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Politik

„Wir werden in eurem Blut baden“: Die Türkei in den Tagen des Terrors

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Die türkische Armee ist im Krieg gegen die Terrororganisation PKK. Sie setzt auf Gewalt und Härte, jedwede Kritik wird als Staatsverrat abgetan. Das bekamen nun auch 1128 Akademiker zu spüren, denen womöglich noch mehr droht.

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KOMMENTAR Der Terroranschlag in Istanbul hat die Türkei getroffen, aber zu einem Innehalten, wie man es beispielsweise aus Frankreich kennt, kam es trotzdem nicht. Ähnlich wie nach den Anschlägen von Suruç und Ankara gehen Beschuldigungen und politische wie gesellschaftliche Grabenkämpfe unvermindert weiter. Ein gesamtgesellschaftliches Zusammenstehen gibt es nicht. So verwandten auch Präsident Erdoğan und die regierungsnahen Medien selbst am Anschlagstag noch fast genauso viel Zeit und Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema, das eigentlich hätte zurückstehen müssen: Einer Erklärung von über 1000 Akademikern, die sich gegen die Gewalt des Staates im Südosten der Türkei aussprechen. Die Reaktionen auf die „Akademiker für den Frieden“ („Barış için Akademisyenler“) verrät mal wieder viel über den Zustand des öffentlichen Diskurses in der Türkei.

Am 10. Januar hatte eine Gruppe von insgesamt 1128 türkischen Akademikern eine Erklärung veröffentlicht, in der sie den Staat auffordert, die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung im Südosten des Landes zu beenden und den Weg zurück zu einer Verhandlungslösung im Kampf gegen die PKK zu suchen. Zu den Unterzeichnern zählen bekannte türkische Akademiker wie Koray Çalışkan, Esra Mungan, Şebnem Fincancı und Ahmet İnsel, Unterstützung in Form von Unterzeichnungen kam aber auch von international bekannten Intellektuellen wie Noam Chomsky, Slavoj Žižek, Etienne Balibar und Judith Butler.

Sie werfen dem türkischen Staat vor, durch die kollektive Bestrafung der Zivilbevölkerung in den betroffenen Gebieten gegen grundlegende Rechte zu verstoßen: „Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf Freiheit und Sicherheit vor Übergriffen, insbesondere das Verbot von Folter und Misshandlung, praktisch alle Freiheitsrechte, die durch die Verfassung und durch die Türkei unterzeichnete internationale Abkommen unter Schutz stehen, werden verletzt und außer Kraft gesetzt“, heißt es darin. Deshalb fordern sie „den Staat auf, diese Vernichtungs- und Vertreibungspolitik gegenüber der gesamten Bevölkerung der Region, die jedoch hauptsächlich gegen die kurdische Bevölkerung gerichtet ist, sofort einzustellen. Alle Ausgangssperren müssen sofort aufgehoben werden. Die Täter und die Verantwortlichen der Menschenrechtsverletzungen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.“

Die Regierung solle dazu Bedingungen für eine friedliche Beilegung des Konflikts schaffen, wozu auch konkrete Maßnahmen wie eine Road Map und die Einbindung unabhängiger Beobachter gefordert werden. Dass die Rolle der terroristischen PKK im Konflikt und ihre menschenverachtende Vorgehensweise mit keinem Wort kritisch erwähnt wird, macht die Erklärung freilich angreifbar und ob der Staat gezielt gegen die Bevölkerung vorgeht oder ihr Leid „lediglich“ billigend in Kauf nimmt, ist eine Frage, die man heiß diskutieren kann und sollte. Einer Demokratie wäre es angemessen, dass das in einer zivilisierten Debatte geschieht, in der es um den Inhalt der Erklärung geht.

Die Reaktion der Staatsführung allerdings: Hasserfüllt. Erdoğan beschimpfte die „sogenannten Akademiker“ als fünfte Kolonne ausländischer Mächte und bediente mit dem Vorwurf des Vaterlandsverrats nebenbei das nationalistische Klientel. Mit einem Wortspiel („Bunlar aydın değil, karanlık“, frei übersetzt etwa „Das sind keine hellen Köpfe, sondern finstere Gestalten“) griff er sie noch persönlich an und sprach ihnen den Intellekt ab. Die Angriffe aus der zweiten Reihe der AKP waren nicht viel schmeichelhafter. Doch als würden ehrenrührige Angriffe der Spitzenpolitik als Ersatz für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der geäußerten Kritik nicht ausreichen, schaltete sich bereits der mittlerweile berüchtigte Hochschulrat YÖK ein. In einer offiziellen Erklärung eignet er sich unhinterfragt die Sichtweise der Staatsspitze an und diffamiert die Akademiker als „Terrorunterstützer, die die gesamte akademische Community „in ein schlechtes Licht rücken. Man prüfe Disziplinarverfahren und wenn nötig Entlassungen der Unterzeichner, kündigte er an. Einmal mehr zeigt sich, dass es in der „Neuen Türkei“ nicht nur für Journalisten existenzbedrohend ist, eine politische Meinung öffentlich zu vertreten, die mit der Führung nicht übereinstimmt.

Die Zeiten, in denen das sogar lebensbedrohlich sein kann, wähnte man eigentlich hinter sich. Doch auch dafür hat der Präsident seine Kettenhunde: Sedat Peker (Foto), eine der zwielichtigsten Gestalten der türkischen Öffentlichkeit. Der ehemalige Mafiaboss und verurteilte Mörder (der jedoch unter dubiosen Umständen einen Deal mit dem Staat aushandelte und so seine Gefängnisstrafe auf einige Monate reduzieren konnte) steht gut mit den AKP-Eliten. Erst vor einem Vierteljahr war er in den Schlagzeilen, weil er sich auf der Hochzeit des als „AK-Troll“ bekannten Taha Ün mit einem bekannten Hochzeitsgast umgab: Recep Tayyip Erdoğan. Aber auch in den Kreisen der Grauen Wölfe genießt der beinharte Nationalist Peker hohes Ansehen. Und so machte er sich sowohl unter AKPlern als auch unter MHPlern beliebt, als er am Mittwoch auf seiner Internetseite eine Hasstirade gegen die Akademikergruppe veröffentlichte, die ernsthaft an seiner geistigen Gesundheit zweifeln lässt.

Wie es mittlerweile in nationalistischen Kreisen zum guten Ton gehört, unterstellt er den Akademikern, mit ihrem Friedensaufruf offen die PKK zu unterstützen; so weit nichts Neues.

Was darauf folgt, ist jedoch nichts weniger als offene Morddrohungen in beängstigender Weise. Die „Kinder der Nation“, nämlich „der Fleischer Ahmet, der Türsteher Kemal und der Informatiker Yavuz“ würden sich um sie kümmern, indem sie ihnen an ihren „Arbeitsplätzen in den Luxusgegenden“ einen Besuch abstatten. Doch die Akademiker sollten nicht besorgt sein, denn man werde sie nicht vor ihren Frauen und Kindern töten, sondern Rache nehmen „wie es sich für einen muslimischen Türken gehört“: Man werde „ihr Blut in Strömen vergießen und in dem fließenden Blut ein Bad nehmen.“ Das ist auch die Kernaussage seines Pamphlets, nicht umsonst wiederholt er es am Ende des Textes in Großbuchstaben und ohne mit Ausrufezeichen zu geizen.

Würde es sich nur um einen armen Irren handeln, man könnte es mit einem Kopfschütteln abtun. Aber ein Mafiaboss, der schon Blut an den Händen hat und noch dazu bestens in der Unterwelt wie in gewissen politischen Kreisen bis hinauf in die Regierung gut vernetzt ist, gibt dem Ganzen eine andere Relevanz. Schaudern lässt einen aber auch ein weiter Aspekt der Geschichte: Während gegen eine Lehrerin aus Diyarbakır Ermittlungen wegen „Terrorpropaganda“ eingeleitet werden, weil sie in einer Fernsehsendung auf die katastrophale Lage der Menschen im Südosten der Türkei hingewiesen hat („Die Menschen sollen nicht sterben, die Kinder sollen nicht sterben, die Mütter sollen nicht weinen“) und namhafte Akademiker wegen streitbarer, aber legitimer politischer Kritik um ihre Anstellungen fürchten müssen, hat ein gefährlicher Hetzer wie Sedat Peker nichts zu befürchten. Und das ist noch beängstigender als die Drohungen eines geisteskranken Faschisten.