Connect with us

Politik

Wird es in Armenien einen „Frühling“ geben?

Spread the love

Armeniens Präsident Sarkisyan hat offiziellen Ergebnissen zufolge mit 57% die Wahlen gewonnen. Eine starke Konzentration der Oppositionsstimmen auf den Zweitplatzierten Raffi Hovhanissyan hat diesen zur Symbolfigur gemacht. (Foto: ap)

Published

on

Wird es in Armenien einen „Frühling“ geben?
Spread the love

Nach den Präsidentschaftswahlen in Armenien hat Raffi Hovhanissyan (Foto) – der 37% der Stimmen auf sich vereinigen konnte und damit den zweiten Platz belegte – sofort im Anschluss an die Veröffentlichung der Wahlergebnisse vorgebracht, dass er die meisten Stimmen bekommen hätte und die Wahlergebnisse fehlerhaft wären. In diesem Zusammenhang hat er den derzeitigen, den offiziell verlautbarten Zahlen zufolge mit 57% wiedergewählten Präsidenten dazu aufgerufen, die Wahlen wiederholen zu lassen.

Man hätte vor den Wahlen nicht erwartet, dass Hovhanissyan, der Armeniens erster Außenminister nach Wiedererlangung der Souveränität war, so viele Stimmen gewinnen würde – viele sind sich darin einig, dass seine Stimmen in diesen Wahlen gleichzeitig Gegenstimmen zu Sarkisyan sind. Hovhanissyan hat gleich nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse als „der vom Volk Gewählte“ seine Meetings in allen Landesteilen fortgesetzt.

„Raffi“ ist während des Wahlkampfes auf den Straßen umhergelaufen, hat das Volk begrüßt, ist in U-Bahnen eingestiegen und hat sich mit den Menschen unterhalten. Er hat versucht, sich mit dem Markthändler, Krämer, Arzt, Ingenieur, einfach mit jedermann zu unterhalten und hat seine Haltung auch nach den Wahlen beibehalten und fortgesetzt. Die politische Bewegung und das Aufbegehren Hovhanissyans wurden bald – da der Politiker jeden mit „Barev“ (Grüß Gott) begrüßt –, mit dem Begriff „Barevolution“ umschrieben. „Früher gebührte die Begrüßung (Barev) Gott, doch jetzt gebührt sie Raffi“, wurde gewitzelt. Dieser Pointe wurde später die Frage hinzugefügt, wie sich nun wohl die Republikaner (die Partei von Serj Sarkisyan) begrüßen würden…

Marsch zum Präsidentenpalast

Während im Anschluss an die Wahlen zahlreiche ausländische Regierungsmitglieder – darunter auch jene der Türkei – Sarkisyan gratulierten und die Berichte der ausländischen Beobachter den Wahlgang als im Großen und Ganzen ordnungsgemäß einstuften, berichteten die Anhänger Hovhanissyans schon darüber, in welcher Wahlregion welche Art von Schwindel angewendet worden wäre. Am 21. Februar hat sich Hovhanissyan in die Menge gemischt, die ihn nicht alleine gelassen hatte, und ist zum Präsidentschaftspalast gezogen, um ein Treffen mit Sarkisyan – der damit einverstanden war – durchzusetzen.

Das Treffen, das ungefähr eine halbe Stunde lang gedauert hat, wurde in den ersten fünf Minuten live übertragen, doch danach wurde die Übertragung abgebrochen. Auch wenn die ersten fünf Minuten, in denen Hovhanissyan die Frage Sarkisyans „Du siehst demoralisiert aus, bist du traurig?“ mit „Ich bin nicht traurig, sondern im Recht“ beantwortet hat, für einen Teil der Bevölkerung es die Hoffnung mit sich brachte, dass Hovhanissyan diesen Tisch mit zählbaren Erfolgen verlassen würde, gab es auch viele Leute, die sagten: „Sie werden ihm eine Stelle im Ministerium anbieten und damit hat es sich.“ Nach dem Treffen war Hovhanissyan allerdings tatsächlich demoralisiert. Dass er dem Volk, das vor der Tür auf ihn gewartet hatte, sagen musste „Jetzt geht nach Hause, morgen treffen wir uns wieder“, ließ die gereifte Hoffnung „der Revolution und des Sieges“ mit einem Mal zu Boden sinken.

Seit diesem Tag hat Hovhanissyan etliche Meetings veranstaltet, doch zuletzt hat er sich dazu entschlossen, am 9. März in einen Hungerstreik zu treten und diesen fortzusetzen, bis die Wahlen wiederholt werden. Vorsichtige Unterstützung bekommt er von den Daschnaken (Armenische Revolutionäre Föderation), doch eindeutige Unterstützung erfährt er durch den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Antreas Gukasyan – der selbst einen Monat vor den Wahlen mit einem Hungerstreik begonnen und ihn danach beendet hatte.

Auch wenn die Partei Blühendes Armenien (Bargavach Hayasdan), dessen Gründer Gagik Dzarukyan, einer der prominenten Reichen Armeniens, sich in letzter Minute von den Wahlen zurückgezogen hatte, Hovhanissyan nicht eindeutig unterstützt, kann man die Tatsache, dass auf dem TV-Sender Kendron (Zentrum), welcher Dzarukyan gehört, das Thema Hovhanissyan des Öfteren behandelt wird und mit Hovhanissyan Interviews geführt werden – mit dem Hinweis darauf, dass die Regierung der Presse nicht so viel Freiheit schenke –, schon als eine Art Unterstützung deuten.

Zusammenrücken der Oppositionskräfte

Ein anderer Name, der im Zusammenhang mit dem Aufbau einer Opposition genannt wird, ist jener des ehemaligen Präsident Levon Ter-Petrosyan, der an den Wahlen nicht teilgenommen hat. Ter-Petrosyan unterstützt zwar nicht ganz offen Hovhanissyan, doch hat er es sich des Öfteren nicht nehmen lassen, die Forderung nach Transparenz der Wahlen zu unterstreichen. Nach dem Sieg Sarkisyans bei den Wahlen 2008 war eine Zusammenkunft der Anhänger Ter-Petrosyans außer Kontrolle geraten, wobei das Militär gegenüber der Menge das Feuer eröffnete und zehn sehr junge Menschen ums Leben kamen. Dieser Tag hat sich ins kollektive Gedächtnis als der „blutige 1. März“ eingraviert und seither finden an diesem Tag jährlich „Trauermeetings“ auf öffentlichen Plätzen statt.

In diesem Jahr hat Ter-Petrosyan am 1. März den Platz der Unabhängigkeit erstmals Hovhanissyan überlassen. Danach hat der Ex-Präsident auch den Hauptakteur in Anti-Regierungs-Demonstrationen, Nikol Paschinyan, damit beauftragt, künftig als einer der Organisatoren der Meetings von Hovhanissyan zu fungieren.

Raffi Hovhanissyan hat seit dem ersten Tag sehr deutlich erklärt, dass im Kampf für die „Transparenz der Wahlen“ kein Tropfen Blut vergossen werden würde. Hovhanissyans Kampf darum, die „Karabach-Regierung“ zum Rücktritt zu zwingen, unterscheidet sich jedoch sehr stark von Ter-Petrosyans Haltung, die dieser in den letzten Jahren an den Tag gelegt hatte. Von der in der Zeit Ter-Petrosyan gepflegten Verschwörungstheorie von den „Karabachern“, welche durch die „Regierungsbeamten und Herrscher“ erschaffen worden wären, über dessen Stereotypen wie jenen von „Armeniern, die in ihrer eigenen Heimat als Bürger zweiter Klasse behandelt werden“, bis hin zu den Slogans in den Meetings, den Rednern und Teilnehmern, ist alles ganz anders.

Raffi geht mit einem Diskurs voran, welcher alle Armenier erreichen soll und deutlich unterstreicht: „Unsere Heimat, unsere Kinder, unsere Zukunft, dafür müssen wir alle zusammenarbeiten, unser Licht selbst erschaffen.“ Dabei umarmt er Markthändler oder ein kleines Baby. In seinem westlichen Armenisch, das er bei sich zu Hause spricht, ruft er auch die Diaspora zum Kampf in Armenien auf. Als ob er zeigen möchte, dass er sich des russischen Einflusses bewusst ist, verwendet er auch russische Redensarten.

Sarkisyan hat, obwohl es nicht geplant war, als Präsident seinen ersten Besuch am 12. März in Moskau gemacht und sich mit Putin unterhalten. Natürlich hat auch Putin ihm gratuliert und ihm weiterhin viel Erfolg gewünscht. Es ist ziemlich deutlich, dass Sarkisyan, der von seinem großen Bruder die Bestätigung erhalten hat und zurück in die Heimat gekehrt ist, mit Blick auf das Thema Hovhanissyan misstrauisch und besorgt ist.

Hat Hovhanissyan überhaupt ein Programm?

Auch dem Volk kommen unterschiedliche Szenarien in den Sinn. Eigentlich möchte fast jeder Transparenz und am Ende ein besseres Leben führen – aus diesem Grund versammelt sich ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung mit Hovhanissyan auf den öffentlichen Plätzen. Andere geben zu bedenken, dass Hovhanissyan selbst für den Fall einer Wiederholung der Wahlen weder ein Programm noch genügend Macht hat. Kurz gesagt, man bewundert seinen Mut und seine Aufrichtigkeit, aber man traut ihm nicht automatisch auch etwas zu.

Hovhanissyan, der als letzten Ausweg den Hungerstreik – einen der äußersten Formen des passiven Widerstandes – sieht, erhebt derzeit eine ultimative Forderung: Sich auf dem Unabhängigkeits-Platz, wo er streikt, mit Sarkisyan zu treffen. Über dessen Journalisten gegenüber getätigte Aussage „Was soll ich mit einem Mann, der seit Tagen hungert, besprechen?“ wird anhaltend diskutiert. Zwar sieht es so aus, als ob die ignorante Haltung Sarkisyans gegenüber Hovhanissyan dessen Hungerstreik als nicht sehr aussichtsreich erscheinen lässt, doch wartet das Volk immer noch auf die Zusammenkunft am 8. Mai, an dem auch die Diaspora teilnehmen wird und Hovhanissyan sich eine Teilnahme von einer Million Menschen erhofft. Aus dieser Zusammenkunft kann tatsächlich entweder die Geburt der „Barevolution“ werden oder aber die letzten Tage einleiten, an denen man Hovhanissyan auf öffentlichen Plätzen sehen wird.

Autoreninfo: Alin Ozinian ist eine in Armenien lebende Wissenschaftlerin und Autorin.