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Gesellschaft

„Es sind nur wir, die uns schaden“

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Terror und Gewalt sind die grundlegenden Probleme des 21. Jahrhunderts. Sie treffen nicht nur die muslimische Welt, sondern auch Europa. Vor wenigen Tagen fand in Brüssel eine wichtige Konferenz zu dem Thema statt.

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Wie ist der Begriff ‚Wir‘ zu verstehen? Eine Antwort auf diese wichtige Frage lieferte vor einigen Jahren Navid Kermani, der aktuelle Friedenspreis-Träger des Deutschen Buchhandels, bei der Vorstellung seines Buches „Wer ist ‚wir’“. Nach Kermani ist der Begriff zuweilen diskriminierend und ausgrenzend, hin und wieder aber auch patriotisch und solidarisch.

Das war mein erster Gedanke, als ich während der Konferenz „Countering Violent Extremism: Mujahada and Muslims’ Responsibility“ Experten aus aller Welt zuhörte. Sie fand am 15. und 16. März in Brüssel statt.

Mich beschäftigte der arabische Untertitel dieser Konferenz „mas’ūlīyatunā“. Muslime meinen mit diesem Begriff, der in etwa als „unsere Verantwortung“ übersetzt werden kann, ihre eigene Verantwortung in der Lösungsdebatte des Gewaltextremismus. Sie wollen die Konflikte und den Terror nicht mit Verschwörungstheorien und „unbekannten und dubiosen Dritten“ erklärt sehen. Das war die Grundintention der Veranstalter – der Universität Leuven und der hizmetnahen Dialog-Plattform mit Sitz in Brüssel. Ihrer Einladung folgten über 300 Experten und Multiplikatoren aus 56 Ländern. In zahlreichen Workshops und Podien konnten die Teilnehmer mit namhaften Akademikern über die schwierige Situation in den islamischen Ländern und mögliche Lösungen diskutieren. Auch die Lage in Europa, wo mittlerweile mehrere Millionen Muslime eine neue Heimat gefunden haben, war ein wichtiges Thema der zweitägigen Tagung.

Da die Workshops zeitgleich stattfanden, konnte ich nicht jedem Referenten zuhören. Dennoch habe ich versucht, an möglichst vielen teilzunehmen. Unter ihnen haben mich besonders die Vorträge von Khalil Annahoui, Scott C. Alexander, Samir Boudinar und Paul Weller beeindruckt.

Auch Weller, Professor für Interreligiöse Beziehungen in Derby, präsentierte mit seiner typisch britischen Gestik und Mimik im Workshop „Gewaltextremismus – Benennung, Einrahmung und Herausforderung“ seine Definition des ‚Wir‘-Begriffes. In diesem Kontext äußerte er den folgenden Satz: „Gewaltextremismus schadet uns“. Weller versteht unter diesem „uns“ alle Europäer, ob jüdisch, christlich, muslimisch oder ohne Bekenntnis. Er fasst darunter auch alle Nichteuropäer zusammen. Kurzum, während die Muslime unter „-nā“ ihre eigenen Verantwortung verstehen, überträgt Weller den Begriff „uns“ auf die gesamte Menschheit.

Verschwörungstheorien sind bei einem überwiegenden Teil der (schweigenden) Muslime sehr beliebt. Auch wird die Schuld gerne bei anderen gesucht. Einen anderen Ansatz lieferte jüngst Fethullah Gülen in einem Gastbeitrag für die französische Zeitung Le Monde, in der er Muslime zur Annahme ihrer eigenen Verantwortung in der Gewaltextremismus-Debatte einlud. Auch Beşir Gözübenli – ein prominenter Kenner der islamischen Rechtslehre – rief in Brüssel dazu auf, dass die muslimischen Intellektuellen und Gelehrten jegliche Art von Terror missbilligen und diskreditieren sollten. Er sprach in diesem Zusammenhang ähnlich wie Gülen gar von einer persönlichen Pflicht (farḍ ʿayn). Damit fordert er Gelehrte (vermutlich auch Qardawi) heraus, die Terrortaten aus islamischer Sicht für legitim halten, jedoch ohne Namen zu nennen.

Mein Fazit, das ich aus Brüssel mitnehme: Es sind eigentlich nur „wir“, die „uns“ schaden.