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Politik

(Wie) wird sich Brexit auf die Türkei auswirken?

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Nach 43 Jahren wollen die Briten die EU wieder verlassen. Bei dem Referendum am Donnerstag haben sich 51,8 Prozent gegen den Verbleib in der Gemeinschaft, 48,2 dafür ausgesprochen. Die Briten, die im Gegensatz zu Deutschland und Frankreich immer gegen eine starke politische Union waren, galten als Unterstützer der EU-Mitgliedschaft der Türkei. Daher hat es die Türken sehr verwundert, als im Vorfeld des Referendums sowohl die Brexit-Befürworter als auch Gegner sich kritisch zu einer möglichen Mitgliedschaft des muslimischen Landes aussprachen. Um den EU-Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen, sprach der britische Premierminister David Cameron davon, dass die Mitgliedschaft der Türkei gar nicht anstehe: „Mit dem jetzigen Tempo wird die Mitgliedschaft der Türkei erst im Jahre 3000 eintreffen.“

Die „Vote Leave“-Kampagne machte in der Endphase ihrer Kampagne die Türkei zu einem ihrer Hauptthemen und konfrontierte die Briten mit der Frage „Wollt ihr Mitglied einer Union bleiben, in der auch die Türken dabei sein werden?“.

Erste Reaktion aus Ankara: „Auflösungsprozess der EU hat begonnen“

Nach dem Referendum fragt sich die Türkei nun, wie sich die neue Situation auf sie auswirken wird. Der Politikwissenschaftler und Türkei-Experte Dr. Savaş Genç ist der Meinung, dass die Entscheidung der Briten vor allem Erdoğan und seiner AKP nutzen wird: „Die Türkei ist in zwei ungefähr gleichstarke Lager gespalten. 50 Prozent sind für Erdoğan und seine AKP und die anderen 50 Prozent, zu denen auch die pro-europäischen säkularen und liberalen Kräfte zählen, gegen ihn. Erdoğan fährt seit einigen Jahren einen Anti-EU-Kurs. Seine Gegner haben immer über EU-Werte gegen ihn argumentiert. Sie sind nun geschwächt. Er wird sich nun bestätigt sehen und die Meinung vertreten, dass falls die EU etwas Gutes wäre, hätten die Briten mitgemacht.“ So verwundert auch die erste Stellungnahme aus der AKP-Regierung nicht. Der stellvertretende Ministerpräsident Nurettin Canikli erklärte via Twitter, dass der „Auflösungsprozess“ der EU begonnen habe: „Das erste Land, das das Schiff verlässt, ist Großbritannien“.

Genç sagt der EU eine tiefe politische Krise voraus und sieht in dem Ausgang des Referendums einen großen weltweiten Imageschaden für das transnational weltweit einzigartige Friedensprojekt: “Die Marke EU hat einen enormen Schaden abbekommen. Ihre Rolle in der Weltpolitik wird an Bedeutung verlieren und diejenigen, die in der Türkei EU-Werte verteidigen, werden es schwer haben.”

Der Leiter des Forschungszentrums für Außenpolitik und Wirtschaft (EDAM), Sinan Ülgen, spricht hingegen von kurzfristigen und langfristigen Auswirkungen auf die Türkei: „Kurzfristig wird sich der Austritt der Briten aus der EU negativ auf die Türkei auswirken. Jetzt wird die EU ihre politische Energie stärker auf die Lösung dieses Problems verwenden. Denn die Entscheidung der Briten, aus der Union auszutreten, ist ein sehr herber Rückschlag für die EU. Sie wird sich auf allen Ebenen bemerkbar machen.“ Langfristig jedoch könne sich das Blatt zum Positiven für die Türkei wenden, so der Experte von EDAM.

Der ehemalige AKP-Politiker und Soziologe Haluk Özdalga beschäftigte sich bereits vor dem Ausgang des Referendums mit möglichen Auswirkungen auf die Türkei. Mit dem Austritt der Briten würde die Türkei einen starken Verbündeten verlieren, meint Özdalga: „Eine EU ohne Großbritannien wird noch zentralistischer und die Mitgliedschaft der Türkei rückt in die weite Ferne.“ Das neue Modell der Zusammenarbeit zwischen der EU und Großbritannien könne aber auch ein Modell für die Zusammenarbeit zwischen Brüssel und Ankara werden.