolympiade in der Dortmunder Westfalenhalle am letzten Wochenende. Nebenan, im Fußballstadion, spielte die Borussia gegen Mainz 05 und gewann mit 2:0 Toren, einem knappen Ergebnis gemessen an den Resultaten, die die Münchner Bayern zurzeit erzielen. Und ähnlich würde ich den Ausgang des „Spiels“ in der großen Halle bewerten. Bevor ich dies näher erläutere, möchte ich zuvor den „Spielverlauf“ aus meiner Sicht ein wenig beschreiben.

Am meisten hat mich die Bühnenpräsenz der Kinder und Jugendlichen beeindruckt. So etwas kann man natürlich bis zu einem bestimmten Punkt üben – und geprobt wurde sicherlich sehr viel –, aber eben darüber hinaus nicht mehr. Und deshalb muss am Ende auch tatsächliches Talent da sein. Und davon hatten die Schüler eine Menge. Ich sehe noch immer das kleine Mädchen im angedeuteten Trachtenkleid und einer Schürze auf silbernen Schuhen durch die Manege wirbeln, auf einem Sofa Platz nehmen, das sich anschließend wie von Geisterhand gezogen, wie ein fliegender Teppich, in die Lüfte erhebt.

Und ich staune über die Formation junger Männer, die in Feldbraun, einer Kompanie von Soldaten ähnelnd, den gewaltigen Raum durchmisst, im Wechselspiel mit einer Gruppe junger Frauen, die in glitzernder Kurdentracht gekleidet durch die Westfalenhalle wirbelt. Auf den Monitoren, die unter dem Dach der großen Halle angebracht sind, kann man die Gesichter der Auftretenden studieren, wenn die Distanz vom Tribünenplatz zum Ort des Geschehens zu groß wird.

Weniger wäre manchmal mehr

Besonders bei den hervorragenden Gesangeinlagen wird dies auch nötig. Geradezu fantastisch sind die Kostümierungen – nicht nur die Gewänder, die an die Heimat, an die große Zeit des Osmanischen Reiches und die Vielfalt der Kulturen und Ethnien erinnern, sondern auch die Anspielungen auf deutsche Trachten. Besonders das bayerische Brauchtum hat es den Ausstattern der großen Leistungsrevue angetan, und die Formen und Farben sind genauso großartig wie das leicht verfremdete volksmusikalische Potpourri, das zu den einzelnen Passagen ertönt. Das deutsch-türkische Moderatorenpaar gibt sich bei den Überleitungen von Programmpunkt zu Programmpunkt große Mühe, wird mit der Zeit entspannter. „Disneyland“, raune ich meinem deutschen Nachbarn nach einiger Zeit zu und er nickt.

Der Ausdruck „Disneyland“ schmälert in keiner Weise die Leistung der Schüler im Wettbewerb, etwa die stupende Gedächtnisleitung des Mädchens, das im Biedermeiergewand den Ribbeck vom Havelland mit seinen Birnen ohne einen Versprecher rezitiert. Aber die dahinter liegende Playbackmusik wirkt aufgesetzt und kitschig. Weniger wäre hier mehr gewesen. Gleiches gilt auch für so manche Choreografie an diesem Nachmittag im Ruhrgebiet. Für meine Begriffe ist diese Kulturolympiade zu sehr vom Gesichtspunkt einer perfekten Fernsehshow her konzipiert worden. Die individuelle Leistung der Kinder, die Fähigkeit, ein langes Gedicht aufzusagen, tritt zurück zugunsten des perfekt inszenierten bewegten Bildes und der Show. Aber junge Menschen, so erinnere ich mich an die noch nicht so lange zurückliegende Jugendzeit meiner eigenen Tochter, lieben das nicht Perfekte. Ein Klassenfest wurde einmal in der Ruinenlandschaft von Berlin-Mitte gefeiert, nicht in jenen Diskotheken und Clubs, die in dieser Gegend bereits ab 1990 aus dem Boden schossen. Kurzum, ich würde den Organisatoren der Kulturolympiade dazu raten, auch einmal ein Pappschild zuzulassen, auf dem etwas in krakeliger Schrift mit einem Filzstift aufgeschrieben worden ist.

Und ich würde die Kreativen, die an dieser Show gearbeitet haben – und es müssen eine Menge von ihnen am Werk gewesen sein – in eine andere Richtung lenken, nämlich Inhalte und Formen zu entwickeln, die eine Synthese der Türkei und Deutschlands darstellen. Ich sah in Dortmund sehr viel Deutsches, viel Türkisches, sehr schön präsentiert, aber relativ unvermittelt nebeneinander. Ich wünsche mir die Synthese, ich wünsche mir Olympisches, das die Fortschritte bei der Integration wiederspiegelt. Fortschritt heißt Neues.