Connect with us

DTJ-Blog

Das Kopftuch und die nicht gestellte Frage

Published

on

Spread the love

Ich habe noch ganz genau vor Augen, wie ich als Mädchen aus der Küche ins Wohnzimmer ging und einen Blick zum Fernseher warf. Es liefen gerade die Nachrichten und der Fall von Fereshta Ludin wurde zum wiederholten Mal durchgekaut. Ich rollte mit den Augen und konnte es nicht fassen, wie man aufgrund eines Kopftuchs so ein Theater machen kann. „Lasst die Frau ihr Leben leben!“, dachte ich mir und ging kopfschüttelnd weiter meinen Dingen nach.

Nachdem ich das Buch „Enthüllung der Fereshta Ludin“ durchgelesen hatte, konnte ich tiefe Einblicke in das gesamte Geschehen gewinnen. Doch meine Fragen waren noch nicht alle beantwortet. Also entschied ich mich, in direkten Kontakt mit ihr zu zu treten.

Was gab Dir die Kraft trotz all der Hindernisse weiterzumachen und nicht hinzuwerfen? Was war Dein Motor?

Mein Motor war der feste Glaube an die Gerechtigkeit und die innere Haltung, dass alles im Leben einen Sinn hat, auch dass Niederlagen hinzunehmen und sie aktiv zu bewältigen zum Leben dazugehört. Juristisch gesehen sah ich mich nicht auf der unsicheren Seite. Es gab einige Verfassungsrichter, die mich in meiner Haltung bestärkt haben.

Du hast ein Buch geschrieben. Warum?

Um Klarheit zu schaffen, welche Motive eine Frau haben kann, einen solchen Lebensweg zu durchlaufen. Ich wollte für mich sprechen. Jede Frau sollte für sich sprechen können dürfen. Vor allem, wenn ihr Ungerechtigkeiten und Unterdrückung widerfahren sind. Mich belastete enorm, dass manche Medienmacher und Politiker über mich sprachen, ohne mich wirklich zu kennen. Sie haben meine Gedankenwelt falsch dargestellt und interpretiert. Davon waren auch häufig Frauen, wie ich, die nach außen sichtbar als Musliminnen zu erkennen waren, betroffen. Mit dem Buch wollte ich einen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt einer von vielen muslimischen Frauen geben.

Wie hast Du immer wieder neuen Mut gefasst zu unterrichten, obwohl Du offensichtlich (nicht von den Schülern) beleidigt und diskriminiert wurdest?

Es war nicht leicht, aber wenn man von einer Sache überzeugt ist, dann fällt es einem etwas leichter, für seine Haltung einzustehen. Meine Haltung war, mich nicht auf Grund meines äußerlich sichtbaren Glaubens diskriminieren und aus dem Berufsleben ausgrenzen zu lassen. Ich wollte, dass man meine Qualitäten, die ich beruflich mitbringe, mehr gesehen werden, als meine Äußerlichkeit.

Was würdest Du muslimischen Frauen empfehlen mit Situationen, die Deiner damaligen ähneln, ganz gleich in welchem Beruf, umzugehen?

Sich juristisch absichern, auf der Grundlage von Menschenrechten und der Gleichberechtigung der Geschlechter zu argumentieren. Nur weil wir in „aufgeklärten Gesellschaften“ leben, heißt es nicht, dass wir aufgeklärt und gerecht behandelt werden. Jeder Mensch trägt seinen Teil dazu bei, die Gesellschaft mit gerecht und friedvoll zu gestalten. Auf allen Ebenen. Wir sollten alle gemeinsam die Verantwortung dafür tragen und benachteiligte Menschen in solchen Lebenssituationen unterstützen und fördern.

Wenn eine Muslimin eine Karriere ohne Kopftuch beginnt und sich im Nachhinein dafür entscheidet, hätte sie es leichter so akzeptiert zu werden und ihren Beruf auszuüben?

Das kann je nach Gerechtigkeitssinn des Arbeitgebers unterschiedlich ausfallen.

Wie wird der Islam in Deutschland heute gelebt?

Der Islam ist sehr vielfältig auslebbar. Die Muslime sind sichtbar verschieden. Das Schöne daran ist, dass wir hier als Muslime meist frei denken und uns teilweise entfalten können. Darin kann für die Entwicklung innerislamisch und theologisch ein Segen liegen. Nicht so schön ist es, dass Muslime, die hier leben, nicht daran gemessen werden, was sie hier als Menschen leisten, sondern immer wieder als Muslim gesehen und markiert werden. Muslimsein als Identität wird leider immer noch als Störfaktor für Politik und Gesellschaft gesehen und entsprechend nicht differenziert genug behandelt.

Und wie ist es um die Integration bestellt?

Ich kann inzwischen das Wort Integration weder leiden noch hören. Das richtige Wort wäre Inklusion. Jeder Mensch ist ein Teil vom Ganzen, was die Gesellschaft darstellt. Mit all seinen Facetten, Unterschieden wie Gemeinsamkeiten. Die sogenannte „Integrationsdebatte“ ist seit mehr als zwanzig Jahren sehr intensiv im Gange. Es hat sich vieles zum Positiven entwickelt. Es gibt zum Beispiel einige Stimmen, die auf allen Ebenen sichtbar sind und gehört werden. Es gibt politisch ein stärkeres Bekenntnis zu mehr Offenheit und Anerkennung von vielfältigem Leben im Vergleich zu früher. Aber es gibt immer noch sehr viel, vor allem im Bildungswesen, zu tun. Man bekommt medial den Eindruck, als ob die Minderheiten hier das Problem darstellen. Eine Gesellschaft kann nicht nur von ihren Minderheiten Dinge einfordern, sondern sich ihr gegenüber auch verpflichten, um sie zu schützen und für sie einzustehen, wenn sie unterdrückt, diskriminiert, ausgegrenzt oder angegriffen werden. Wir brauchen mehr Solidarität mit den Schwachen und schwach gestellten in unserer Gesellschaft.
Auch wünsche ich mir, dass wir strukturelle Diskriminierung auf allen Ebenen – medial, politisch und gesellschaftlich – endlich mehr in den Griff bekommen.

Worauf kommt es in Dir in Gesprächen mit Journalisten an? Gab es eine Frage, die Du Dir damals z.B. gewünscht hättest?

Bei dem Gespräch mit Journalisten finde ich immer wichtig, dass meine Worte nicht missdeutet, verdreht, oder gar verfälscht werden. Die Frage, die ich gerne gestellt bekommen hätte, war: „Wie fühlen Sie sich dabei, diskriminiert, ausgegrenzt und anderen Frauen und Männern im Berufsleben nicht gleichgestellt zu sein?“ Nachdem diese Frage nie gestellt wurde, habe ich mich letztendlich entschieden, mein Buch zu schreiben.

Sieht sich Fereshta Ludin denn heute immer noch als „anders“ an?

Wer ist hier dem Anderen gleich, stellt sich für mich die Frage. Die Antwort heißt: Niemand. Jeder Mensch, jedes Lebewesen ist anders. Ich bin eine von Vielen, die so ist, wie sie ist. Anderssein ist ein Teil der Schöpfung und somit ein Bestandteil einer Gesellschaft. Das macht uns Menschen aus und interessant.

Möchtest Du unseren LeserInnen etwas mit auf den Weg geben?

Die Frauenstimmen sollten sich erheben, wenn ihnen Ungerechtigkeiten widerfahren. Eine Gesellschaft kann sich gesund entwickeln, wenn wir Werte wie Empathie und Mitgefühl mehr in unserem Alltag wahrnehmen und entsprechend handeln. Viele Missstände passieren im Namen des Glaubens und der Demokratie. Wir sollten unser Handeln in Bezug darauf gut überprüfen und darüber nachdenken, was wir an uns selbst, aber auch gesellschaftlich Gutes beitragen und positiv verändern können.

Dieses Interview erschien auch bei tatjana-rogalski.de