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„Wir aßen mit den Türken dieselbe Bohne“

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Demonstration nach der Ermordung von Hrant Dink
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Viele Zuschauerinnen hatten sich damals in den charmanten Kenan Pars verliebt, als er noch als Hauptdarsteller in den Schwarz-Weiß-Filmen auf die Leinwand kam. Wir ärgerten uns dann über ihn, als er die Rollen des Bösewichts übernahm. „Wir aßen seit Jahrhunderten dieselbe Bohne mit den Türken“ pflegte er einst zu sagen und betonte damit das Zusammenleben beider Völker. Dass er der gebürtige Kirkor Cezveciyan war, störte keinen von uns. Auch sein Großvater Ohannes montierte die Kronleuchter der „Yildiz-Palast“ in Istanbul.

Es ist mittlerweile elf Jahr her, seit Hrant Dink, der türkische Journalist mit armenischen Wurzeln, in Istanbul auf offener Straße getötet wurde. Nicht weniger Menschen gedenken den Opfern, indem sie sich mit einer Eigenschaft oder einem Attribut der verstorbenen Person identifizieren. Wir erinnern uns noch an die protestierenden Mengen, die damals: „Wir sind alle Armenier, wir sind alle Hrant“-Parolen skandierten. In den folgenden elf Jahren ist der Journalist Hrant fast in Vergessenheit geraten und der Mordanschlag wurde in den Folgejahren von bestimmten Kreisen bewußt verwässert.

Es ist bedauenswert, wie die Gemüter beider Volksgruppen, die seit Jahrhunderten in der Türkei friedlich zusammenleb(t)en, bei der kleinsten Provokation erhitzt werden und diese aufeinander losgehen. Die Armenier wurden im Osmanischen Reich noch als „Millet-i Sadika“ bezeichnet. Also das treue Volk. Erst durch die Anstachelung einiger europäischer Großmächte hat sich dieses Volk, ähnlich wie andere, ihre Unabhängigkeit auf die Fahnen geschrieben. Türken und Armenier waren es doch, die jahrhundertelang dasselbe Viertel bewohnt, gemeinsam Kaffee getrunken und sich gegenseitig zu ihren Festen beglückwünscht hatten.

Nicht jeder Armenier ist ein Türkenfeind und nicht jeder Türke ist mit Armeniern feindlich gesinnt. Bevor man urteilt, ist es vonnöten, den Lauf der Geschichte gut zu lesen.

Doch was ist mit den Menschen, deren armenische Abstammung wir nicht mal kannten und trotzdem sie so sehr ans Herz geschlossen haben? Hrant Dink war diesbezüglich kein Unikat.

Die Armenier in der türkischen Kulturszene

Ein Blick auf die Biographie vieler Künstler in der Türkei gibt einen Aufschluss über ihre armenischen Wurzeln. Beispiele gibt es wie Sand im Meer. Ihr Geburtsname ist Silvia Anait Bursalıoğlu. Aber wir lernten die Popsängerin als Asu Maralman kennen, die sich in den 70ern in die Herzen sang.

Tatsächlich gibt es in der Musikwelt viele armenisch-stämmige Größen. Onno Tunç, Garo Mafyan, Mine Koşan und viele andere. Sie waren die Komponisten oder Sänger vieler Lieder, die unsere Kindheit und Jugend mit geprägt hatten. Sie waren die Künstler, die wir nicht nach ihrer Herkunft zuordneten, als wir ihnen zuhörten.

Abgesehen von der Musikwelt war die Filmbranche „Yesilçam“ nicht anders. Anfang der 70er Jahre, in denen noch Schwarz-Weiß-Filme gedreht wurden, wußten wir nicht mal, wessen Parodien uns zum Lachen gebracht und wessen Schicksal wir beweint hatten? Haben wir uns je Gedanken gemacht, dass Sami Hazinses, der unvergessliche Komödiant von Yeşilçam, ein Armenier namens Samuel Agop Uluçyan war?

Viele Zuschauerinnen hatten sich damals in den charmanten Kenan Pars verliebt, als er noch als Hauptdarsteller in den Schwarz-Weiß-Filmen auf die Leinwand kam. Wir ärgerten uns dann über ihn, als er die Rollen des Bösewichts übernahm. „Wir aßen seit Jahrhunderten dieselbe Bohne mit den Türken“ pflegte er einst zu sagen und betonte damit das Zusammenleben beider Völker. Dass er der gebürtige Kirkor Cezveciyan war, störte keinen von uns. Auch sein Großvater Ohannes montierte die Kronleuchter der „Yildiz-Palast“ in Istanbul.

Was macht es schon aus, welche Abstammung Turgut Özatay hatte? Er war auch ein Armenier. Sie alle waren Teil der türkischen Gesellschaft. Reichhaltiger wurde die Leinwand eine Zeitlang mit Vahi Öz und seinem Filmcharakter „Horoz Nuri“, der in den Filmen immer in seine „Bedia“ verliebt war. Ebenso die Sängerin Toto Karaca war einfach nicht wegzudenken. Wie wäre es bestellt, wenn die Filmbranche den gutherzigen Nubar Terziyan nicht hätte? Dann gab es ja noch ihn. Jahrelang hat der Künstler Theater gemacht, dann Assistenzrollen in den Komödien der 80ern übernommen. Die schillernde Persönlichkeit, die unter anderem den „Marmara Kazım“ in Kemal Sunals Film „Sakar Şakir“ verkörperte, hieß Macid Flordun und war ebenfalls Armenier? Die erste weibliche Schauspielerin des türkischen Theaters Aruşyak Papazyan hatte ebenfalls armenische Eltern.

Dass „Sarı Gelin“ ein armenisches Lied ist, weiß mittlerweile jeder. Doch wie viele wissen, dass die erste türkische Operette „Arif’in Hilesi“, von einem Armenier namens Dikran Çuhacıyan komponiert wurde?

Die Vertreter in der Literatur und Architektur

Auch in der Sprachwissenschaft macht sich eine wahre Größe bemerkbar. Agop (Dilaçar) Martayan, ein Wissenschaftler im Türkischen Sprachinstitut (TDK), der seinen zweiten Nachnamen „Dilaçar“ wegen seines wesentlichen Beitrags zur türkischen Sprache erhielt. Er unterrichtete an türkischen Hochschulen die osmanische Schriftsprache, die viele Nachahmer der Osmanen in der Gegenwart nicht mal zu lesen gedenken.

Karin Karakaşlı, Krikor Zohrab und Mıgırdıç Margosyan waren literarische Figuren dieses Landes. Besonders die junge Karakaşlı. Obwohl sie einer armenischen Familie entstammt, schreibt sie ihre Bücher in Türkisch. Während sie auf Armenisch träumt, sind ihre Sehnsüchte in der türkischen Sprache niederlegt.

Es ist für die meisten Leser eine Selbstverständlichkeit, dass sogar der berühmte Fotograf Ara Güler ein Armenier ist. Die architektonischen Meisterwerke Istanbuls, wie die Valide-Moschee, die Ortaköy-Moschee, der Uhrturm von Tophane im Bezirk Dolmabahçe und der Çırağan-Palast sind Handzeichen der Mitglieder der Familie Balyan aus dem anatolischen Kayseri.

Vielleicht ist der Name von Vahram Çerçiyan für viele fremd. Aber er lebt überall dort weiter, wo heute die Unterschrift von Mustafa Kemal steht. Mustafa Kemals berühmte Signatur „K. Atatürk“ geht nämlich auf ihn zurück. Çerçiyan, der seit vierzig Jahren sich in der Kunst der Schönschrift etabliert hatte, bekam diesen Auftrag durch den Gründer der Republik.

Der Ex-Galatasaray-Spieler Varujan Aslanyan und der heutige Klubvorstand von Taksimspor, Garo Hamamcıoğlu, waren armenisch-stämmige Fußballer. Mit dem Spitznamen „Der große Garbis“ wurde Garbis Zakaryan in der Türkei berühmt. Er vertritt sogar die Türkei als Profi-Boxer auf internationaler Ebene.

Die Armenier in der „Teskilat-i Mahsusa“

In den Jahren des Türkischen Befreiungskrieges wechselte ein armenischer Seemann mit seiner Besatzung die Fronten und schlug sich auf der türkischen Seite. „Ich gebe euch in eurem Befreiungskampf recht. Ich liebe dieses Land und werde solange auf eurer Seite kämpfen, bis meine letzte Fähre kampfuntauglich gemacht wird“, sagte Kalci Efendi. Neben ihm standen auch Pandikyan Terziyan und Hogasyan in den Diensten der geheimen Nachrichtenorganisation „Teşkilatı Mahsusa“.

Quintessenz

Gleichgültig wie die Parlamente der Staaten unserer Welt über die Ereignisse von 1915 entscheiden mögen. Mag auch 90 Jahre danach ein armenisch-stämmiger Journalist in einer sehr belebten Istanbuler Straße Opfer eines Anschlags geworden sein, um damit die Minderheiten in Aufruhr zu bringen. Die Türkei ist ein Mosaik aus verschiedenen Farben und Formen. Auch Armenier gehören zu diesem Konglomerat. Sie gehören zur Türkei und sind „unsere Armenier“.

Vergessen wir nicht, dass wir mit den 35 ethnischen Gruppen und Glaubensgemeinschaften im Osmanischen Reich, unter anderem Armenier, im Rahmen des „Millet Systems“ seit Jahrhunderten in Frieden gelebt und das beste Beispiel für das „friedliche Mit- und Füreinander der Völker“ gegeben haben.