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Kolumnen

Wie Du mir, so ich Dir

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Seit im April 2007 deutsche Medien und Politiker einen des Kindesmissbrauchs verdächtigen Jugendlichen zum Helden hochstilisierten, ist zwischen Deutschland und der Türkei ein ungesunder wechselseitiger Einmischungswettbewerb ausgebrochen. (Foto: iha)

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Bekir Bozdag, hier mit Maria Böhmer, ist türkischer Vizepremier und für die Auslandstürken zuständig.
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Der eigentliche Sündenfall liegt sechs Jahre zurück. Im April 2007 wurde ein 17-jähriger deutscher Schüler in Antalya verhaftet. Man warf ihm vor, ein 13-jähriges englisches Mädchen sexuell missbraucht zu haben, das er im Urlaub kennengelernt hatte. Der 17-jährige saß acht Monate lang in Untersuchungshaft, bevor er kurz vor Weihnachten 2007 entlassen wurde. Im Verlauf seiner Inhaftierung wurde der Fall zum Politikum. Es verging kaum ein Tag, an dem die deutschen Medien nicht über die neuesten Entwicklungen in der Südtürkei berichteten und mitunter Horrorszenarien über die Haftbedingungen entwarfen. An den deutschen Stammtischen herrschte Empörung.

Der damalige Außenminister Steinmeier (SPD) intervenierte bei seinem Amtskollegen Gül, dem heutigen türkischen Staatspräsidenten. Der luxemburgische Ministerpräsident Juncker kritisierte die Haftumstände, andere deutsche Politiker folgten seinem Beispiel und folgerten aus dem Vorfall, dass die Türkei nicht reif für die EU sei. Auffällig zurückhaltend verhielt sich dagegen die deutsche Justiz. Der Vorsitzende des Richterbundes sagte, auch in Deutschland würde ein derartiger Fall nicht als Bagatellverbrechen angesehen werden können.

Seit den Apriltagen 2007 ist in der medialen Wahrnehmung der beiden Partnerländer eine Veränderung eingetreten. Aber sie hat eine Vorgeschichte, und zwar auf türkischer Seite. Und sie erklärt wachsende Empfindlichkeiten, nicht bei den Deutschen, sondern bei den Deutsch-Türken und in Ankara. Eine Serie von Brandanschlägen auf Häuser, in denen deutsch-türkische Familien lebten, hat seit Beginn der 1990er-Jahre zu Verunsicherungen unter den Einwanderern geführt. Und jedes Mal, wenn sich die Sorgen ein wenig gelegt hatten, gab es ein neues Ereignis, das in den Reihen der vielköpfigen Minderheit Erschütterung verursachte, Verunsicherung schuf.

Botschafter Karslıoğlu als Glücksfall für das deutsch-türkische Verhältnis

Das Bekanntwerden der NSU-Morde hat das Gefühl, ohne Wurzeln und vor allem im Notfall ohne Rückhalt in Deutschland zu sein, noch gesteigert. Das Bedauern auf deutscher Seite und ein entschlossenes Zugehen auf die Betroffenen erfolgten zu spät. Zum ersten Male musste ich selbst meinen deutsch-türkischen journalistischen Freunden mit Nachdruck versichern, dass in München ein fairer Prozess zu erwarten sei, dass es keinerlei Verwicklung des deutschen Staates oder einzelner Bundesländer in die Mordserie gebe. Als im März 2013 beim Brand eines Hauses in Backnang in Baden-Württemberg acht Deutsch-Türken, darunter sieben Kinder, ums Leben kamen, schlugen die Wellen der Erregung in der deutsch-türkischen Gemeinde des Ortes einen Augenblick lang sehr hoch und es gab Spekulationen in der türkischen Presse, die besser unterblieben wären. Der neue türkische Botschafter in Berlin hatte eine schwere Reise in den Südwesten der Bundesrepublik anzutreten.

Botschafter Karslıoğlu mit seinem deutschen persönlichen Hintergrund ist ein Glücksfall für die deutsch-türkischen Beziehungen. Aber es muss mehr von solchen Stimmen der Besonnenheit geben. Selbst bei kleineren Vorfällen kommt es neuerdings zu einer Einmischung der großen Politik, wie ein Vorfall am Kölner Flughafen gerade zeigte. Dort geriet ein Deutsch-Türke mit der Bundespolizei aneinander und wurde blutig geschlagen, das Foto ging durch die Medien: Anlass für den türkischen Vizepremier Bozdağ (Foto, re., mit Maria Böhmer), bei der Bundesregierung zu intervenieren, obwohl der Tathergang immer noch im Unklaren liegt.

Es ist höchste Zeit, einer solchen Entwicklung Einhalt zu gebieten. Auch im Kölner Fall gibt es eine Vorgeschichte, die Gezi-Park heißt. Die türkische Regierung hat die regierungsamtlichen deutschen Reaktionen auf die Ereignisse in Istanbul zu Recht für unangemessen gehalten. So kann man einen wichtigen Partner nicht öffentlich attackieren. Nun kam postwendend die Retourkutsche. In Berlin sollte man auch in Wahlkampfzeiten wissen, dass die Deutsch-Türken stolz auf die Heimat von Eltern und Großeltern sind. Es macht keinen Sinn, die Türkei zu beleidigen und Ankara gleichzeitig dadurch zu ermuntern, Schutzmacht der Deutsch-Türken zu spielen. Die hier Lebenden, zunehmend in Deutschland Geborenen, gehen ihren eigenen Weg. Man darf sie nicht instrumentalisieren. Sie benötigen in normalen Zeiten, die wir glücklicherweise haben, keine Ratschläge von ganz oben.