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Kultur/Religion

YüzYüze mit… Aysel und Engin

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Das Künstlerleben ist meist hart: Viel Arbeit, wenig Geld. Von der romantischen Selbstverwirklichung, die sich viele darunter vorstellen, bleibt meist nicht viel übrig. Noch dazu sind Kulturschaffende oft am Ende der wirtschaftlichen Nahrungskette; geht es mit der allgemeinen Wirtschaft bergab, wird bei ihnen oft zuerst gespart. Das gilt für Deutschland gleichermaßen wie für die Türkei. DTJ hat sich mit zwei freiberuflichen Medienschaffenden unterhalten. Die 42-jährige gelernte Sozialpädagogin Aysel lebt als Theaterschauspielerin in Berlin und Istanbul. Der 35-jährige Hochzeitsfotograf Engin aus Istanbul ist eigentlich Drehbuchautor und Filmemacher. Im DTJ-Interview erzählen sie von den Lebens- und Arbeitsbedingungen Medienschaffender in der Türkei.

Aysel, kannst Du kurz etwas über Dich erzählen?

Ich bin in Ankara geboren und dort aufgewachsen. Während meines Sozialpädagogik-Studiums an der Hacettepe-Universität bin ich mit 18 Jahren nach Deutschland gereist. Nach der Rückkehr habe ich acht Jahre lang im Bankwesen gearbeitet, weil es in meinem Bereich keine guten Jobaussichten gab. Dort hatte ich eine gute Position. Dennoch hat mir mein Leben nicht gefallen. Ich habe beschlossen, mich mehr dem Schauspiel zu widmen und habe am Theater gespielt. Das war und ist immer noch meine große Leidenschaft. Mir war der Kontakt mit dem Publikum sehr wichtig, daher wollte ich nicht in der Film- oder Werbebranche arbeiten, sondern wirklich direkt am Theater.

Weil die Lage in der Türkei nicht so gut ist, habe ich beschlossen, nach Berlin zu gehen. Dort lebe ich seit Mitte der 90er, komme aber regelmäßig in die Türkei wegen meiner Familie und Freunde. Meine Wohnung in Üsküdar vermiete ich, wenn ich nicht da bin, an Erasmusstudenten unter.

Istanbul ist die Hauptproduktionsstätte türkischer Filme. Wie ist die derzeitige Lage dort?

Es ist einige Jahre her, dass Erdoğan noch als Premierminister für wirtschaftlichen Erfolg gesorgt hat, was ihm anschließend viele Wähler und Sympathien eingebracht hat. In den letzten drei Jahren hat sich der Wind allerdings gedreht, besonders seit den Gezi-Protesten und als Resultat einer ganzen Reihe von gewaltsamen Maßnahmen nach dem Putschversuch im Juli. Nach Verhängung des Ausnahmezustands hat sich die Lage im Lande auch ökonomisch verschlechtert. Besonders die Entertainmentbranche, worunter vor allem die Theater, Film- und Werbebranche fallen, ist sehr betroffen.

Und was glaubst Du, wie es weitergeht?

So wie es derzeit ausschaut, rechne ich schon bald mit einer völligen Stagnation im Entertainmentbereich. Auch wenn ich weiterhin im Theaterbereich arbeiten möchte und viele Kontakte habe, ist es sehr schwer, sich damit über Wasser zu halten. Das Kulturministerium möchte über alles Bescheid wissen, welche Stücke gespielt werden, welche Darsteller mitmachen, um was es in den Stücken geht. Zusätzlich hat die Regierung die Gelder für die Unterstützung von freischaffenden Künstlern, Schauspielern und für das Theater gestrichen. Wenn überhaupt, gibt es derzeit nur noch Möglichkeiten, Rollen in Serien zu besetzen.

Kommt da nicht doch der Gedanke auf, auf Filme und Werbung umzusatteln?

Der Nahe Osten, vor allem arabische Länder, stehen auf türkische Produktionen. Daher boomt das Geschäft in dem Bereich. Allerdings nur für bestimmte Produzenten und Darsteller. Auch dort gibt es kaum Geld oder aber massive Zahlungsschwierigkeiten. Während die Hauptdarsteller eine Unmenge an Honoraren – pünktlich – erhalten, werden die Nebendarsteller teilweise monatelang nicht bezahlt oder nur sehr schlecht, da auch die Produzenten kaum Geld haben. Von einigen weiß ich, dass sie sogar nach Beendigung der Dreharbeiten ihrem Geld hinterherrennen mussten beziehungsweise nicht das versprochene Honorar erhalten haben. Das ist einerseits eine Charaktersache, aber liegt auch besonders stark an der derzeitigen wirtschaftlichen und politischen Lage.

Wie sieht Deine Alternative aus?

Derzeit schleppe ich mich mit projektbezogenen Arbeiten und Nebenjobs im filmischen Bereich durch. Lange kann ich das aber auch nicht so weitermachen. Ich möchte halbwegs sichere Einkünfte haben. Ich rechne damit, dass im Februar die Wirtschaft so weit unten sein wird, dass hier nichts mehr geht. Die Künstlerszene, den Film- und Theaterbereich wird es dann am härtesten treffen. Daher habe ich jetzt meine beiden Katzen impfen und alle notwendigen Papiere ausstellen lassen, damit ich im Februar hier weg kann. Das kostet mich rund 250 Lira plus die Flugtickets für mich und die Katzen, aber das bekomme ich bis dahin schon hin. Zur Not muss ich ein Zimmer untervermieten.

Wie Aysel sind viele andere aus dem Medien- und Kunstbereich von der wirtschaftlichen Stagnation betroffen. Engin ist Absolvent einer Filmakademie, hat schon mehrere Kurzfilme gedreht und arbeitet derzeit als Hochzeitsfotograf.

Engin, wie sieht Dein Arbeitsalltag aus?

Da im Dezember und Januar keine Aufträge reinkommen, muss ich vorsorgen, also einen Wintervorrat anlegen. Daher arbeite derzeit sehr viel. Dennoch reicht das Geld nur knapp. Einen Auftrag, den ich vor einigen Monaten noch für 1500 Lira gemacht habe, muss ich mittlerweile für 1000 Lira annehmen. Das ist die derzeitige Lage. Das liegt daran, dass sich die freischaffenden Fotografen derzeit immer weiter unterbieten. Ich arbeite bis tief in die Nacht, um die Aufträge so schnell wie möglich abzuarbeiten. Abgesehen von den Vorbereitungen, dem Dreh und dem Shooting selbst brauche ich zwei bis drei Wochen, um die unzähligen Bilder zu katalogisieren und zu retuschieren. Für die viele Arbeit ist das kein Geld.

Ich habe in den letzten zwei Wochen täglich zwölf Stunden am Computer in Akkordarbeit retuschiert. Denn der nächste Auftrag steht vor der Tür. Dennoch ist die derzeitige Lage unbefriedigend weil einerseits das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht mehr stimmt, andererseits auch die Work-Life-Balance in Schieflage gerät.

Ich kann mir vorstellen, dass dabei die Motivation sinkt. Wie wirkt sich das auf Deine Arbeitsleistung aus?

Wir als Hochzeitsfotografen müssen die Klienten bei Laune halten und immer eine gute Performance abliefern, für gute Stimmung sorgen. Immerhin heiraten die Paare. Es ist der schönste Tag in ihrem Leben – oder soll es zumindest sein. Das soll in den Fotos sichtbar werden. Ich muss mir Gedanken machen, mit was für Menschen ich es zu tun habe, dementsprechend Equipment und Dekoration mitnehmen. Es ist nicht nur „Lächeln und Klick“, sondern auch Vorarbeit, indem ich mich mit den Paaren treffe, alles bespreche, sie kennenlerne. Sie wollen häufig einen Plan, wo wann wie das Shooting stattfinden soll. Dann erst entscheiden sie selbst, wo sie aufgenommen werden wollen. Häufig ist es draußen.

Wenn es kalt ist oder regnerisch, kann der Tag sehr anstrengend werden oder gänzlich ausfallen und es muss ein neuer Termin ausgemacht werden. Dadurch verschieben sich Termine, andere Aufträge müssen dann gegebenenfalls warten. Die Nebeneffekte der vergünstigten Preise sind also nicht unerheblich. Das heißt: Weitere Zeitinvestition, was nicht weiter schlimm wäre, wenn man pro Auftrag genug verdienen oder nach Stundenlohn arbeiten würde. Allerdings arbeiten wir häufig auf Pauschale, sprich es wird nach Produkt bezahlt und nicht nach Arbeitszeit. Dadurch verlieren wir Freischaffenden Zeit und damit auch Geld.

Schraubst Du dann auch den Service zurück, weil die Bezahlung schlecht ist?

Nein, das kann ich nicht. Wir sind auf Empfehlungen angewiesen. Würde man den üblichen Service nicht liefern, dann blieben die Klienten aus.

Will man den normalen Preis, bekommt man nicht genug Aufträge. Hat man ausreichend Aufträge, dann arbeitet man für die Hälfte des Lohnes. Wie man es auch macht, macht man es also nicht richtig.

Das Paradoxe an der Sache ist: Je weniger für den Auftrag gezahlt wird, desto mehr erwarten die Klienten. Beispielsweise wollen sie Abzüge von diesem oder jenem Bild für die Oma oder den Onkel. Die bekommen sie dann in der Regel.

Allerdings hatte ich auch schon Paare, die in unserer Anwesenheit die Gäste zum Snack einladen, bevor es zum Hochzeitssaal geht, und mich und mein Team dabei überhaupt nicht berücksichtigen. Das macht man nicht. In solchen Fällen sage ich nichts, aber ich gehe dann nicht auf weitere Verhandlungen oder Extrawünsche ein. Wenn die Leute sich dann beschweren, weil sie diese und jene Zusatzleistung nicht bekommen, rechne ich ihnen vor, wie sehr ich heruntergegangen bin beziehungsweise zusätzliche Kosten wie Essensgeld oder Fahrtkosten aus eigener Tasche zahle. Meist verstehen die Leute das. Andere wiederum interessiert es nicht und sie bestehen auf ihren Forderungen. Das kommt in letzter Zeit häufiger vor. Alle wollen sparen und seien es 100 Lira, die in Anbetracht der Dimension einer Hochzeitsfeier nun wirklich nicht viel sind.

Für Engin ist es ein Dilemma.

Engin, was ist mit Deiner eigentlichen Ausbildung? Du bist ja eigentlich Filmemacher, nicht wahr?

Ich habe bereits einige Kurzfilme gedreht, sie hier in der Türkei bei Festivals eingereicht, aber jeder will erst einmal sehen, welche Kontakte du hast, ob du einen Namen hast, also immer etwas, womit sie auch etwas anfangen können. Die meisten sind hier nicht daran interessiert, jemanden zu fördern, sondern eher sich selbst mit den Namen zu schmücken. Als ich mich dann für ausländische Festivals beworben habe und meine Filme dort gezeigt wurden, haben die anderen hinterher gestaunt.

Also hast Du genug von der Filmbranche?

Eigentlich möchte ich mich schon meinen künstlerischen Projekten widmen, weitere Kurzfilme drehen. Es geht aber nicht. Entweder fehlt das Geld oder wenn ich dann Geld verdiene, die Zeit. Wenn das so weitergeht, arbeite ich mehr als 60 Stunden die Woche, nur um das Geld für die Miete und das Notwendige wie Lebensmittel reinzubekommen. Ein bis zwei mal die Woche ausgehen, mehr kann ich mir nicht leisten. Ich habe vor kurzem mit meiner Freundin eine neue Wohnung bezogen. Wir müssen sparsam umgehen. Es ist ein Überlebenskampf, auf Kosten des Gemüts und der Kreativität. Nach Förderungsmöglichkeiten schaue ich gar nicht mehr. In der Türkei werden Künstler immer weniger gefördert. Wie man sehen kann, wurden mehrere Theater- und Schauspielhäuser, wie jetzt jüngst in Istanbul oder in Samsun, geschlossen. Dort sollen jetzt Shoppingmalls oder Banken gebaut werden.

Kommerz kommt also vor den Künstlern?

Genau so ist es. Wir haben in den letzten Jahren einen Boom an Kaufhäusern und an Banken gehabt. Der Trend setzt sich fort. Das ist der Preis der Globalisierung, den nicht nur die Türkei zahlt, sondern wahrscheinlich alle Länder im Nahen Osten. Die Türkei ist eines der Länder, die auf den Zug aufgesprungen sind und attraktiv bleiben möchten. Seit dem Putschversuch gibt es allerdings weniger Touristen, Kaufwillige und auch weniger Kunden. Ich merke in meinem Bereich, dass es sogar weniger Heiratswillige gibt. Einfach aus dem Grund, weil die Menschen derzeit nicht wissen, wie es weitergehen soll und sie sich das auch finanziell nicht in dem Maße leisten können, wie vielleicht noch vor einem Jahr.

Vielen Dank für das Gespräch!

*Die Interviews wurden vom Türkischen ins Deutsche übersetzt.