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Kolumnen

Wie mit der Türkei umgehen?

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Die Geschichte der deutsch-türkischen Beziehungen legt es nahe, auch das aktuelle Verhältnis unter langfristigen Gesichtspunkten zu sehen. Denn beide Staaten unterhalten seit über 200 Jahren diplomatische Beziehungen, die Eliten kannten sich, während des Ersten Weltkrieges gab es sogar eine Waffenbrüderschaft, die in Deutschland vergessen ist, in der Türkei nicht. Als zu Beginn des Dritten Reiches Menschen in Gefahr gerieten, Wissenschaftler, Oppositionelle, deutsche jüdische Staatsbürger, nahm die Türkei die Bedrängten auf. Bis zum heutigen Tag fußen die Kontakte im Wissenschaftsbetrieb beider Länder auf dieser erzwungenen Begegnung.

Zu dem freundschaftlichen Verhältnis der Türkei zum lange Zeit fernen Partner – für Deutschland keine Selbstverständlichkeit angesichts der Verbrechen des Dritten Reiches und der Erfahrungen vieler europäischer Länder unter deutscher Besatzung im Zweiten Weltkrieg – ist die Beziehung der ganz besonderen Art, wie ich sie nennen möchte, durch die Gastarbeiter hinzugekommen. Viele gingen zurück, viele blieben. Von der zweiten Generation an hat eine Annäherung an das Gastland stattgefunden, die mittlerweile dazu geführt hat, dass sich Millionen von Menschen in der Bundesrepublik als bewusste Deutsche mit türkischen Wurzeln sehen. Wenn man so will, ist ein Dreiecksverhältnis zwischen Deutschland und der Türkei entstanden, hier die Bundesrepublik, dort die Türkei und als verbindendes Element unzählige Menschen mit mehrfacher Identität. Diese Tatsache muss die Politik in Rechnung stellen, oder anders formuliert: der Draht zwischen Berlin und Ankara darf nie abreißen. Er muss selbst in politisch schwierigen Zeiten genauso existieren wie es ihn einmal zwischen der Bundesrepublik und der DDR gab.

Flüchtlinge verändern die Wahrnehmung, nicht die Realität

Es ist offenkundig, dass diese Faustformel der deutsch-türkischen Beziehung in den letzten beiden Jahren von Berlin nicht in dem Ausmaß angewandt worden ist, wie es erforderlich gewesen wäre. Immer wieder hat der Verfasser dieser Zeilen in seinen Kolumnen auf den Beitrag der Türkei zur Lösung der syrischen Flüchtlingsproblematik hingewiesen und angemahnt, diese enorme Hilfeleistung, weitgehend von der türkischen Bevölkerung getragen, anzuerkennen und damit auch zu honorieren. Missmutig verfolgten die deutschen Politiker die Wahlkampfauftritte von Ministerpräsident Erdoğan. Die „Pflege“ der Beziehung, wenn man dieses Wort überhaupt in den Mund nehmen darf, wurde stattdessen weitgehend den Bürokraten in Brüssel überlassen, besonders nach den Vorgängen rund um den Gezi-Park. Als die Türkei dann auch nicht die erhoffte Rolle im Syrien-Konflikt spielte, die türkischen Panzer vor Kobane stehen blieben, war es endgültig um den Respekt vor dem NATO-Partner geschehen. Er geriet buchstäblich in den Windschatten der deutschen Beobachtung der Weltlage.

Der Beginn der Flüchtlingskrise Anfang September veränderte über Nacht die Wahrnehmung, nicht die Realität. Von daher war es kein Wunder, dass zunächst Bundesaußenminister Steinmeier Hals über Kopf nach Ankara flog und dann – in gemessenem zeitlichem Abstand – sich Erdogan, mittlerweile Staatspräsident, nach Brüssel bemühte und Bundeskanzlerin Merkel die Kette der deutsch-türkischen Begegnungen am Sonntag fürs erste mit einer Reise in die Türkei abschloss.

Partner – in guten, wie in schlechten Zeiten

Es war keine Reise, die etwa mit einer deutsch-französischen Regierungskonsultation zu vergleichen wäre, und doch muss dieser Vergleich erlaubt sein. Denn er macht deutlich, wie wichtig ein institutionalisierter Austausch zwischen der deutschen politischen Elite und der türkischen wäre. Denn die Türkei ist nicht nur in der Flüchtlingsfrage ein Schlüsselland, sie ist es auch hinsichtlich einer friedlichen Zukunft der islamischen Welt.

Zur bundesrepublikanischen Staatskunst gehört somit – und das nicht erst seit Anfang September – die Verbindung nach Ankara so zu gestalten, das man als Partner in guten und schlechten Zeiten geschätzt wird, dass türkische Regierungen so behandelt werden, dass sie in der Lage sind, kritische Anmerkungen zur innenpolitischen Lage hinzunehmen. Das ist nicht einfach, weil sich türkische Innenpolitik auch in Deutschland abspielt, aber es scheint kein unmögliches Unterfangen, vorausgesetzt man akzeptiert die Faustformel, dass die deutsch-türkische Beziehung ein Verhältnis der ganz besonderen Art ist – historisch wie aktuell.