Connect with us

Politik

Zaman-Redakteure: „Wir haben keine Angst, wir werden nicht schweigen“

Spread the love

Die Ankündigung eines bekannten türkischen „Whistleblower“, am Freitag würden 150 regierungskritische Journalisten festgenommen werden, hat in der Türkei heftige Reaktionen ausgelöst. Vor der Zaman-Redaktion kam es zu einer Kundgebung. (Foto: cihan)

Published

on

Vor der Zaman-Redaktion in Istanbul versammeln sich am Freitag Hunderte Menschen.
Spread the love

„Wir schreiben das Jahr 2014… und wir warten hier gemeinsam mit Kollegen darauf, dass die Polizeioperation losgeht“, twitterte die Zaman-Kolumnistin Sevgi Akarçeşme am Freitag. Genau wie Dutzende ihrer Kollegen wartet die Journalistin im Newsroom der auflagenstärksten türkischen Tageszeitung Zaman in Istanbul auf die Festnahme.

„Ich schreibe seit gut einem Jahr Kolumnen für Zaman und arbeite seit 2,5 Jahren als Redakteurin für Todays Zaman. Es ist vielleicht keine lange Zeit, aber wenn man berücksichtigt, dass wir uns im Ausnahmezustand befinden, dann war diese Zeit so lang wie einige Jahrzente“, so die Journalistin in ihrer aktuellen Kolumne mit dem Titel ‚Wir werden nicht schweigen‘.

„Als ich hier anfing, war der erste Grundsatz, der mir mitgeteilt wurde: Wir können Fehler machen, uns irren. Aber wir täuschen nicht. Wir verbreiten wissentlich keine Unwahrheiten.“ Ihre Kolumne endet mit den Sätzen: „Welche Ungerechtigkeit und welchen Druck ihr auch ausübt, wir haben keine Angst. Es wird euch nicht gelingen, uns zum Schweigen zu bringen.“

Auf Bildern, die Zaman-Journalisten aus dem Newsroom twittern, sind weitere Kolumnisten wie etwa Ali Bulaç, Ahmet Turan Alkan und Savaş Genç zu sehen. Einige von diesen Journalisten warteten dort mit gepackten Koffern auf ihre Festnahme.

Solidaritätskundgebung vor Zaman-Redaktion

Auch vor dem Redaktionsgebäude der Hizmet-nahen Zeitung in Istanbul hatten sich am Freitagmittag Hunderte Menschen versammelt, um in Angesicht der befürchteten Polizeioperation ihre Solidarität mit den Zaman-Journalisten zu bekunden. Tausende weitere Menschen kamen vor dem Polizeipräsidium, das die Operation leiten sollte, und vor dem Gerichtsgebäude im Istanbuler Stadtteil Çağlayan zusammen.

Der Grund: Nachdem sich in den vergangenen Wochen die Gerüchte über eine bevorstehende Polizeioperation gegen das Medienhaus gehäuft hatten, gab es am Donnerstag dann eine konkrete Warnung. Die Tweets des unter dem Pseudonym „Fuat Avni“ bekannten türkischen Netzaktivisten für Aufregung in der Türkei. Der angeblich im Umfeld des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wirkende „Whistleblower“ kündigte eine für Freitag angesetzte Polizeioperation an. Sie würde sich schwerpunktmäßig gegen Journalisten derjenigen Medien richten, die der Hizmet-Bewegung (Gülen-Bewegung) zugerechnet werden. Die angekündigte Operation habe zum Ziel, etwa 150 Journalisten – alle angestellt bei regierungskritischen Medien – zu verhaften.

Im Zuge zeitgleich geplanter Polizeirazzien sollen, so Fuat Avni, in Istanbul, Ankara und Malatya dutzende Journalisten in Gewahrsam genommen werden. Auch wenn die Aktion Avni zufolge auf Grund der Enthüllung vorerst abgebrochen wurde, rechnet man in den kommenden Tagen mit einer Durchführung der Operation.

Menschen halten vor der Zaman-Redaktion in Istanbul Plakate in die Luft und bekunden ihre Solidarität mit der Zeitung. (zaman)

Auch vor dem Redaktionsgebäude der Hizmet-nahen Zeitung in Istanbul hatten sich am Freitag Mittag Hunderte Menschen versammelt, um im Angesicht der befürchteten Polizeioperation ihre Solidarität mit den Zaman-Journalisten zu bekunden.

Den Angaben des anonymen Accounts zufolge sollen berühmte Journalisten der Hizmet-nahen Formate Bugün, Taraf, Zaman und Today’s Zaman im Laufe des Freitags inhaftiert werden, darunter Ekrem Dumanlı (Chefredakteur der Zaman), Bülent Keneş (Chefredakteur Today’s Zaman), Kerim Balcı (Turkish Review), die Kolumnisten Nuh Gönültaş und Erhan Başyurt (Bugün), der Bugün-Washingtonkorrespondent Adem Yavuz Arslan, der Taraf-Journalist Mehmet Baransu, der Kolumnist Emre Uslu (Today’s Zaman und Taraf) sowie weitere Chefredakteure und Journalisten von Hizmet-nahen Zeitungen.

CHP-Politiker will an Stelle von Journalisten ins Gefängnis gehen

Der seit Anfang des Jahres aktive Account „Fuat Avni“ hat in der Vergangenheit bereits mehrere Polizeioperationen zeitnah vor deren Beginn in der Öffentlichkeit bekannt gemacht.

Die Aktion solle im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Jahrestag der am 17.12.2013 bekannt gewordenen Korruptionsermittlungen stehen. Erdoğan wittert hinter den Korruptionsermittlungen einen angeblich von Anhängern der Hizmet-Bewegung, die einen „Parallelstaat“ im Staate selbst errichtet haben soll, gesteuerten Vergeltungsakt.

Auch von politischen Parteien wurde Kritik an der möglichen Operation laut. Der Vorsitzende der Büyük Birlik Partisi (Partei der Großen Einheit; BBP), Mustafa Destici, äußerte, der Versuch, den Korruptionsskandal in Vergessenheit geraten zu lassen, würde das Problem nur verschärfen. Sollte es zu einer Aktion wie jener kommen, die Avni angekündigt hatte, würde die Öffentlichkeit dies als eindeutigen Versuch der psychischen Einschüchterung politischer Gegner erkennen.

Der Abgeordnete der Cumhuriyet Halk Partisi (Republikanische Volkspartei; CHP), Mahmut Tanal, erklärte, dass er bereit sei, diejenigen, welche das Ziel der Polizeioperation seien, bei sich als Gäste auf zu nehmen. Außerdem erklärte er, dass er sich freiwillig im Austausch für die betroffenen Journalisten ins Gefängnis begeben würde: „Es ist wichtig, dass Mitglieder der Medien schreiben und die Öffentlichkeit (weiterhin) informieren.“

Obwohl in der Türkei seit Tagen eine öffentliche Debatte über den Eingriff der Regierung in die Grundrechte wie Pressefreiheit läuft, findet das Thema in den deutschen Medien kaum Erwähnung. Die wenigen Meldungen in deutschen Zeitungen, welche diese Entwicklung behandeln, deuten die Vorkommnisse eher als inner-türkischen Machtkampf zwischen der AKP-Regierung und der Hizmet-Bewegung und nicht vornehmlich als  Einschränkung der Grundrechte und Aktionen die gegen kritische Medien.