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„Wenn ich Türkisch rede, hört meine Tochter nicht auf mich“

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Bundesliga-Aufsteiger Darmstadt will er als Kapitän zum Klassenerhalt führen. Das gestaltet sich einfacher, als seiner Tochter ein paar Wörter Türkisch beizubringen. Wir trafen Aytaç Sulu mitten im Bundesliga-Endspurt.

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Darmstadt-Kapitän Aytaç Sulu im Gespräch mit Mustafa Görkem.
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Er ist der torgefährlichste Innenverteidiger der laufenden Bundesliga-Saison, für seine sechs Treffer brauchte er nur 18 Torschüsse. Er spielt immer durch, nur einmal musste er aussetzen wegen einer Gelbsperre. Seine Gegner fürchten ihn wegen seiner robusten Spielweise, sein Trainer und seine Mitspieler schätzen ihn wegen seiner Führungsqualitäten.

Die Rede ist von Darmstadt-Kapitän Aytaç Sulu, mit dem wir mitten im Endspurt der Bundesliga am Böllenfalltor zusammenkamen und über das Spiel gegen Stuttgart, den Klassenerhalt und seine Chancen in der türkischen Nationalmannschaft sprachen. Außerdem erklärte er uns, warum es ihm schwerfällt, mit seiner Tochter Türkisch zu sprechen.

Aytaç, was war am Samstag am Ende der 1. Halbzeit los?

Wir waren über 90 Minuten gesehen das bessere Team und hatten mehr vom Spiel. In den eineinhalb Minuten vor der Halbzeit haben wir geschlafen. Das darf uns nicht passieren.

Nach der Pause hatte man nicht unbedingt den Eindruck, als ob euch der Stuttgarter Doppelschlag schwer zugesetzt hätte.

Die zwei Tore haben natürlich zunächst zu einem kleinen Knick geführt. Wir mussten alle etwas schlucken. Der Trainer hat gesagt, dass wir eine gute erste Hälfte gespielt haben bis auf den Doppelschlag und wir genauso weiter machen müssen. Nach der Pause haben wir dann Moral gezeigt. Wir hatten mehrere Möglichkeiten das Spiel zu gewinnen. Leider sollte es nicht sein. Wir hatten Pech, Stuttgart Glück.

Was spricht für Darmstadt im Abstiegskampf?

Am Anfang standen wir quasi schon fest als erster Absteiger. Wir haben seit dem ersten Spieltag nur ein Ziel im Kopf: den Klassenerhalt. Wir wussten, dass der Abstiegskampf uns die gesamte Spielzeit über begleiten wird. Die anderen Vereine sind erst seit kurzem dabei. Wir haben die Mentalität, die es im Abstiegskampf braucht, die anderen müssen sie vielleicht erst entwickeln.

Und was spricht gegen Euch?

Das sollen andere beurteilen. Wir können nur bestehen, wenn wir jedes Spiel mit 100 % angehen. Wenn wir glauben, dass es auch mit weniger geht, werden wir die Spiele verlieren und absteigen. Die Mannschaft ist clever genug und wird diesen Fehler nicht machen. Wenn wir so spielen wie am Samstag, können wir die Klasse halten.

Wie wichtig wird Sandro Wagner dabei sein?

Er ist nicht nur wegen seiner Tore wichtig. Er arbeitet auch defensiv mit, wirft sich in jeden Zweikampf rein. In seiner jetzigen Verfassung brauchen wir ihn auf jeden Fall für die letzten Spiele.

Wie ist es denn, im Training gegen ihn zu spielen?

Je nach Spielsituation ist es immer jemand anderes, der ihn verteidigt. Aber es ist unangenehm, gegen ihn zu spielen. Ich bin froh, dass wir Teamkollegen sind.

Du hast sechs Tore gemacht und damit halb so viele wie Wagner. Wird Deine Ausbeute am Ende auch zweistellig?

Das schaff ich wahrscheinlich nicht, aber gegen das eine oder andere weitere Tor habe ich nichts. Zuhause habe ich auch noch nicht getroffen, jedenfalls nicht ins gegnerische Tor (lacht; Anspielung auf das Eigentor direkt am ersten Spieltag, Anm. d. Red.).

Du hast noch eine Wette mit dem Trainer laufen.

Die erste Wette, sprich fünf Innenverteidiger-Tore, haben wir ja schon gewonnen. Die zweite Wette möchte ich noch für mich behalten.

Du hast türkische Wurzeln, bist gebürtiger Heidelberger und wohnst auch heute noch dort. Sollte man aber als Kapitän nicht in Darmstadt wohnhaft sein?

Ich wohne mittlerweile seit Jahren in Leimen bei Heidelberg, wir sind dort heimisch geworden mit meiner Frau und meiner Tochter. Auch meine Eltern und Großeltern, viele meiner Freunde sind dort. Die Anbindung ist gut, ich bin in einer knappen Dreiviertelstunde hier. Daher war kein Umzug notwendig.

Du bist mit einer Deutschen verheiratet. Was wird im Hause Sulu gesprochen?

Ganz klar mehr Deutsch. Mit meinen Eltern und Geschwistern rede ich aber eher Türkisch.

…und mit Deiner dreijährigen Tochter?

Wir versuchen, ihr beide Sprachen beizubringen, die Kleine hat aber keine Lust darauf. Irgendwann habe ich es dann etwas aufgegeben (grinst).

Aufgeben? Das entspricht nicht gerade Deinem Naturell.

Letztens meinte ich erst „Aylin, gel“, also „Aylin, komm“. Sie ignoriert mich dann einfach und guckt weg. Das ist wirklich witzig. Manchmal sagt sie auch einfach genervt „Papaaaa“. Ich gebe mich dann immer ahnungslos und will wissen, was los ist. Dann sagt sie „Papa, Deutsch, ich verstehe dich nicht.“ Es ist anstrengend. Jetzt ist aber genau das Alter. Daher versuche ich hin und wieder ein paar Wörter und Sätze einzustreuen in der Hoffnung, dass etwas hängenbleibt.

Die Namen seiner Liebsten trägt er nicht nur im Herzen, sondern auch schon mal auf seiner Kapitänsbinde.

Und was gibt’s bei den Sulus zu essen?

Meist kocht meine Frau. Mein türkisches Lieblingsgericht ist Karnıyarık, als Nachtisch Baklava.

Apropos Türkisch. Du hast auch ein Jahr in der Türkei gespielt…

(Unterbricht) Trainiert. Es war ein einziger Kurzeinsatz.

Warum wurden es nicht mehr bei Gençlerbirliği Ankara?

Mir persönlich habe ich nichts vorzuwerfen. Ich habe immer Gas gegeben. Irgendwann kann es natürlich sein, dass du nicht ganz bei 100 % bist, wenn du merkst, dass der Trainer überhaupt nicht auf dich baut. Es war schwierig.

Welchem Team gelten Deine Sympathien in der Türkei?

Ich verfolge die Liga, aber wenn ich jetzt sage, für wen ich bin, kommen wieder Transfergerüchte auf (lacht).

Wer wird Meister?

Ich tippe auf Beşiktaş. Sie spielen den ordentlichsten und stabilsten Fußball. Außerdem haben sie mit Mario Gomez einen Knipser vorne drin.

Dein Name wird in jüngster Zeit mit der türkischen Nationalmannschaft in Verbindung gebracht. Hat sich Coach Fatih Terim schon bei Dir gemeldet?

Darüber kann ich keine Auskunft geben. Für mich zählen im Moment nur Darmstadt und der Ligaerhalt.

Innenverteidiger Hakan Balta ist verletzt und auch nicht mehr der Jüngste.

Wenn ich eingeladen werde, ist das eine tolle Sache. Wenn nicht, ist es auch okay.

Wo bist Du am 12. Juni?

(Stille)

An dem Tag spielt die Türkei gegen Kroatien.

(lacht) Das weiß ich jetzt noch nicht. Es hängt ja auch davon ab, ob wir mit Darmstadt in die Relegation müssen. Ich habe jedenfalls noch keinen Urlaub geplant.

Wie wär’s mit Frankreich?

Ist jetzt nicht mein Urlaubsfavorit, aber wenn es berufsbedingt wäre, würde ich schon hinfahren (grinst).

Wer wird Europameister?

Deutschland zählt auf jeden Fall zu den Topfavoriten. Aber auch Frankreich, England und Spanien muss man nennen. Die Europameisterschaft ist auf jeden Fall noch ein Tick schwerer als die Weltmeisterschaft.

Und die Türkei?

Wir können die Gruppenphase bestehen. Die Mentalität von 2008 ist wieder da. Die Jungs geben bis zum Abpfiff alles.

Du sprichst von „Wir“.

Ja, mein Herz schlägt für beide Teams.

Und wenn im Halbfinale die Türkei und Deutschland aufeinandertreffen sollten wie 2008, schlägt Dein Herz für…?

…die Türkei. Aber mal ernsthaft: Ich glaube, dass die Türkei es wirklich so weit bringen kann. Das Halbfinale ist machbar.

Danke für das Interview, Aytaç!

Bitte sehr.


Fotos

Titel: Gamze Çiçek; im Artikel: dpa