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Gesellschaft

„Wir wollen nicht die Palästinenser des 21. Jahrhunderts sein“

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Er ist Syrer, aber geboren wurde er in der DDR. Mit seiner Frau flüchtete er aus Syrien in die Türkei. Doch ohne Arbeit und angesichts der politischen Lage in der Türkei erwartet den Arzt auch hier eine ungewisse Zukunft. Er sieht nur einen Ausweg.

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Wassim Mukdad zupft seine orientalische Laute Oud. Eigentlich ist der junge Syrer Arzt, doch nun verdient er in Istanbul seinen Lebensunterhalt mit der Musik. Wie viele andere Syrer flohen Wassim und seine Frau Berivan vor dem Bürgerkrieg in die Türkei. Für die Zuflucht sind sie dankbar, aber bleiben wollen sie hier nicht. Das junge Ehepaar will schnellstmöglich über Griechenland in die Europäische Union gelangen, bevor die Türkei mit der EU ein neues Flüchtlingsabkommen schließt.

Die neuen Regeln könnten ihre Weiterreise ins sichere Europa zusätzlich erschweren, fürchtet das Paar, das vor zwei Jahren die Heimat verließ. Deswegen will Wassim nun Schlepper für die gefährliche Bootsüberfahrt zu den griechischen Inseln engagieren, bevor es zu spät ist.

„Wenn man den Schmugglern glaubt, ist die Überfahrt noch möglich“, sagt er. Das Paar will in den kommenden Tagen aufbrechen. Denn Wassim und seine 26-jährige Frau fühlen sich in der Türkei nicht sicher. Er ist schiitischer Araber, sie sunnitische Kurdin. In Syrien hatten sie nach eigenen Angaben Probleme wegen ihrer verschiedenen Konfessionen. Jetzt könnten ihre Volkszugehörigkeiten sie in der Türkei in Schwierigkeiten bringen, befürchten sie. Seit einigen Monaten geht die türkische Armee im Südosten des Landes gegen Kurden vor.

Zudem seien auch hier ohne Papiere ihre Zukunftsaussichten begrenzt, meint Wassim. „Ich glaube nicht, dass die Türkei den Syrern jemals die Staatsbürgerschaft geben wird“, sagt er. Der in der DDR geborene Syrer hat im Damaskus Medizin studiert, in der Türkei darf er aber nicht arbeiten. „Wenn wir ein Kind bekommen, welchen Status wird es dann haben?“, fragt der junge Mann. „Wirklich, uns geht es nicht ums Geld, es geht um Sicherheit.“

Die beschwerliche Suche nach einer sicheren Zukunft

Auf der Suche nach Zuflucht lässt das Ehepaar keine Möglichkeit außer Betracht. Asyl suchte Wassim bereits in Kanada, doch der Antrag wurde abgelehnt, weil er in der DDR geboren wurde. Sein Vater hatte dort Agrarwissenschaften studiert, doch die deutsche Staatsbürgerschaft hat Wassim nicht, wie er erzählt. Er sei noch ein Kleinkind gewesen, als seine Eltern 1988 mit ihm nach Syrien zurückkehrten.

Nun wartet das syrische Flüchtlingspaar darauf, ob Berivans Asylgesuch in den USA stattgegeben wird. Das Verfahren ist langwierig und kompliziert, bisher ließ Washington nur einige Tausend Syrer ins Land. „Selbst wenn ihr Asyl gewährt wird und sie in die USA geht, wird es zwei oder drei Jahre dauern, bis uns eine Zusammenführung bewilligt wird“, sagt Wassim. „Das wäre wirklich eine lange Zeit, bis ich sie wiedersehen könnte.“

Dass Griechenland Flüchtlinge zurück in die Türkei schicken könnte, falls das Abkommen zwischen der EU und Ankara zustande kommt, verkompliziert die Situation des jungen Paares. Die Türkei sei angesichts ihrer Menschenrechtsbilanz kein sicherer Zufluchtsort, kritisierten bereits Menschenrechtler und UN.

Doch dies wird die EU bei ihrem Versuch, die Migrationsströme zu bewältigen, kaum von ihren Plänen abbringen. Da ein Ende des Bürgerkriegs in ihrer Heimat nicht abzusehen ist, sind die Syrer zunehmend um ihre Zukunft besorgt. Mit Schrecken vergleichen sie sich mit den Palästinensern, die 1948 vor dem arabisch-israelischen Krieg nach Syrien geflohen waren.

Vielen von ihnen wurde die Rückkehr in ihre Heimat verwehrt. „Wir wollen nicht die Palästinenser des 21. Jahrhunderts sein“, sagt Wassim. Auch andere syrische Flüchtlinge sehen Parallelen. Als Israel den Gaza-Streifen abgeschnitten habe, seien die Menschen durch Tunnel geflüchtet, sagt Mohammed, der sich im Westen der Türkei aufhält. „Wir können das gleiche machen.“ Dass sie in der Türkei nicht arbeiten dürften, zwinge Syrer geradezu, auf die Boote nach Europa zu steigen, kritisiert er. „Die Menschen werden einen Weg finden.“ (dpa/ dtj)