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Politik

Kann EU-Mission in Zentralafrika Massaker an Muslimen beenden?

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Nation-Building in einem Phantomstaat: Seit 1960 unabhängig, 1976-79 kurzzeitig Kaiserreich, aber immer durch politische Gewalt und Korruption geprägt, soll Zentralafrika nun mithilfe einer EU-Mission zur Stabilität finden. (Foto: reuters)

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Zwei Kinder auf der Flucht in Bangui, Zentralafrikanische Republik.
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In den vergangenen Tagen sollen über 100 Muslime in der Zentralafrikanischen Republik massakriert worden, über 30 000 Muslime sind bereits aus dem Land geflohen. Während die Militärs weiterhin versuchen, die Lage unter Kontrolle zu bekommen und die Regierung versucht, ihre Arbeit aufnehmen zu können, trafen sich am Donnerstag die Staatschefs der Afrikanischen Union im äthiopischen Addis-Abeba zum Gipfeltreffen, um über die aktuellen Krisenherde Zentralafrika und Südsudan zu beraten.

Neue Regierung nimmt die Arbeit in Bangui auf

Vergangene Woche wurde Catherine Samba-Panza zur neuen Interimspräsidentin der Zentralafrikanischen Republik gewählt. Sie war zuvor Bürgermeisterin der Hauptstadt Bangui, in der es beinahe im Tagesrhythmus zu Ausschreitungen, Plünderungen, Morden und blutigen Vergeltungsaktionen kommt. Jetzt ist sie damit beauftragt, innerhalb eines Jahres Wahlen in dem seit seiner Unabhängigkeit von Frankreich 1960 von Krisen erschütterten kurzzeitigen Kaiserreich vorzubereiten und die Bevölkerungsgruppen zu versöhnen. Kurz nach der Wahl zur ersten Frau an die Spitze des Staates sandte die neue Präsidentin der Zentralafrikanischen Republik einen „aufrüttelnden Appell“ an die christlichen Milizen der Anti-Beleka und an die muslimischen Kämpfer der Séléka, die Waffen niederzulegen. „Manifestieren Sie Ihre Unterstützung für meine Nominierung, indem Sie ein starkes Signal aussenden und Ihre Waffen niederlegen“, um so „dem Leiden der Bevölkerung ein Ende zu setzen“, sagte sie weiter vor den Parlamentariern des CNT (Nationaler Übergangsrat).

In Zwischenzeit hat Samba-Panza eine Regierung aus parteiunabhängigen Technokraten gebildet. Angeführt wird sie von André Nzapayeké, Der 62-Jährige war seit 2012 Vize-Präsident der Entwicklungsbank Zentralafrikanischer Staaten (BDEAC) und hatte zuvor schon für die Afrikanische Entwicklungsbank (BAD) gearbeitet. Die 58-jährige Catherine Samba-Panza hatte erst vor sechs Monaten die schwierige Aufgabe übernommen, die Hauptstadt des Landes zu befrieden. Die Geschäftsfrau und in Frankreich ausgebildete Juristin, die sich vor der Krise des Landes in einer NGO für die Gleichstellung von Frauen und Männern eingesetzt hatte, muss nun schnellstmöglich versuchen, Hauptstadt und Land unter Kontrolle zu bringen und flächendeckend staatliche Strukturen aufzubauen.

Europa engagiert sich gemeinsam in Zentralafrika

Am 28. Januar hat der UN-Sicherheitsrat zudem der europäischen Mission, die etwa 500 Soldaten umfasst, ein Mandat gegeben, an der Seite der 4000 Mann starken Misca-Mission und der etwa 1600 Soldaten umfassenden französischen Mission Sangaris die Sicherheit und Ordnung in der Zentralafrikanischen Republik wieder herzustellen.

Das Zustandekommen der europäischen Mission ist nicht zuletzt auch dem Bemühen Deutschlands zu verdanken. Die Regierung hatte immer wieder betont, man könne Frankreich in Zentralafrika nicht alleine lassen. Gleichzeitig wurde eine deutsche Truppenentsendung ausgeschlossen. Deutschland beteiligt sich nur logistisch an der Operation, so könnten demnach auch deutsche Flugzeuge Bangui ansteuern. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sprach von einer „europäischen Überbrückungsmission“ und unterstrich den Willen der Bundesregierung, Frankreich, die frühere Kolonialmacht, die in der Region noch stark involviert ist, weiter zu unterstützen.

Es ist zudem der erste gemeinsame Einsatz der EU seit 2008, als eine gemeinsame Mission im Nachbarland Tschad auf den Weg gebracht wurde. Dabei ist die genaue Truppenaufteilung immer noch unklar. Estland sicherte als bislang einziges Land bereits ein Kontingent von 55 Soldaten zu. Auf Frankreich könnten am Ende weitere Truppenentsendungen zukommen.

Die Angst vor dem Genozid

Vor Ort werden die europäischen Einheiten die Aufgabe haben, den Flughafen von Bangui zu beschützen. 100 000 Zivilisten sind auf dessen Gelände geflüchtet. So könnten die französischen Truppen dann versuchen, die Lage in der Hauptstadt zu befrieden. Dort wüten mittlerweile die Anti-Balaka, eine christliche Miliz. Der Konflikt im mehrheitlich christlichen Land verläuft einstweilen längst entlang konfessioneller Linien. Auf dem Radiosender France Inter sagten der Imam Oumar Kobine Layama und der Erzbischof Dieudonné Nzapalainga aus Bangui, dass das Land ein gemeinsames Schicksal teile: „Es sind Extremisten auf beiden Seiten, die unsere Bevölkerung als Geisel nehmen.“ Weiterhin forderten sie, man brauche mehr Militär, um das ganze Land sichern zu können.

Der französischen Militäroperation Sangaris zufolge wurden Anfang der Woche 307 Kämpfer der muslimischen Allianz Séléka von ihrem Camp Kassaï im Innern der Hauptstadt in eine Kaserne am Stadtrand verlegt. Bereits vorher wurde das Hauptquartier der Gruppe, das Camp de Roux, von der afrikanischen Mission Misca evakuiert. Die muslimische Rebellentruppe der Séléka hatte die Macht erst 2013 übernommen, nachdem sie die Hauptstadt Bangui eingenommen hatten. Doch unter dem von der Séléka eingesetzten Präsidenten Michel Djotodia verschlechterte sich die Lage in Zentralafrika, bis sich die internationale Gemeinschaft Anfang Dezember unter der Ägide Frankreichs zum Handeln entschlossen hatte.

Hoffnung auf einen Mandela

„Die Anti-Balaka Truppen sind Verbrecher. Wir werden sie daran hindern, weiteren Schaden anzurichten“, ließ sich der Kommandant der Operation Sangaris von der französischen Tageszeitung Le Monde zitieren. Schon jetzt haben bereits tausende von Kämpfern der Rebellentruppe Séléka die Hauptstadt in die nördlichen und nordwestlichen Teile des Landes verlassen. 30 000 Menschen, größtenteils muslimischen Glaubens, sind derweil schon im Nachbarstaat Tschad angekommen. Während die französischen und afrikanischen Truppen versuchen, die Rebellen der Séléka in Bangui zu entwaffnen, konnten diese beim Abzug dennoch genügend Waffen mitnehmen.

Doch es sind nicht nur muslimische Kämpfer, die die Hauptstadt Bangui überhastet verlassen.

Abacar Moustapha, ein Lehrer, beschreibt Le Monde, wie sein Leben unter dem Konflikt zerstört wurde: „Alles, was wir in 35 Jahren aufgebaut haben, wurde zerstört. Ich habe die Misca- und Sangaris-Mission gebeten, uns zu beschützen, aber nichts ist geschehen. Mit dem Abtreten von Djotodia wurde eine politische Lösung des Konflikts gefunden, aber die Gewalt geht weiter. Man lässt die Anti-Balaka gewähren. Man nimmt zwar den Séléka-Kämpfern die Waffen weg, aber Macheten, die töten doch auch! Die Séléka haben Menschen getötet, aber ist das ein Grund, sich an Unschuldigen zu vergreifen? Die Muslime sind Teil dieses Landes. Wohin soll ich gehen?“ Andere verzweifelte Bewohner Banguis äußerten sich gegenüber der Hilfsorganisation ATD versöhnlich: „Es braucht einen Mandela, um uns aus dieser Krise und diesem Hass zu führen. Aber in jedem Dorf findet man Mandelas. Eine Versöhnung zu fordern allein wird nichts ändern. Was wir tun müssen, ist, diese Mandelas in den Dörfern zu finden, sie zu unterstützen und ihnen Gehör zu verschaffen.“

Das Problem an der derzeitigen Situation ist die Unüberschaubarkeit der Lage. Statt eines klar definierten Zieles, etwa der Bekämpfung der einen oder anderen Miliz, sieht sich die internationale Gemeinschaft vor die Aufgabe gestellt, das Land zu befrieden, also als Polizeimacht zu agieren und Ordnung herzustellen. Doch für diese Aufgabe reicht das entsandte Kontingent bei weitem nicht aus.

Denn die christliche Anti-Balaka-Miliz ist nun auch im Westen des Landes aktiv. Balaka bedeutet Machete. Mit solchen bewaffnet geht die Miliz auf die muslimische Bevölkerung los. Auch hatten sich die Anhänger der Anti-Balaka nicht an eine abgemachte Waffenruhe gehalten. Die Lage könnte jederzeit eskalieren, würden auch die Séléka-Truppen wieder die Waffen in die Hand nehmen. Schon jetzt werden Forderungen auf Seiten der Séléka laut, den Bürgerkrieg zu erklären. Ein französischer Diplomat vertraute sich Le Monde an: „Das ist nicht gut. Die Situation entgleitet uns gerade.“ Dies liegt auch daran, dass es Zivilisten sind, die sich an Zivilisten vergehen, was das Einschreiten und vorbeugende Handeln der Militärs erschwert.

Internationale Hilfe für Zentralafrika

Verschiedene Nichtregierungsorganisationen (NGO) forderten noch Anfang der Woche die Regierungschefs der Afrikanischen Union auf, Verantwortung zu übernehmen und die Bevölkerung zu beschützen: „Dies ist der Moment für die Führer der afrikanischen Staaten, die nicht aufhören, ‚afrikanische Lösungen für die Probleme Afrikas‘ zu fordern, in diesem Sinne zu handeln.“ Dies würde bedeuten, die derzeitigen militärischen Operationen einem UN-Blauhelmmandat unter afrikanischer Führung zu unterstellen.

Im Kongo hatte dies 2013 zu einer Lösung des Konflikts geführt. In diesem Sinne argumentiert auch Interimspräsidentin Zentralafrikas Catherine Samba-Panza. Sie fordert: „Was wir brauchen, ist eine UN-Friedenstruppe. Die Gewaltspirale setzt sich sowohl in Bangui als auch im Landesinnern fort, trotz der Präsenz der Operation Sangaris und der Misca. Das bedeutet, dass nicht genügend Truppen da sind, um für die Sicherheit der Menschen zu sorgen.“ Vielleicht reicht der Druck auf die Staats- und Regierungschef, die sich ab heute in Addis-Abeba, Äthiopien, zum Gipfeltreffen der Afrikanischen Union versammeln, ja auch aus. Denn nur wenn der bewaffnete Konflikt gelöst wird, kann sich die Regierung mit dem dringend benötigten Wiederaufbau des Landes beschäftigen.

Die dazu von der Internationalen Gemeinschaft zugesicherten knapp 500 Millionen Dollar sichern gerade mal die laufenden Kosten des humanitären Bedarfs für dieses Jahr. Kristalina Georgieva, EU-Kommissarin für Entwicklungshilfe, äußerte sich dazu wie folgt: „Zentralafrika ist allzu lange eine vergessene Krise gewesen. Jetzt ist sie es nicht mehr.“ – Es wurde auch Zeit. Noch ist es vielleicht nicht zu spät für das Land, das von manchen schon nur noch als ein Phantomstaat beschrieben wird.