Gesellschaft
„Wie deutsch du geworden bist, merkst du oft erst in der Türkei“
Was ist typisch deutsch-türkisch? In einer neuen Interview-Serie stellt DTJ-Online Menschen mit türkischer Migrationserfahrung vor – ohne Scheuklappen und Klischees. Diesmal im Gespräch: Onur Saldamlı, 35, aus Essen.
Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund stehen in Deutschland regelmäßig im Fokus politischer Debatten. Allzu häufig wird über sie gesprochen, selten mit ihnen. Es ist Zeit, das zu ändern: DTJ-Online stellt sogenannte „Deutsch-Türken“ mit der neuen Interview-Serie „Typisch deutsch-türkisch“ in den Mittelpunkt. Wer sind diese Menschen? Was treibt sie an? Wovon träumen sie?
Hallo Onur, bitte stell Dich kurz vor.
Ich bin Onur, 35 Jahre alt, geboren in Ratingen und wohnhaft in Essen. Ich bin als Sozialarbeiter für die Stadt Düsseldorf tätig.
Würdest Du Dich als Deutsch-Türken bezeichnen?
Hm, schwierig zu sagen (überlegt). Ich würde mich schon eher als Deutscher bezeichnen, der sehr glücklich darüber ist, viel türkische Kultur in sich zu tragen. Es ist schön, aus beiden Kulturen etwas mitbekommen zu haben. Aber aufgewachsen bin ich in Deutschland und habe deswegen den größten Teil meiner Sozialisierung hier erlebt und erfahren.
Wo oder was ist dann für Dich Heimat? Nach dem, was Du sagst, müsste das Deutschland sein.
Heimat ist dort, wo ich mich wohl fühle. Das ist kein Land. Wichtiger ist für mich, wen oder was brauche ich, um mich wohl zu fühlen. Der Ort oder das Land sind da nicht entscheidend. Ich fühle mich in Deutschland momentan sehr wohl, aber ebenso in der Türkei, wenn ich dort bin. Für mich ist zurzeit beides Heimat.
Was ist für Dich typisch deutsch, was typisch türkisch und was typisch deutsch-türkisch?
Als typisch deutsch würde ich eine gewisse Ordnung oder Struktur bezeichnen. Pünktlichkeit und Gründlichkeit gehören auch dazu. Als typisch türkisch empfinde ich Temperament, Emotionalität und Nächstenliebe. Respekt und Achtung vor Mitmenschen und insbesondere Älteren sind ebenfalls typisch türkische Eigenschaften. Als typisch deutsch-türkisch würde ich jeden Deutsch-Türken nennen, der in der Türkei Urlaub macht. Wenn man mal wieder in der Türkei ist, dann merkt man, wie sehr man deutsche Gepflogenheiten und Tugenden angenommen und verinnerlicht hat. Wie deutsch du geworden bist, merkst du also oft erst in der Türkei.
Mit welcher Sprache fühlst Du Dich wohler?
Natürlich fühle ich mich mit der deutschen Sprache wohler. Es ist die Sprache, die ich täglich nutze und auch für meine Arbeit brauche. Türkisch nutze ich ab und zu auch auf der Arbeit, wenn meine Klienten die deutsche Sprache nicht beherrschen. Türkisch oder einen Mix benutze ich ab und an im familiären Umkreis.
Deutschland und die Türkei sprechen derzeit selten dieselbe Sprache. Interessiert Dich das aktuelle Verhältnis zwischen den beiden Ländern?
Ja klar interessiert mich das. Über die momentane Lage in Türkei bin ich nicht glücklich. Für mich persönlich ist es nicht schön, dass sich die Türkei in den letzten Jahren wieder vom Westen entfernt. Ich will jetzt auch nicht zu politisch werden, aber ich hoffe, dass durch das Wahlergebnis in Istanbul wieder ein frischer Wind durch Land und Politik wehen.
Was wünscht Du Dir für die Zukunft, nicht nur für das deutsch-türkische Verhältnis?
Für mich persönlich läuft es gut, deswegen bin ich gerade zufrieden. Na klar hat man Ziele, aber da bin ich guter Dinge. Was das Verhältnis zwischen Türken und Deutschen hierzulande angeht, nehme ich etwas wahr, was mir Sorgen macht. Ich finde mich immer häufiger in Situationen wieder, in denen sich der Türke, der Libanese, der Marokkaner oder ein anderer Deutscher mit Migrationshintergrund vom Deutschen unterscheiden will. Die Jugendlichen distanzieren sich vom Deutsch-Sein und das ist keine gute Entwicklung. Ich würde mir wünschen, dass Jugendliche wieder Gemeinsamkeiten ihrer Kulturen suchen und sich dadurch annähern. Deutsch-Sein darf auch cool sein.
Die Fragen stellte STEFAN KREITEWOLF.