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Politik

Wenn Sie Wert auf Erdoğan legen, seien Sie aufrichtig ihm gegenüber!

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Es geht bei den Demonstrationen in Taksim um viel mehr als nur um Bäume – und das hat Premierminister Erdoğan unbedingt ernst zu nehmen. Die Anhängerschaft Erdoğans tut ihm mit Wagenburgmentalität keinen Gefallen. (Foto: zaman)

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Wenn Sie Wert auf Erdoğan legen, seien Sie aufrichtig ihm gegenüber!
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Es geht nicht nur um den Gezi-Park. Es geht vielmehr um Kritik an der Regierung. Diese Regierung wird nämlich zunehmend autoritär, versucht, sich mit großen Bauprojekten selbst Denkmäler zu setzen und sozialpolitisch Homogenität zu schaffen. Hier liegt der ganze Knackpunkt und darauf bezieht sich auch die Reaktion.

Was das Ganze noch mehr aufgebauscht hat, war die Haltung der Regierung, die sich politisch in Richtung “Aufrechterhaltung der Identität” bewegte, obwohl man eine Demokratisierung erwartet hatte. Dabei hatte Türkei schon längst den richtigen Kurs eingeschlagen und befand sich in einem Prozess der Normalisierung.

Der Teufelskreis der Debatten von vor zehn Jahren war größtenteils abgearbeitet und sogar die Dichotomie der Diskussionen zwischen „Laizisten“ und „Religiösen“ gehörten der Vergangenheit an. Das Kopftuchproblem war praktisch vom Tisch und galt nicht mehr als gesellschaftliche und Konflikt schürende Symboldebatte.

Im Endeffekt waren wir in eine Ära eingetreten, in der religiöse und laizistische Lebensstile den friedlichen Umgang miteinander gelernt hatten. Sowohl das Kopftuch als auch die Religiosität und sogar das Alevitentum wurden zur Normalität und für andere Lebensweisen immer selbstverständlicher. Auch was die Kurdenproblematik anbelangt, bewegte sich die Entwicklung auf den Frieden zu.

Erdoğan vernachlässigt die Mitte

Vor diesem Hintergrund trat auf einmal eine Regierung hervor, die statt einer neuen Verfassung plötzlich autoritäre Klänge von sich gab. Statt des Pluralismus wird die Identität der Mehrheit zum Maß genommen. Man versuchte, die Lebensweise der Mehrheit und ihr Verständnis von Moral durch staatliche Repression auch den Minderheiten aufzuerlegen.

Unter diesen Umständen ist es unzureichend, die Reaktionen im Gezi-Park darauf zu beschränken, dass nur von ideologischem Dogmatismus gesteuerte Randgruppen daran beteiligt waren, deren Wurzeln in Verschwörungen liegen, die von ausländischen Kräften gesteuert würden.
Der Premierminister hat jede Kritik als marginal und die Kritiker als Regierungsgegner bezeichnet. Er sollte sich jedoch auch selbst mal Gedanken darüber machen, inwiefern er noch imstande ist, die Mitte zu vertreten. Erdoğan hat begonnen, sich mit seinen Äußerungen und seiner Politik von der Mitte immer mehr zu entfernen.

Seine Äußerung gegenüber der Opposition, wie „dort, wo ihr Hunderttausende sammelt, kann ich eine Million Menschen sammeln” oder „wir halten 50 Prozent nur schwer zu Hause auf”, sind keine Worte, die der Vorsitzende einer Partei der Mitte von sich geben dürfte.
Weder die Partei noch der Parteichef bewahren die „zentrale” Identität nach 2002 und insbesondere nach 2007. Das Bild vom 27. April, wo Personen wie Menderes, Özal und Erdoğan als “demokratische Sterne” bezeichnet und unter einem Dach vereint werden ,ist heute leider nicht mehr haltbar.

Man wollte nicht eine Form des Social Engineering gegen eine andere eintauschen

Weder Menderes noch Özal hatten repräsentative Bauprojekte oder Social Engineering vorangetrieben. Ihre Sorgen waren eher ein wenig ökonomische Entwicklung des Landes und etwas Demokratie. Sie hatte in ihren Köpfen keine Pläne wie die Erschaffung einer „idealen Gesellschaft”, die von der Hand des Staates gesteuert werden sollte. Die AKP hat sich mit dieser Idee von der Linie Özals und Menderes‘ schnell entfernt und hat sich zu einer ideologischen Partei entwickelt, die ihre eigene “ideale Gesellschaft” anstrebt und das mit einer gewissen Autorität und politischen Machtpositionen als Stütze.

Doch mindestens ein Drittel der AKP-Basis wird es schwer haben, in der Partei zu bleiben, wenn ein starker Wandel der Mitte-Rechts-Partei weg von den Attributen Dienst und Freiheit und hin zu Identitätspolitik und Social Engineering zu beobachten ist. Es wird schwer für diese Parteimitglieder, bei der Stange zu bleiben, denn heute ähnelt Erdoğan weder Menderes noch Özal.

Die Bevölkerung ist nicht mit der Partei gleichzusetzen, man kann die Atmosphäre in der Partei nicht auf das ganze Volk übertragen und auch nicht den parteiintern gepflegten Respekt von der ganzen Gesellschaft erwarten. Wenn man das tut, dann irrt man sich gewaltig. Das geht nicht. Das Volk ist nicht etwas, das von oben zu regieren oder zu disziplinieren ist.

Das war es vorher auch nicht und der Grund für die Existenz und den Erfolg der AKP ist kein anderer als der gewesen, dass diese als Reaktion auf politische und gesellschaftliche Repression gewählt wurde. Ist es nun richtig, die ganze Gesellschaft, die Medien und die Unternehmer unter die Herrschaft der Partei zu bringen? Und ganz abgesehen von der Frage, ob es richtig ist, ist es denn überhaupt möglich?
Selbstreinigungskräfte in der AKP wirken lassen!

Nur in geschlossenen Gesellschaften ist dies möglich. Die Menschen in Ankara, die in irgendeiner Weise mit der Regierung zu tun haben, haben eine „offizielle” und eine „private Meinung”. Wenn einige von ihnen Beiträge in den Medien abgeben, so handelt es sich immer um eine „offizielle” Meinung, dabei klagen sie privat genauso über die autoritäre Linie der Partei, sie sind mit der Außenpolitik nicht einverstanden und auch nicht mit der Ein-Mann-Politik innerhalb der AKP.

Es ist ein Zustand, der die Menschen regelrecht dazu zwingt, zwei Gesichter zu haben und es steht uns eine Hegemonialmacht gegenüber. Es nützt niemandem etwas, wenn Menschen ihre Gedanken und ihre Meinung nicht so ausdrücken können, wie sie dies tatsächlich für richtig halten und es nützt auch nicht der Regierung. Wenn sie Wert auf Erdoğan legen, so sagen Sie ihm die Wahrheit.