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Politik

Wird es je wieder einen Putsch geben?

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Nachdem die „Ergenekon“-Ermittlungen begonnen hatten, beantwortete Mümtaz’er Türköne diese Frage immer mit „Nein“. Hat er seine Meinung nach dem „Balyoz“-Urteil geändert? (Foto: Zaman)

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Wird es je wieder einen Putsch geben?
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Von Mümtaz’er Türköne*

Lasst uns die Frage auf ein etwas weiter vorgeschaltetes Level verlagern und so stellen: „Wird es je wieder den Versuch eines Putsches geben?“ – Oder noch weiter: „Werden die Generäle je wieder auch nur einen Gedanken an einen Putsch verschwenden?“

Nachdem die „Ergenekon“-Ermittlungen begonnen hatten, beantwortete ich diese und ähnliche Fragen immer mit „Nein“.

Lasst uns nunmehr – nach der Veröffentlichung des Urteils aus dem „Balyoz“- (deutsch: Vorschlaghammer-) Prozess – unter Berücksichtigung der betroffenen Personen die Antwort aufs Neue untersuchen. Es sind genügend Reaktionen gekommen. Das Thema wurde verstanden. Aus dem Ergebnis können wir entnehmen, was heute zu tun ist.

Das Urteil des Gerichts ist abschreckend. Das Gericht ist trotz großen Drucks und Drohungen furchtlos vorgegangen. Dass eine Straftat begangen worden war, war ja so gut wie offensichtlich. Aus den Dokumenten, Informationen und Aussagen ließ sich ohne jegliche Anzeichen auf Zweifel beweisen, dass das angeklagte Verbrechen, nämlich der Versuch eines Putsches, tatsächlich begangen wurde. Es stellte sich nur noch die Frage, ob das Gericht auch wirklich den Mut haben würde, die gesetzlich vorgeschriebenen Strafen auszusprechen.

Die wichtigste Oppositionspartei (CHP) und die drittgrößte Partei (MHP) hatten während des Prozesses auf der Seite der Angeklagten Platz genommen. Dieser politische Druck gegenüber dem Gericht hat natürlich zu Manipulationen der öffentlichen Meinung und zu Störmanövern in den Medien beigetragen. Es sollte auch noch berücksichtigt werden, dass Angehörige des Militärs zumindest teilweise Empathie gegenüber den 365 Angeklagten empfanden.

Darüber hinaus ist die Regierung, gegen die der Putsch gerichtet war, immer noch im Amt. Doch sie hat sich nicht in den Prozess eingemischt. Die AKP hat trotz der Parteinahme seitens der Opposition nicht versucht gegenzusteuern, indem sie ihrerseits Partei ergriffen hätte. Ministerpräsident Erdoğan machte Andeutungen, dass er zwar viel zu diesem Thema wisse, aber sich dazu nicht äußern würde.

Kurz und bündig: Das Gericht stand allein auf weiter Flur jenen Anklägern und Richtern gegenüber, zu denen sich Oppositionsparteien und Medien aufgeschwungen hatten. In jeder Etappe des Verfahrens wurden die Staatsanwälte und Richter von den Angeklagten und deren Rechtsanwälten außerhalb des Gerichtssaals öffentlich bedroht. Diese Bedrohungen setzten sich in den Medien fort. Es wurde systematisch auf die Verhinderung eines fairen Gerichtsverfahrens und auf die Beeinflussung des Gerichtes hingearbeitet.

Das Ergebnis: Es zeigte sich, dass das Gesetz über allem steht. Das heißt, genauso wie die Verantwortlichen für einen Putschversuch zur Rechenschaft gezogen wurden, so endete auch das Verfahren selbst mit einem Sieg des Rechtsstaats. In der Türkei gilt nicht mehr das Recht des Stärkeren, sondern die Herrschaft des Rechts. Die Staatsanwälte und Richter führen ihre Tätigkeiten fort, ungeachtet der Interventions- und Einflussnahmeversuche von außen.

Die Frage „Wird es je wieder ein Putsch geben?“ müssen wir aus dieser Perspektive betrachten. Die Autorität der Justiz hat durch den Balyoz-Prozess die Türkei in einen Verfassungsstaat mit dominantem Recht verwandelt. Ist nicht die Lage der Generäle – denen Armeen und Streitkräfte dienen – vor dem Gericht ein Beweis dafür, dass wir alle als Bürger in Sicherheit sind?

Der Verzicht auf Straftaten, also die Zurückhaltung von Personen mit gleicher krimineller Absicht, basiert nicht nur auf der Angst vor der Bestrafung. Die öffentliche Verurteilung und die dadurch zum Ausdruck kommende Missbilligung verhindern auch eine Beschönigung oder Rechtfertigung allfälliger Absichten potenzieller Straftäter, da sich unter dem Eindruck der Folgen der Straftat jeder künftig gut überlegen wird, ob er seine Gedanken wirklich in die Tat umsetzen wolle.

Die Ergenekon- und Balyoz-Prozesse haben uns die Möglichkeit gegeben, zu sehen, wie die Militärputsche der Türkei geschadet und was sie ihr gekostet haben. Die Putsche, die wir erleben mussten, haben die Geschichtsschreibung mit ihren eigenen Wahrheiten gefüllt und dadurch die tatsächlichen Wahrheiten im Verborgenen gehalten.

Über den Hergang der Ereignisse von Maras, Corum, Madımak wissen wir immer noch nichts. Aber wir haben alle erfahren, wie man mit Bomben in der Fatih- und Beyazit- Moschee einen Anschlag ausüben wollte. Auch diejenigen, die sich aus Naivität oder Kadavergehorsam heraus für die Absichten der Putschisten einspannen ließen, haben ihre Lektion lernen müssen. So auch die ehrenwerten Offiziere der türkischen Streitkräfte.

Jetzt darf sich kein Offizier der Streitkräfte mehr ohne weiteres auf einen Befehlsnotstand berufen. Nicht nur wegen der Höhe der Strafen, sondern auch wegen der schnellen, effektiven und sicheren Verurteilungen hat der Balyoz-Prozess ein eindrucksvolles Signal der Abschreckung ausgesendet.

Während der Ermittlungsverfahren haben wir außerdem vieles gelernt: Dass eine strikte Kontrolle über den türkischen Streitkräften nötig ist; dass eine Demokratie, sobald sie errichtet wurde, nicht von alleine funktioniert; dass wir gegenüber den Feinden der Demokratie ständig auf der Hut sein müssen und – was vielleicht das Wichtigste ist -, dass es in der Türkei auch unter widrigsten Bedingungen Richter gibt, die ihre Arbeit gewissenhaft erledigen.

Wenn all das, was ich aufgezählt habe, so bleibt, ist es dann möglich, dass jemand überhaupt noch auf die Idee kommen könnte, einen Staatsstreich durchführen zu wollen?

*Mümtaz’er Türköne, geb. 1956 in Istanbul, vollendete 1990 sein Doktoratsstudium an der Politikwissenschaftlichen Fakultät der Universität Ankara und arbeitet jetzt als Autor und Journalist. Er ist Kolumnist der „Zaman“.